»Nein, Vernon«, hickste Tante Magda mit erhobener Hand, wahrend sie ihre kleinen, blutunterlaufenen Augen fest auf Harry richtete.»Sprich weiter, Burschchen, nur weiter. Stolz auf deine Eltern, nicht wahr? Da gehen die doch einfach hin und fahren sich zu Tode – betrunken, nehm ich an -«
»Sie sind nicht bei einem Autounfall gestorben!«, sagte Harry, der plotzlich auf den Fu?en stand.
»Sind sie sehr wohl, du frecher kleiner Lugner, und sie haben dich zuruckgelassen als Last fur ihre anstandigen, hart arbeitenden Verwandten!«, schrie Tante Magda und schwoll vor Zorn an.»Du bist ein unverschamter, undankbarer kleiner -«
Doch Tante Magda verstummte plotzlich. Einen Moment lang sah es so aus, als fehlten ihr die Worte. Sie schien vor unsaglicher Wut anzuschwellen – doch es nahm kein Ende. Ihr gro?es rotes Gesicht dehnte sich aus, die winzigen Augen traten hervor und der Mund war so fest gespannt, da? sie nicht mehr sprechen konnte – und jetzt rissen einige Knopfe von ihrer Tweedjacke und flogen gegen die Wande – sie schwoll an wie ein monstroser Ballon, ihr Bauch platzte jetzt durch ihren Tweedbund, jeder einzelne Finger blahte sich zu Salamigro?e auf -
»Magda«, schrien Onkel Vernon und Tante Petunia wie einem Munde, als Tante Magdas ganzer Korper vom Stuhl abhob. Sie war jetzt kugelrund wie ein riesiger Wasserball mit Schweinchenaugen, Hande und Fu?e stachen merkwurdig ab, wahrend sie unter Wurgen und Puffen in die Hohe schwebte. Ripper kam ins Zimmer gewatschelt und fing an wie verruckt zu bellen.
»Neeeeeeeinn!«
Onkel Vernon packte Magda an einem Fu? und versuchte sie herunterzuziehen, doch er selbst hob beinahe vom Boden ab. Im nachsten Augenblick machte Ripper einen Satz und versenkte die Zahne in Onkel Vernons Bein.
Harry verschwand aus dem E?zimmer, bevor ihn jemand aufhalten konnte, und rannte zum Schrank unter der Treppe. Die Schranktur sprang von Zauberhand auf, als er sich naherte. Im Handumdrehen hatte er seinen gro?en Reisekoffer zur Haustur geschleift. Er sprintete die Treppe hoch, hechtete unter das Bett, ri? das lose Dielenbrett heraus und griff sich den Kissenuberzug mit seinen Buchern und Geschenken. Er kroch unter dem Bett hervor, packte Hedwigs leeren Kafig und sturzte die Treppe hinunter zu seinem Koffer, gerade als Onkel Vernon, die Hose in blutige Fetzen gerissen, aus dem E?zimmer platzte.
»Komm zuruck!«, bellte er,»komm rein und bring sie wieder in Ordnung!«
Doch Harry hatte ein rucksichtsloser Zorn uberwaltigt. Er stie? den Kofferdeckel auf, zog seinen Zauberstab heraus und richtete ihn auf Onkel Vernon.
»Sie hat es verdient«, sagte er nach Atem ringend,»sie hat verdient, was sie bekommen hat. Und du bleibst mir vom Hals.«
Er langte hinter sich und fummelte an der Turkette.»Ich gehe«, sagte Harry.»Mir reicht's.«Und schon war er drau?en auf der dunklen, stillen Stra?e; mit Hedwigs Kafig unter dem einen Arm schleifte er mit dem andern den Koffer hinter sich her.
Der Fahrende Ritter
Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nachtlichen Stra?en und sank schlie?lich keuchend auf ein Mauerchen am Magnolienring. Reglos sa? er da, doch noch immer kochte in ihm der Zorn und er spurte das rasende Pochen seines Herzens in den Ohren.
Nach zehn Minuten allein auf der dunklen Stra?e uberkam ihn ein neues Gefuhl: Panik. Wie er die Sache auch immer drehte und wendete, er war noch nie in einer so miserablen Lage gewesen, allein, auf sich gestellt, in der Welt der Muggel gestrandet und weit und breit niemand, an den er sich hatte wenden konnen. Das Schlimmste jedoch war, da? er gerade mutwillig gezaubert hatte, und das bedeutete, da? sie ihn fast sicher aus Hogwarts rauswerfen wurden. Er hatte die Verordnung zur Beschrankung der Zauberei Minderjahriger so kra? verletzt, da? er sich wunderte, da? die Vertreter des Zaubereiministeriums nicht hier und jetzt auf ihn niedersausten.
Zitternd sah er den Magnolienring entlang. Was wurde mit ihm geschehen? Wurden sie ihn verhaften oder ihn nur aus der Zaubererwelt verbannen? Er dachte an Ron und Hermine, und das Herz wurde ihm noch schwerer. Ron und Hermine, ob er nun kriminell war oder nicht, wurden ihm jetzt sicher helfen, doch sie waren beide im Ausland, und ohne Hedwig hatte er keine Moglichkeit, Verbindung mit ihnen aufzunehmen.
Au?erdem hatte er kein Muggelgeld. Ein wenig Zauberergold war im Geldbeutel unten im Koffer, doch der Rest des Vermogens, das ihm seine Eltern hinterlassen hatten, lagerte in einem Verlies der Gringotts-Zaubererbank in London. Seinen Koffer bis nach London zu schleifen wurde er nie schaffen. Au?er
Er sah hinunter auf seinen Zauberstab, den er immer noch umklammert hielt. Wenn er schon rausgeworfen war (sein Herz pochte nun so schnell, da? es wehtat), konnte noch ein wenig mehr Zauberei nicht weiter schaden. Er hatte den Tarnumhang, den er von seinem Vater geerbt hatte – was, wenn er den Koffer verzauberte, so da? er federleicht war, ihn an seinen Besen band, sich den Umhang uberwarf und einfach nach London flog? Dann konnte er den Rest seines Geldes aus dem Verlies holen und… sein neues Leben als Verbannter beginnen. Eine furchterliche Aussicht, doch er konnte ja nicht ewig auf dieser Mauer sitzen und am Ende noch der Muggelpolizei erklaren mussen, warum er sich mitten in der Nacht mit einem Koffer voller Zauberbucher und einem Besen herumtrieb.
Harry offnete den Koffer und kramte unter seinen Sachen nach dem Tarnumhang. Doch bevor er ihn gefunden hatte, richtete er sich plotzlich auf und sah sich um.
Ein komisches Prickeln im Nacken gab ihm das Gefuhl, er wurde beobachtet. Doch die Stra?e schien immer noch menschenleer und kein Fenster der gro?en, quadratischen Hauser war erleuchtet.
Er beugte sich wieder uber seinen Koffer, doch fast sofort stand er erneut auf, die Hand um den Zauberstab geklammert. Er ahnte es eher, als da? er es horte: jemand oder etwas stand hinter ihm, im schmalen Durchgang zwischen dem Zaun und einer Garage. Harry spahte in die Dunkelheit hinein. Wenn es sich nur bewegen wurde, dann wurde er sehen, ob es nur eine streunende Katze war – oder etwas anderes.
»Lumos«, murmelte Harry und an der Spitze seines Zauberstabes erschien ein Licht, das ihn fast blendete. Er hielt den Zauberstab hoch uber den Kopf, und die rauh verputzten Mauern von Nummer zwei glitzerten plotzlich; die Garagentur schimmerte und dazwischen sah Harry ganz deutlich die machtigen Umrisse von etwas sehr Gro?em mit weit aufgerissenen, gluhenden Augen.
Harry wich zuruck – er stie? mit dem Bein gegen seinen Koffer und stolperte. Der Zauberstab flog ihm aus der Hand, als er einen Arm ausstreckte, um den Sturz abzufangen, und er landete schmerzhaft im Rinnstein.
Da ertonte ein ohrenbetaubender Knall und Harry ri? die Hande vors Gesicht, um seine Augen vor dem jahen, blendenden Licht eines Scheinwerfers zu schutzen.
Mit einem Schrei rollte er zuruck auf den Gehweg, gerade noch rechtzeitig. Eine Sekunde spater kam ein gigantisches Paar Reifen ebendort quietschend zum Stehen, wo Harry gerade gelegen hatte. Sie gehorten, wie er erkannte, als er den Kopf hob, zu einem grell purpurfarbenen Bus, einem Dreidecker, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Goldene Lettern uber der Windschutzscheibe verkundeten: Der Fahrende Ritter.
Einen kurzen Moment lang fragte sich Harry, ob er nach seinem Sturz noch alle Tassen im Schrank hatte. Dann sprang ein Schaffner in purpurner Uniform aus dem Bus und begann laut in die Nacht hinein zu sprechen.
»Willkommen im Fahrenden Ritter, dem Nottransporter fur gestrandete Hexen und Zauberer. Strecken Sie einfach die Zauberstabhand aus, steigen Sie ein und wir fahren Sie, wohin Sie wollen. Mein Name ist Stan Shunpike und ich bin fur heute Abend Ihr Schaff-«
Der Schaffner verstummte jah. Er hatte Harry entdeckt, der immer noch auf dem