»Mutiger Junge, Harry!«, polterte Hagrid.»Gut, schauen wir mal, wie du mit Seidenschnabel zurechtkommst.«
Er loste eine der Ketten, zog den grauen Hippogreif von seinen Artgenossen fort und befreite ihn von seinem Lederkragen. Die Klasse auf der anderen Seite des Zauns schien den Atem anzuhalten. Malfoys Augen waren gehassig verengt.
»Ruhig jetzt, Harry«, sagte Hagrid leise.»Du blickst ihm in die Augen, und versuch jetzt, nicht zu blinzeln… Hippogreife trauen dir nicht, wenn du zu viel blinzelst…«
Sofort wurden Harrys Augen feucht, doch er hielt sie offen. Seidenschnabel hatte seinen gro?en, scharf geschnittenen Kopf zur Seite geneigt und starrte Harry mit einem grimmigen orangefarbenen Auge an.
»Sehr gut, Harry«, sagte Hagrid.»Sehr gut, Harry… und jetzt verbeug dich…«
Harry hatte keine gro?e Lust, Seidenschnabel seinen Nacken preiszugeben, doch er tat, wie ihm gehei?en. Er verneigte sich kurz und sah dann auf
Der Hippogreif starrte ihn immer noch herablassend an. Er ruhrte sich nicht.
»Ah«, sagte Hagrid beunruhigt.»Na gut, zieh dich zuruck, Harry, und ganz vorsichtig -«
Doch zu Harrys gewaltiger Uberraschung knickte der Hippogreif plotzlich seine geschuppten Vorderknie ein und neigte unmi?verstandlich den Kopf
»Gut gemacht, Harry!«, sagte Hagrid ganz begeistert,»schon, du kannst ihn anfassen! Tatschel seinen Schnabel, nur zu!«
Harry hatte sich zur Belohnung lieber das Ende der Vorstellung gewunscht, doch er ging langsam auf den Hippogreif zu und streckte die Hand nach ihm aus. Er tatschelte ein wenig den Schnabel und der Hippogreif schlo? entspannt die Augen, als wurde es ihm gefallen.
Die ganze Klasse, au?er Malfoy, Crabbe und Goyle, die au?erst mi?vergnugt wirkten, brach in sturmischen Beifall aus.
»Jetzt weiter, Harry«, sagte Hagrid,»ich schatze, er la?t dich reiten!«
Damit allerdings hatte Harry nicht gerechnet. Er konnte auf einem Besen durch die Lufte fliegen; doch er war sich nicht sicher, ob ein Hippogreif nicht etwas ganz anderes war.
»Steig auf, gleich hinter den Flugelansatz«, sagte Hagrid,»und pa? auf, da? du keine Federn rausziehst, das mag er gar nicht…«
Harry setzte den Fu? auf den Flugel des Hippogreifs und schwang sich auf seinen Rucken. Seidenschnabel erhob sich. Harry wu?te nicht recht, wo er sich festhalten sollte; alles vor ihm war voller Federn.
»Dann mal los!«, polterte Hagrid und klatschte dem Hippogreif auf den Hintern.
Ohne Vorwarnung spannte das Geschopf seine drei Meter langen Flugel zu beiden Seiten von Harry aus; der hatte gerade noch Zeit, die Arme um seinen Hals zu schlingen, dann scho? er in die Hohe. Es war nicht zu vergleichen mit einem Besen, und Harry wu?te, was er lieber fliegen wollte; die Flugel des Hippogreifs schlugen heftig aus, gerieten unter seine Beine und drohten ihn abzuwerfen; die schimmernden Federn rutschten ihm durch die Finger, doch er wagte nicht, sie fester zu packen; dies war nicht das sanfte Gleiten seines Nimbus Zweitausend; das Hinterteil des Hippogreifs hob und senkte sich mit jedem Flugelschlag und Harry wippte vor und zuruck.
Seidenschnabel flog ihn einmal um die Koppel herum; dann neigte er den Kopf zur Erde; es war dieser steile Sinkflug, vor dem Harry Angst hatte; er lehnte sich zuruck, als der glatte Hals sich nach unten beugte, und hatte das Gefuhl, uber den Schnabel abzurutschen. Dann gab es einen schmerzhaften Aufprall, als die vier schlecht zusammenpassenden Fu?e auf dem Boden aufschlugen; er konnte sich gerade eben noch festhalten und richtete sich wieder auf.
»Gut gemacht, Harry!«, rief Hagrid, und alle au?er Malfoy, Crabbe und Goyle brachen in Jubel aus.»Gut, wer will als Nachster?«
Ermutigt durch Harrys Erfolg kletterte auch der Rest der Klasse vorsichtig in die Koppel. Hagrid loste die Hippogreife nacheinander von ihren Ketten, und bald waren auf der ganzen Koppel Schuler verteilt, die sich nervos verbeugten. Neville stolperte immer wieder ruckwarts davon, denn sein Hippogreif wollte einfach nicht in die Knie gehen. Ron und Hermine ubten unter den Augen von Harry mit einem kastanienbraunen Tier.
Malfoy, Crabbe und Goyle hatten sich Seidenschnabel vorgenommen. Er hatte sich vor Malfoy verbeugt, der ihm jetzt mit verachtlichem Blick den Schnabel tatschelte.
»Das ist doch kinderleicht«, schnarrte Malfoy so laut, da? Harry es horen konnte, hab ich doch gleich gewu?t, wenn Potter es schafft… ich wette, du bist uberhaupt nicht gefahrlich, oder?«, sagte er zu dem Hippogreif,»oder doch, du gro?es ha?liches Scheusal?«
Man sah nur ein stahlernes Schnabelblitzen; von Malfoy kam ein durchdringender Schrei und schon war Hagrid zur Stelle. Er zwangte den Lederkragen uber den Hals von Seidenschnabel und bemuhte sich, zu Malfoy zu gelangen, der zusammengerollt im Gras lag. Blutflecken erschienen auf seinem Umhang und wurden langsam gro?er.
»Ich sterbe!«, schrie Malfoy, und Panik machte sich breit.»Ich sterbe, seht her! Es hat mich umgebracht!«
»Du stirbst nicht!«, sagte Hagrid mit todbleichem Gesicht.»Helft mir mal, ich mu? ihn hier rausbringen -«
Hermine lief zum Tor und offnete es, wahrend Hagrid Malfoy muhelos von der Erde hob. Als Hagrid vorbeiging, bemerkte Harry eine lange, klaffende Wunde an Malfoys Arm; Blut besprenkelte das Gras, wahrend Hagrid mit seiner Last den Abhang zum Schlo? hochrannte.
Ratlos und verangstigt folgte ihm die Klasse. Die Slytherins schimpften lauthals uber Hagrid.
»Sie sollten ihn sofort rauswerfen!«, sagte Pansy Parkinson mit Tranen in den Augen.
»Malfoy war doch selber schuld«, herrschte sie Dean Thomas an. Crabbe und Goyle spielten drohend mit den Muskeln.
Sie stiegen die steinerne Treppe zur menschenleeren Eingangshalle empor.
»Ich schau nach, wie es ihm geht!«, sagte Pansy, und die Blicke der Ubrigen folgten ihr die marmorne Treppe hoch. Die Slytherins, immer noch uber Hagrid schimpfend, zogen sich in ihren Gemeinschaftsraum unten in den Kerkern zuruck; Harry, Ron und Hermine gingen die Treppen hoch zum Turm der Gryffindors.
»Glaubst du, er wird wieder gesund?«, sagte Hermine nervos.
»Naturlich, Madam Pomfrey kann Wunden in ein paar Sekunden heilen«, sagte Harry, dem die Krankenschwester schon viel schlimmere Verletzungen mit Zauberkraften geheilt hatte.
»Das war eine ziemlich uble Geschichte, ausgerechnet in Hagrids erster Unterrichtsstunde, meint ihr nicht?«, sagte Ron besorgt.»Ich wette, Malfoy wird ihm die Holle hei? machen…«
Sie waren unter den Ersten, die zum Abendessen in die Gro?e Halle kamen, weil sie hofften, Hagrid zu treffen. Doch er kam nicht.
»Sie werden ihn doch nicht entlassen?«, sagte Hermine besorgt und ruhrte ihren Pudding nicht an.
»Das sollen sie blo? nicht wagen«, sagte Ron, der ebenfalls nichts runterbrachte.
Harry beobachtete den Tisch der Slytherins. Crabbe und Goyle und eine Menge andere Schuler sa?en dort, die Kopfe zusammengesteckt, und redeten fieberhaft aufeinander ein. Harry war sich sicher, sie wurden ihre eigene Geschichte zusammenbrauen, wie es zu Malfoys Verletzung gekommen war.
»Immerhin kann man nicht behaupten, der erste Schultag sei langweilig gewesen«, sagte Ron mit dusterer Miene.
Nach dem Essen gingen sie nach oben in den belebten Gemeinschaftsraum der