»Hallo, Harry!«, sagte er.»Du kommst von einer Prufung, nicht wahr? Hast es bald geschafft?«
»Ja«, sagte Harry. Hermine und Ron, die noch nie mit dem Zaubereiminister gesprochen hatten, hielten sich verlegen im Hintergrund.
»Schoner Tag«, sagte Fudge und lie? die Augen uber den See wandern.»Ein Jammer, wirklich ein Jammer…«
Er seufzte tief und sah zu Harry hinunter.
»Ich bin wegen einer unangenehmen Aufgabe hier, Harry. Der Ausschu? fur die Beseitigung gefahrlicher Geschopfe braucht einen Zeugen fur die Hinrichtung eines verruckten Hippogreifs. Da ich ohnehin in Hogwarts vorbeischauen mu?te, um mich in Sachen Black umzutun, wurde ich gebeten einzuspringen.«
»Soll das hei?en, die Berufungsverhandlung ist schon vorbei?«, warf Ron ein und trat einen Schritt vor.
»Nein, nein, sie ist fur heute Nachmittag angesetzt«, sagte Fudge und sah Ron neugierig an.
»Dann werden Sie ja vielleicht gar keine Hinrichtung bezeugen mussen!«, sagte Ron beherzt.»Der Hippogreif konnte ja freigesprochen werden!«
Bevor Fudge antworten konnte, traten hinter ihm zwei Zauberer durch das Schlo?portal. Der eine war so steinalt, da? er vor ihren Augen zu verwittern schien, der andere war gro? und rustig und hatte einen dunnen schwarzen Schnurrbart. Harry vermutete, da? sie zum Ausschu? fur die Beseitigung gefahrlicher Geschopfe gehorten, denn der steinalte Zauberer spahte hinuber zu Hagrids Hutte und sagte mit dunner Stimme:
»Meine Gute, ich werd langsam zu alt fur diese Geschichten… es ist doch schon zwei, nicht wahr, Fudge?«
Der Mann mit dem schwarzen Schnurrbart nestelte an seinem Gurtel; Harry sah naher hin und erkannte jetzt, da? er mit seinem breiten Daumen an der schimmernden Klinge eines Beils entlang fuhr. Ron offnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Hermine stie? ihm heftig in die Rippen und nickte mit dem Kopf zum Eingang.
»Warum hast du mich aufgehalten?«, sagte Ron wutend, als sie zum Mittagessen in die Gro?e Halle traten.»Hast du die beiden gesehen? Die haben ja schon das Beil bereit! Das ist doch nicht fair!«
»Ron, dein Dad arbeitet im Ministerium, da kannst du doch nicht so mit seinem Chef reden!«, sagte Hermine, doch auch sie schien ganz aufgebracht.»Wenn Hagrid diesmal die Nerven behalt und seine Sache richtig vertritt, konnen sie Seidenschnabel auf keinen Fall toten…«
Doch Harry war klar, da? Hermine nicht wirklich an ihre eigenen Worte glaubte. Die andern Schuler um sie herum schwatzten und lachten und freuten sich auf den Nachmittag, wenn alles vorbei sein wurde, doch Harry, Ron und Hermine waren sehr besorgt wegen Hagrid und Seidenschnabel und hatten keine Lust sich dem Getummel anzuschlie?en.
Harry und Ron hatten ihre letzte Prufung in Wahrsagen, Hermine in Muggelkunde. Sie gingen zusammen die Marmortreppe hoch, oben verabschiedete sie sich und Harry und Ron stiegen weiter bis in den siebten Stock, wo schon einige aus ihrer Klasse auf der Wendeltreppe zu Professor Trelawneys Zimmer sa?en und sich in letzter Minute noch abfragten.
Die beiden setzten sich zu Neville.»Sie will uns alle einzeln drannehmen«, erklarte er. Auf seinem Scho? lag Entnebelung der Zukunft, das Kapitel uber Kristallkugeln aufgeschlagen.»Hat einer von euch jemals irgendwas in einer Kristallkugel gesehen?«, fragte er bekummert.
»Null«, sagte Ron beilaufig. Immer wieder sah er auf die Uhr; Harry wu?te, da? er die Minuten bis zum Beginn von Seidenschnabels Verhandlung zahlte.
Die Warteschlange vor dem Klassenzimmer wurde nur mahlich kurzer. Jeden, der die silberne Leiter herabstieg, locherten sie mit gezischelten Fragen:
»Was wollte sie wissen? War es schwer?«
Doch keiner mochte etwas sagen.
»Sie meint, sie wisse aus der Kristallkugel, da? mir was Furchtbares passieren wird, wenn ich es verrate!«, quiekte Neville, als er die Leiter zu Harry und Ron herunterkletterte, die unten warteten.
»Das macht sie geschickt«, schnaubte Ron.»Wei?t du, allmahlich glaube ich, da? Hermine Recht hatte«(er wies mit dem Daumen nach unten),»sie ist nichts weiter als 'ne olle Schwindlerin.«
»Stimmt«, sagte Harry und sah jetzt selbst auf die Uhr. Inzwischen war es zwei.»Wenn sie sich nur beeilen wurde…«
Parvati kam gluhend vor Stolz die Leiter herunter.
»Sie sagt, ich hatte alles, was eine wahre Seherin braucht«, verkundete sie Harry und Ron.»Ich hab ja so viel gesehen… also, viel Gluck!«
Und sie kletterte die Wendeltreppe hinunter, wo Lavender auf sie wartete.
»Ronald Weasley«, sagte die vertraute rauchige Stimme uber ihren Kopfen. Ron zog eine Grimasse, kletterte die silberne Leiter hoch und verschwand. Jetzt war nur noch Harry ubrig. Er setzte sich mit dem Rucken an der Wand auf den Boden und lauschte dem Summen einer Fliege am sonnendurchfluteten Fenster. In Gedanken war er druben am Waldrand bei Hagrid.
Endlich, nach zwanzig Minuten, erschienen Rons gro?e Fu?e auf der Leiter.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Harry und stand auf
»Bescheuert«, sagte Ron.»Hab uberhaupt nichts gesehen, also hab ich was erfunden. Glaub aber nicht, da? sie richtig uberzeugt war…«
»Wir treffen uns im Gemeinschaftsraum«, murmelte Harry, und schon rief Professor Trelawney»Harry Potter!«.
Im Turmzimmer war es stickiger denn je; die Vorhange waren zugezogen, das Feuer loderte und die su?lichen Dunste lie?en Harry husten. Er stolperte durch das Gewirr von Stuhlen und Tischen hinuber zu Professor Trelawney, die vor einer gro?en Kristallkugel sa?.
»Guten Tag, mein Lieber«, sagte sie sanft.»Wenn Sie so nett waren, in die Kugel zu schauen… lassen Sie sich ruhig Zeit… und dann sagen Sie mir, was Sie sehen…«
Harry beugte sich uber die Kristallkugel und starrte hinein, mit aller Kraft suchte er nach etwas anderem als dem wei?en Nebelgewaber, doch nichts geschah.
»Nun?«, hakte Professor Trelawney sachte nach.»Was sehen Sie?«
Die Hitze uberwaltigte ihn und der parfumierte Rauch, der vom Feuer heruberwaberte, stach ihm in die Nase. Er dachte an Ron und beschlo?, es ihm gleichzutun.
»Ahm -«, sagte Harry,»eine dunkle Gestalt… ah…«
»Wem ahnelt sie?«, flusterte Professor Trelawney.»Denken Sie mal nach…«
Harry lie? die Gedanken schweifen und sie landeten bei Seidenschnabel.
»Einem Hippogreif«, sagte er entschieden.
»Tatsachlich!«, flusterte Professor Trelawney und kritzelte eifrig Notizen auf das Blatt Pergament auf ihren Knien.
»Mein Lieber, gewi? sehen Sie, wie dieser Streit des armen Hagrid mit dem Zaubereiministerium ausgeht! Sehen Sie genauer hin… hat der Hippogreif denn noch… seinen Kopf?«
»Ja«, sagte Harry nachdrucklich.
»Sind Sie sicher?«, drangte ihn Professor Trelawney.»Sind Sie ganz sicher, mein Lieber? Sehen Sie nicht vielleicht doch, wie er sich auf der Erde windet und eine dunkle Gestalt uber ihm die Axt erhebt?«
»Nein!«, sagte Harry und allmahlich wurde ihm schlecht.
»Kein Blut? Kein weinender Hagrid?«
»Nein!«, sagte Harry noch einmal und wunschte sich nichts sehnlicher als endlich aus diesem stickigen Zimmer zu entkommen.»Er sieht gut aus, er – fliegt davon…«
Professor Trelawney seufzte.