Doch in jenem Traum, aus dem er mit schmerzender Narbe hochgeschreckt war, war Voldemort nicht allein gewesen… er hatte mit Wurmschwanz gesprochen… und mit ihm den Mord an Harry ausgeheckt…
Harry erschrak, denn er stand plotzlich vor der fetten Dame. Er hatte kaum wahrgenommen, wohin ihn seine Fu?e trugen. Eine Uberraschung war auch, da? sie nicht allein in ihrem Rahmen war. Die verhutzelte Hexe, die in das Gemalde ihres Nachbarn huschte, als er vorhin in den kleinen Raum gekommen war, sa? nun mit blasierter Miene neben der fetten Dame. Sie mu?te durch jedes Bild entlang der sieben Treppen gehastet sein, nur um vor ihm hier anzukommen. Die Hexe und die fette Dame sahen ihn hochst interessiert von oben herab an.
»Schon, schon, schon«, sagte die fette Dame.»Violet hat mir soeben alles erzahlt. Wer ist nun also gerade zum Schulchampion bestimmt worden?«
»Quatsch«, sagte Harry dumpf.
»Das ist es ganz sicher nicht«, sagte die Hutzelhexe entrustet.
»Nein, nein, Vi, es ist das Pa?wort«, beschwichtigte sie die fette Dame, und sie schwang an ihren Angeln hangend zur Seite, um Harry einzulassen.
Der Larmschwall, der durch das Portratloch an Harrys Ohren drang, ri? ihn beinahe von den Fu?en. Dann wu?te er nur noch, da? ein Dutzend Handepaare ihn in den Gemeinschaftsraum zerrte, wo ganz Gryffindor schreiend, klatschend und pfeifend auf ihn wartete.
»Du hattest uns was sagen sollen!«, brullte Fred halb verargert, doch auch schwer beeindruckt.
»Wie hast du es geschafft, ohne da? dir ein Bart gewachsen ist? Genial!«, polterte Fred.
»Hab ich nicht«, sagte Harry.»Ich wei? nicht, wie -«
Doch Angelina hatte sich nun seiner angenommen.»Tja, wenn nicht ich, dann wenigstens ein anderer Gryffindor -«
»Jetzt kannst du es Diggory fur das letzte Quidditch-Spiel heimzahlen!«, kreischte Katie Bell, ebenfalls eine Gryffindor-Jagerin.
»Wir haben was zu essen, Harry, komm, hau rein -«
»Ich hab keinen Hunger, wirklich, ich hab beim Fest genug gegessen -«
Doch niemand wollte horen, da? er keinen Hunger hatte; niemand wollte horen, da? nicht er selbst seinen Namen in den Feuerkelch geworfen hatte; nicht ein Einziger von ihnen schien zu merken, da? er uberhaupt nicht in Feierstimmung war… Lee Jordan hatte irgendwo ein Gryffindor-Banner ausgegraben und er lie? sich nicht davon abbringen, es wie eine Toga um Harry zu wickeln. Kein Entkommen fur Harry; wann immer er versuchte sich zur Schlafsaaltreppe zu verdrucken, schlo? sich die Schar um ihn und drangte ihm noch ein Butterbier auf, druckte ihm Kartoffelchips und Erdnusse in die Hande… alle wollten sie wissen, wie er es geschafft hatte, Dumbledores Alterslinie auszutricksen und seinen Namenszettel in den Kelch zu werfen…
»Ich war's nicht«, sagte er immer und immer wieder.»Ich wei? nicht, was passiert ist.«
Doch er hatte genauso gut den Mund halten konnen, so wenig horten sie ihm zu.
»Ich bin mude!«, brullte er schlie?lich, nach fast einer halben Stunde.»Nein, im Ernst, George, ich geh zu Bett -«
Er wunschte sich nichts sehnlicher, als mit Ron und Hermine zu sprechen und wieder ein wenig zu sich zu kommen, aber keiner von beiden schien hier zu sein. Noch einmal rief er, da? er Schlaf brauche, und trat fast die kleinen Creevey-Bruder platt, die ihm am Fu? der Treppe auflauerten. Doch dann gelang es ihm, alle abzuschutteln, und er hastete, so schnell er konnte, die Treppe hoch zum Schlafsaal.
Zu seiner gro?en Erleichterung fand er Ron noch angezogen auf dem Bett im sonst leeren Schlafsaal liegen. Dieser hob den Kopf, als Harry die Tur hinter sich schlo?.
»Wo warst du?«, fragte Harry.
»Ach, hallooh«, sagte Ron.
Er grinste, doch es war ein sehr merkwurdiges, gezwungenes Grinsen. Harry wurde plotzlich klar, da? er immer noch das scharlachrote Gryffindor-Banner trug, das Lee ihm umgebunden hatte. Rasch wollte er es losschnuren, doch es war sehr fest verknotet. Ron lag reglos auf dem Bett und sah Harry zu, wie er verzweifelt versuchte das Tuch loszuwerden.
»Na denn«, sagte er, als sich Harry endlich von dem Banner befreit und es in eine Ecke gepfeffert hatte.»Gratuliere.«
»Was soll das denn hei?en, gratuliere?«, sagte Harry und sah Ron finster an. Etwas stimmte offensichtlich nicht mit Rons Lacheln; es war eher eine Grimasse.
»Na ja… keiner sonst ist uber die Alterslinie gekommen«, sagte Ron.»Nicht mal Fred und George. Wie hast du's gemacht – mit dem Tarnurnhang?«
»Mit dem Tarnurnhang ware ich nicht uber diese Linie gekommen«, sagte Harry langsam.
»Na gut«, sagte Ron.»Ich dachte nur, du hattest es mir sagen konnen, wenn es der Umhang gewesen ware… da hatten wir immerhin beide druntergepa?t, oder? Aber du hast was anderes gefunden?«
»Hor zu«, sagte Harry,»ich hab meinen Namen nicht in diesen Kelch geworfen. Jemand anderes mu? es getan haben.«
Ron hob die Brauen.»Warum sollte jemand das tun?«
»Wei? ich nicht«, sagte Harry. Er hatte das Gefuhl, es wurde auf peinliche Art schaurig klingen, wenn er sagen wurde,»um mich zu toten«.
Ron zog die Augenbrauen so weit hoch, da? sie unter seinen Haaren zu verschwinden schienen.
»Es ist schon in Ordnung, mir jedenfalls kannst du die Wahrheit erzahlen«, sagte er.»Wenn du nicht willst, da? es alle erfahren, schon, aber ich wei? nicht, warum du auch noch anfangst zu lugen, du hast ja nicht einmal Arger gekriegt, oder? Diese Freundin der fetten Dame, Violet, hat uns schon alles erzahlt. Dumbledore la?t dich teilnehmen. Tausend Galleonen Preisgeld, aber hallo. Und von den Prufungen bist du auch befreit…«
»Ich hab meinen Namen nicht in diesen Kelch geworfen!«, sagte Harry mit einem Anflug von Arger.
»Jaah, schon gut«, erwiderte Ron und klang dabei genauso unglaubig wie Cedric.»Aber du hast doch heute Morgen gesagt, du hattest es in der Nacht getan, damit dich keiner sieht… ich bin nicht blod, wei?t du.«
»Aber den Blodmann spielst du ziemlich gut«, blaffte ihn Harry an.
»Jaah?«, sagte Ron, und jetzt war keine Spur eines Grinsens, ob echt oder falsch, auf seinem Gesicht.»Du willst jetzt sicher schlafen, Harry, ich denke, du mu?t morgen fruh raus, fur einen Fototermin oder so was.«
Ron zog die Vorhange seines Himmelbetts zu, und Harry stand an der Tur und starrte auf den dunkelroten Stoff, der nun einen der wenigen Menschen verbarg, von denen er uberzeugt gewesen war, da? sie ihm glauben wurden.
Die Eichung der Zauberstabe
Als Harry am Sonntagmorgen erwachte, wu?te er zunachst nicht, warum er sich so besorgt und niedergeschlagen fuhlte. Dann uberkam ihn die Erinnerung an den Abend zuvor. Er setzte sich auf und ri? die Bettvorhange zur Seite, um auf der Stelle mit Ron zu sprechen, denn Ron mu?te ihm jetzt einfach glauben – doch dann sah er, da? Rons Bett leer war; offenbar war er schon unten beim Fruhstuck.
Harry zog sich an und stieg die Wendeltreppe in den Gemeinschaftsraum hinunter. Kaum war er eingetreten, fingen seine Mitschuler, die schon gefruhstuckt hatten, erneut an zu klatschen. Die Aussicht, in die Gro?e Halle zu gehen und dort den anderen Gryffindors zu begegnen, die ihn ebenfalls wie einen Helden feiern wurden, war nicht besonders verlockend; doch sollte er hier bleiben und sich von den Cree-vey-Brudern in die Zange nehmen lassen, die ihn begeistert zu sich heruberwinkten? Entschlossen ging er zum Portratloch, kletterte hinaus und sah sich plotzlich Hermine gegenuber.
»Hallo«, sagte sie. In der Hand hatte sie ein paar in Servietten gewickelte Toastbrote.»Das hier ist fur dich… hast du vielleicht Lust auf einen Spaziergang?«
»Gute Idee«, sagte Harry dankbar.
Sie gingen hinunter, durchquerten rasch die Eingangshalle, gingen hinaus und schlenderten uber den Rasen zum See hinuber, wo das am Ufer vertaute Schiff der Durmstrangs sich schwarz im Wasser spiegelte. Es war ein kalter Morgen, und wahrend sie im Gehen ihre Brote a?en, schilderte Harry ganz genau, was am Abend zuvor, nachdem er den Gryffindor-Tisch verlassen hatte, geschehen war. Als er merkte, da? Hermine ihm seine Geschichte ohne weitere Nachfragen glaubte, fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen.