»Ich habe nicht in erster Linie das Wetter gemeint. Der Mensch ist oft grausamer als die Elemente, mein Freund. An vielen Orten sind die christlichen Gemeinschaften jetzt Uberfallen ausgesetzt. Der neue Glaube wird heftig angefeindet.«

»Uberfallen ausgesetzt? Von wem?« wollte Eadulf wissen. Widerwillig lie? er sich am Feuer nieder, wahrend der Gastwirt einen Becher Apfelwein aus einem Holzfa? schopfte.

»Von denen, die zur Verehrung Wotans zuruckgekehrt sind, naturlich. Im Konigreich der Ost-Sachsen tobt ein Burgerkrieg zwischen Konig Sigehere und seinem eigenen Vetter, Prinz Sebbi. Sie kampfen nicht nur um die Krone, sondern jeder fur seinen Glauben. Du mu?t doch durch das Land der Ost-Sachsen gekommen sein, um hierher zu gelangen? Hast du nichts von dem Konflikt bemerkt?«

Eadulf schuttelte den Kopf und nahm den Becher entgegen. Vorsichtig nippte er daran. Das Getrank war su? und stark.

»Ich wu?te nicht, da? der Streit zu offenem Krieg gefuhrt hat«, sagte er nach einem weiteren Schluck. »Sigehere und Sebbi wandelten beide fest auf dem Weg Christi, als ich dieses Konigreich verlie?, und es gab keine Feindschaft zwischen ihnen.«

»Wie du sagst, beide waren Christen. Aber als vor zwei Jahren die Gelbe Pest bei den Ost-Sachsen ausbrach, kam Sigehere zu der Uberzeugung, das ware die Strafe der alten Gotter fur die, die von ihnen abgefallen waren. Deshalb wandte er sich von dem neuen Glauben ab und stellte die heidnischen Tempel wieder her. Sein Vetter Sebbi blieb dem neuen Glauben treu. Beide haben Anhanger, die das Land verwusten, die heiligen Statten der jeweils anderen Religion zerstoren und die Gottesdiener, die ihnen in die Hande fallen, umbringen, ob es nun die Christi oder die Wotans und der alten Gotter sind.«

Eadulf war entsetzt. In Canterbury hatte er zwar von Unstimmigkeiten unter den Ost-Sachsen gehort, aber von Gewalttaten oder Krieg war nicht die Rede gewesen. Er erschauerte leicht bei dem Gedanken, da? er beinahe beschlossen hatte, von Kent durch das Konigreich der Ost-Sachsen in sein Land des Sudvolks zu reisen. Wie der Gastwirt annahm, ware das die normale Reiseroute gewesen. Es war ein Zufall, da? er auf dem Wege von Canterbury nach Norden in dem kleinen Hafen Hwita’s Staple einen alten Bekannten getroffen hatte. Stuf war ein Schiffskapitan, der die Kusten der angelsachsischen Konigreiche befuhr, und er uberredete Eadulf, mit ihm den direkten Weg ins Land des Sudvolks zu nehmen. Das hatte die Reise um mehrere Tage verkurzt. Stufs Schiff hatte Eadulf in der Stadt St. Felix’s Stowe abgesetzt, wo der heilige Missionar vor etwa zwanzig Jahren eine Abtei gegrundet hatte. Dank dieser zufalligen Begegnung mit Stuf hatte Eadulf das unruhige Konigreich der OstSachsen umgangen.

»Dann hatten wir also Gluck, Gastwirt, da? wir uber See aus dem Konigreich Kent hergereist sind«, uberlegte er laut.

»Ach, dann seid ihr also nicht durch das Land Sige-heres und Sebbis gekommen?« Cynrics verblufftes Gesicht erhellte sich etwas. »Diese Wahl der Route war ein Segen fur euch. Aber selbst hier im Lande des Sudvolks gibt es Reibereien zwischen den Christen und den Heiden. Der Konflikt hat die Grenze ubersprungen, und Sigehere schurt die Spannungen in der Hoffnung, bei uns Verbundete zu finden. Im Moorland treiben sich Geachtete herum, und au?erdem haben wir naturlich mit Kriegsdrohungen unseres westlichen Nachbarn Mercia zu tun. Von dort gibt es standig Uberfalle.«

»Wann war Mercia mal keine Bedrohung fur das Konigreich der Ost-Angeln?« fragte Eadulf mit grimmigem Spott. Sein ganzes Leben lang konnte er sich an den standigen Krieg zwischen East Anglia und Mercia erinnern.

»Erst kurzlich hat unser Konig Ealdwulf die Forderung des Konigs von Mercia, East Anglia solle ihm Tribut zahlen, zuruckgewiesen. Da Ealdwulfs Mutter Hereswith aus dem Konigshaus von Northumbria stammt, rechnen wir auf ein Bundnis, das der Drohung aus Mercia entgegenwirkt. Wir haben gute Aussichten, wenn es Konig Ealdwulf gelingt zu verhindern, da? der innere Zwist zwischen Heiden und Christen hierher ubergreift. Das ist es, wovor ich dich warne, Eadulf von Seaxmund’s Ham: Geh nicht davon aus, da? jeder dich und deine Gefahrtin in Freundschaft begru?t und eure Kleidung respektiert. Es gibt viel Bitterkeit in unserem Land. Ein paar Thane haben sogar gedroht, sich Sigehere von den Ost-Sachsen anzuschlie?en, wenn Konig Ealdwulf sich nicht vom Christentum lossagt. Es gart im Lande, Bruder. Du hast dir eine gefahrliche Zeit fur deine Heimkehr ausgesucht.«

Bruder Eadulf seufzte tief. »Das sieht so aus.«

Cynric legte noch ein Scheit aufs Feuer. In dem Augenblick offnete sich eine Tur an der entgegengesetzten Seite des Raumes, und eine hochgewachsene, rothaarige Nonne trat ein. Sie schenkte Eadulf ein rasches Lacheln.

»Meine Kleider sind jetzt trocken, und mir ist nicht mehr so kalt wie bei unserer Ankunft.« Sie sprach Irisch, wie es zwischen ihnen ublich war. »Ich hatte gern etwas Gluhwein, um mich von innen zu erwarmen.«

Eadulf erwiderte erfreut ihr Lacheln und deutete auf einen Stuhl neben sich am Feuer.

»Ich glaube nicht, da? ein angelsachsisches Gasthaus Traubenwein zu bieten hat, aber es gibt guten Apfelwein oder Met, wenn dir der lieber ist.«

»Eher Apfelwein als Met, wenn es keinen Wein gibt«, antwortete sie.

Der Gastwirt hatte dem Gesprach geduldig, aber verstandnislos zugehort.

»Ich glaube kaum, da? du Wein hast, Gastwirt?« fragte Eadulf.

»Du wurdest dich irren, wenn du das glaubst, Bruder. Wo sollte ich denn Wein herhaben, und wenn ich welchen hatte, wer sollte ihn mir abkaufen? Die Weinladungen, die in Felix’s Stowe anlangen, gehen meistenteils an die Abtei oder an die anderen Kloster entlang der Kuste. In Aldreds Abtei findest du Wein, aber hier nicht.«

»Dann bring meiner Gefahrtin deinen besten Apfelwein.«

Der Gastwirt schaute die Nonne an und fragte Eadulf: »Deine Gefahrtin spricht also kein Angelsachsisch?« Er war uberrascht, als sich die Nonne umdrehte und ihn etwas stockend ansprach.

»Genug, um dem Gesprach ungefahr zu folgen, Gastwirt. Aber meine Kenntnis reicht nicht aus, um alle Nuancen deiner Sprache zu verstehen.«

Der Wirt wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich habe gehort, die Iren kennen sich in allen Sprachen der Welt aus.«

»Das ist sehr schmeichelhaft fur mein Volk. Unsere Missionare bemuhen sich, mehrere Sprachen zu beherrschen, damit sie ihre Aufgabe erfullen konnen: Latein, Griechisch, ein wenig Hebraisch und die Sprachen unserer Nachbarn. Aber unsere Fahigkeit, Sprachen zu sprechen, ist weder gro?er noch geringer als die anderer unter den gleichen Bedingungen und bei gleichen Gelegenheiten.«

Eadulf nickte anerkennend und ging uber ein oder zwei leichte Versto?e gegen die Grammatik hinweg.

Der Gastwirt fullte einen weiteren Becher und reichte ihn Fidelma. Wahrend sie genu?voll daran nippte, bestellte Eadulf eine Fleischpastete zum Abendbrot, die ihm Cynric als Spezialitat des Hauses empfohlen hatte.

»Der Wirt meint, heute abend erreichen wir Al-dreds Abtei nicht mehr«, begann Eadulf, als Cynric gegangen war, um das Essen zuzubereiten.

»Das glaube ich auch«, erwiderte Fidelma ernst nach einem Blick auf das kleine, vom Schnee zugewehte Fenster. »Ich habe noch nie so gefroren und noch keinen Schnee gesehen, der so wie kleine Eisstucke wirkte.«

»Aber Bruder Botulf hat sich klar ausgedruckt. Ich soll heute vor Mitternacht in der Abtei sein. Das hat er in der Botschaft, die er mir nach Canterbury schickte, deutlich unterstrichen.«

»Er mu? das Wetter berucksichtigen«, erklarte Fidelma achselzuckend. »Dieser Sturm nimmt dir die Sache vollig aus der Hand.«

»Trotzdem, warum hat er Datum und Uhrzeit so betont?«

»Du sagst, dieser ... Botulf? Ich kann eure angelsachsischen Namen immer noch schwer aussprechen. Du sagst, dieser Botulf ist dein guter Freund?«

Eadulf nickte rasch. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Er mu? wirklich in Not sein, sonst hatte er mir nicht solch eine Botschaft geschickt.«

»Aber darin hat er nichts erklart. Er mu? sehr auf deine Freundschaft bauen, wenn er erwartet, da? du Canterbury sofort verla?t und hierher sturmst.«

»Er konnte sich denken, da? ich, wenn ich schon in Canterbury bin, danach in meine Heimat nach Seax- mund’s Ham reisen wurde. Er konnte davon ausgehen, da? mein Weg an seiner Tur vorbeifuhrt«, verteidigte sich Eadulf. »Mein Heimatort liegt nur sechs Meilen jenseits der Abtei.«

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