vor, die erste bekannte Kodifizierung.

Die altesten vollstandig erhaltenen Texte der alten Gesetze Irlands finden sich in einem Manuskript aus dem elften Jahrhundert, das in der Royal Irish Academy in Dublin aufbewahrt wird. Erst im siebzehnten Jahrhundert gelang es der englischen Kolonialverwaltung in Irland schlie?lich, die Anwendung der Gesetze der Brehons zu unterdrucken. Selbst der Besitz eines irischen Gesetzbuchs wurde bestraft, oft mit dem Tode oder der Verbannung.

Das Rechtssystem war nicht statisch. Alle drei Jahre kamen die Rechtsgelehrten und Richter beim Feis Teamhrach (Fest von Tara) zusammen und pruften und verbesserten die Gesetze entsprechend der sich verandernden Gesellschaft und ihrer Bedurfnisse.

Diese Gesetze wiesen der Frau eine einzigartige Stellung zu. Die irischen Gesetze gaben den Frauen mehr Rechte und gro?eren Schutz als irgendein anderes westliches Gesetzeswerk bis in die jungste Zeit. Frauen konnten sich gleichberechtigt mit den Mannern um jedes Amt bewerben und jeden Beruf ergreifen, und sie taten es auch. Sie konnten politische Fuhrer werden, Krieger in Schlachten befehligen, Arzte, Friedensrichter, Dichter, Handwerker, Anwalte und Richter werden. Wir kennen die Namen vieler Richterinnen aus Fidelmas Zeit: Brig Briugaid und Aine In-gine Iugaire zum Beispiel und Dari, die nicht nur Richterin war, sondern auch einen beruhmten Gesetzestext verfa?te, der im sechsten Jahrhundert aufgezeichnet wurde.

Die Gesetze schutzten die Frauen vor sexueller Belastigung, vor Diskriminierung und vor Vergewaltigung. Sie konnten sich auf gleichem Rechtsfu? gesetzlich von ihren Ehemannern scheiden lassen und dabei einen Teil des Vermogens des Mannes als Abfindung verlangen. Sie konnten personliches Eigentum erben und hatten Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zu Hause lagen oder im Krankenhaus. Im alten Irland gab es die ersten Krankenhauser, die in Europa bekannt sind. Aus heutiger Sicht verkorperten die Gesetze der Brehons eine beinahe ideale Gesellschaft.

Diesen Hintergrund und seinen starken Gegensatz zu den Nachbarlandern Irlands sollte man sich vor Augen halten, um Fidelmas Rolle in diesen Geschichten zu verstehen.

Fidelma ging zum Studium an die weltliche Hochschule des Brehon Morann von Tara. Nach acht Jahren erlangte sie den Grad eines anruth, den zweithochsten, den die weltlichen oder kirchlichen Hochschulen des alten Irlands zu vergeben hatten. Der hochste Grad hie? ollamh, und das ist noch heute das irische Wort fur Professor. Fidelma hatte sowohl das Strafrecht Senchus Mor als auch das Zivilrecht Leab-har Acaill studiert. Dadurch wurde sie dalaigh, Anwaltin bei Gericht.

In jener Zeit gehorten die meisten Vertreter der geistigen Berufe den neuen christlichen Klostern an, so wie in den Jahrhunderten davor alle Vertreter der geistigen Berufe Druiden waren. Fidelma trat in die geistliche Gemeinschaft in Kildare ein, die im spaten funften Jahrhundert von der heiligen Brigitta gegrundet worden war. Zum Zeitpunkt der Handlung dieser Geschichte hatte Fidelma jedoch Kildare bereits enttauscht verlassen. Die Grunde dafur sind in der Kurzgeschichte »Hemlock at Vespers« beschrieben.

Wahrend das siebente Jahrhundert in Europa zum »finsteren Mittelalter« gezahlt wird, gilt es in Irland als ein Zeitalter der »goldenen Aufklarung«. Aus allen Landern Europas stromten Studierende an die irischen Hochschulen, um sich dort ausbilden zu lassen, unter ihnen auch die Sohne vieler angelsachsischer Konige. An der gro?en kirchlichen Hochschule in Durrow sind zu dieser Zeit Studenten aus nicht weniger als achtzehn Nationen verzeichnet. Zur selben Zeit brachen mannliche und weibliche Missionare aus Irland auf, um das heidnische Europa zum Christentum zu bekehren. Sie grundeten Kirchen, Kloster und Zentren der Gelehrsamkeit bis nach Kiew in der Ukraine im Osten, den Faroer-Inseln im Norden und Tarent in Suditalien im Suden. Irland war der Inbegriff von Bildung und Wissenschaft.

Die Kirche, die wir heute die keltische nennen, lag jedoch in einem standigen Streit uber Fragen der Liturgie und der Riten mit der Kirche in Rom. Die romische Kirche hatte sich im vierten Jahrhundert reformiert, die Festlegung des Osterfests und Teile ihrer Liturgie geandert. Die keltische Kirche und die Orthodoxe Kirche des Ostens behaupteten ihre Unabhangigkeit von Rom in solchen Fragen. Zu Fidelmas Zeit wurde die keltische Kirche Irlands von dieser Auseinandersetzung stark beansprucht, so da? man unmoglich uber kirchliche Angelegenheiten schreiben kann, ohne auf diesen geistlichen Streit einzugehen.

Eine Gemeinsamkeit sowohl der keltischen wie der romischen Kirche bestand darin, da? das Zolibat nicht allgemein ublich war. Es gab zwar in den Kirchen immer Asketen, die die korperliche Liebe zur Verehrung der Gottheit vergeistigten, und auf dem Konzil von Nicaa im Jahre 325 hatte die Westkirche Heiraten von Geistlichen verurteilt, aber nicht verboten. Das Zolibat in der romischen Kirche leitete sich hauptsachlich von den Brauchen der heidnischen Prieste-rinnen der Vesta und der Priester der Diana her.

Im funften Jahrhundert hatte Rom den Geistlichen im Range eines Abts oder Bischofs untersagt, mit ihren Ehefrauen zu schlafen, und bald danach die Heirat ganzlich verboten. Den niederen Geistlichen riet Rom von der Heirat ab, verbot sie ihnen aber nicht.

Erst der Reformpapst Leo IX. (1049-1054) unternahm ernsthaft den Versuch, den Klerikern der westlichen Lander das allgemeine Zolibat aufzuzwingen. Es dauerte Jahrhunderte, bis die keltische Kirche ihren Widerstand gegen das Zolibat aufgab und sich der romischen Kirche fugte, wahrend in der ostlichen Orthodoxen Kirche die Priester unterhalb des Ranges von Abt und Bischof bis heute das Recht zur Heirat haben.

Das Wissen um die freie Einstellung der keltischen Kirche zu geschlechtlichen Beziehungen ist wesentlich fur das Verstandnis des Hintergrunds der Fidelma-Romane. Die Verurteilung der »Sunde des Fleisches« blieb der keltischen Kirche noch lange fremd, nachdem sie in der romischen bereits zum Dogma geworden war. Zu Fidelmas Zeit lebten beide Geschlechter in Abteien und Klostern zusammen, die als conhospi-tae oder Doppelhauser bekannt waren, und erzogen ihre Kinder im Dienste Christi.

Fidelmas eigenes Kloster der heiligen Brigitta war zu ihrer Zeit solch eine Gemeinschaft beider Geschlechter. Als Brigitta sie in Kildare (Cill Dara = die Kirche der Eichen) grundete, lud sie einen Bischof namens Conlaed ein, sich mit ihr zusammenzutun. Ihre erste erhaltene Biographie wurde 650, funfzig Jahre nach ihrem Tode und zu Fidelmas Lebzeiten, von einem Monch in Kildare mit Namen Cogitosus geschrieben, der keinen Zweifel daran la?t, da? es auch nach ihrem Tode weiterhin eine gemischte Gemeinschaft war.

Zum Beweis fur die gleichberechtigte Stellung der Frauen ware noch darauf hinzuweisen, da? in der keltischen Kirche jener Zeit Frauen auch Priester werden konnten. Brigitta selbst wurde von Patricks Neffen Mel zur Bischofin geweiht, und sie war nicht die einzige. Rom protestierte im sechsten Jahrhundert schriftlich gegen die keltische Praxis, Frauen die heilige Messe zelebrieren zu lassen.

Im Unterschied zur romischen Kirche verfugte die irische Kirche uber kein System von »Beichtvatern«, Geistlichen, denen die »Sunden« gebeichtet werden mu?ten und die dann die Vollmacht besa?en, von diesen Sunden in Christi Namen loszusprechen. Statt dessen wahlte man sich einen anam chara, einen »Seelenfreund«, einen Kleriker oder Laien, mit dem man seine emotionalen und geistigen Probleme besprach.

Damit sich der Leser leichter zurechtfindet, habe ich eine Liste der Hauptpersonen beigefugt. Die Handlung spielt im Dezember 666. Es war der neue irische christliche Monat Nollaig, nach dem lateinischen natalicia - Geburtsfest - benannt, wahrend nur wenige Jahre zuvor die Iren ihn noch als Medonach Gemrid - als Mittwinter - bezeichnet hatten.

Hauptpersonen

Schwester Fidelma von Cashel, eine dalaigh oder Anwaltin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsachsischer Monch aus dem Lande des Sudvolks

IN CYNRICS GASTHAUS

Cynric, der Gastwirt

»Der verruckte« Mul, ein Bauer

IN ALDREDS ABTEI

ABT CILD

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