letztere Moglichkeit wurde jedoch auf der Stelle verworfen, denn es war klar, da? wir mit denselben Gefahren konfrontiert sein wurden, ob wir nun weiterzogen oder zuruckfuhren. Au?erdem hatten wir uns dazu entschlossen, unsere Fahrt um jeden Preis fortzusetzen. Unter diesen Umstanden hielten wir es jedoch fur sehr gefahrlich, am Ufer zu ubernachten. Wir stiegen also wieder in unsere Kanus, paddelten bis in die Mitte des Stromes, der an dieser Stelle nicht sehr breit war, und verankerten sie dort mit Hilfe von gro?en Steinen, die wir an Seile aus Kokosnu?fasern banden, von denen wir in jedem der Boote im Uberflu? hatten.
Hier jedoch fra?en uns die Moskitos beinahe bei lebendigem Leibe. Das - in Verbindung mit der Sorge um unsere nicht sehr aussichtsreiche Lage - brachte mich, im Gegensatz zu den anderen, vollig um den Schlaf. Ich lag also wach, rauchte, dachte uber viele Dinge nach, und lauschte den pausenlosen Attacken der Moskitos des Tanaflusses. Da ich jedoch ein sehr praktisch veranlagter Mensch bin, kreisten meine Gedanken hauptsachlich darum, wie wir den schurkischen Masai entwischen konnten. Es war eine wunderschone Nacht. Der Mond stand am Himmel, und ich war - abgesehen von der Moskitoplage, der Gefahr, die wir liefen, am Fieber zu erkranken, wenn wir an einem solchen Orte schliefen, dem Krampf, den ich durch die beengte Lage in dem Kanu allmahlich in meinem rechten Bein verspurte, sowie dem furchterlichen Geruch, den der Wakwafi der direkt neben mir schlief, ausstromte - guter Dinge und in angenehmer Stimmung. Das Mondlicht spielte auf der Oberflache des Wassers, das unaufhaltsam an uns vorbeirauschte, dem Meere zu, wie das Leben der Menschen dem Tode entgegenflie?t, und es glitzerte an den Stellen, wo die Baume keine Schatten warfen und das Mondlicht ungehindert auf das Wasser treffen konnte, wie Silberfolie. In der Nahe der Ufer jedoch war es sehr dunkel, und der Nachtwind sang mit einem tiefen Seufzen sein trauriges Lied im Schilf. Zu unserer Linken, auf der entfernteren Seite des Ufers, war eine kleine Einbuchtung mit einem Sandstrand, auf dem keine Baume standen. Dort konnte ich die schemenhaften Umrisse einer Gruppe von Antilopen erkennen die sich langsam auf das Wasser zubewegten. Plotzlich erscholl ein unheilvolles Rohren, und sie stoben blitzschnell davon. Nach einer Weile erkannte ich die machtige Gestalt Seiner Majestat, des Lowen, der nun ans Wasser gekommen war, um mit gierigem Trunk sein Nachtmahl zu beschlie?en. Kurz darauf verschwand er wieder, und dann vernahm ich, etwa funfzig Yards oberhalb von uns, den knisternden Laut berstenden Schilfes. Einige Minuten spater tauchte eine riesige schwarze Masse aus dem Wasser auf, kaum zwanzig Yards von mir entfernt, und gab ein schnaubendes Gerausch von sich. Es war der Kopf eines Flu?pferdes. Lautlos tauchte es wieder unter, nur um unmittelbar danach ein paar Yards neben unserem Kanu wieder aufzutauchen. Das war mir nun doch entschieden zu nah, und ich fuhlte mich ziemlich unbehaglich, zumal das Flu?pferd sich nun auch noch ganz augenscheinlich dazu animiert fuhlte, herauszukriegen, was in drei Teufels Namen das fur ein Ding war, das da so dicht neben ihm auf dem Wasser schaukelte. Es offnete sein riesiges Maul, wahrscheinlich, um zu gahnen, und verhalf mir damit zu einem hervorragenden Einblick in das Innere seines mit riesigen Zahnen ausgestatteten Rachens. Mir scho? der Gedanke durch den Kopf, mit welcher Leichtigkeit es unser Kanu mit einem einzigen Bi? zermalmen konnte. Schon halb entschlossen, ihm eins aus meiner gro?kalibrigen Buchse zu verpassen, uberlegte ich mir dann doch, es besser in Ruhe zu lassen und abzuwarten, bis es tatsachlich das Boot angriff. Im selben Augenblick verschwand es auch schon wieder unter der Wasseroberflache und ward nicht mehr gesehen.
Als ich, noch nach dem Flu?pferd Ausschau haltend, meinen Blick uber das rechte Ufer schweifen lie?, kam es mir so vor, als sahe ich eine dunkle Gestalt zwischen den Baumen entlanghuschen. Ich habe sehr gute Augen, und ich war ziemlich sicher, etwas gesehen zu haben; es war mir jedoch unmoglich, zu sagen, ob es sich um einen Vogel, ein Tier oder einen Menschen gehandelt hatte. In diesem Moment jedoch schob sich eine gro?e dunkle Wolke vor den Mond, und es wurde mit einem Schlag stockfinster. Zur gleichen Zeit erhob sich, obwohl alle anderen Gerausche des Waldes verstummt waren, das langgezogene Geheul einer gehornten Eule, deren Ruf ich sehr gut kannte. Nach einer Weile verstummte auch dieser Laut, und au?er dem Rascheln der Baume und des Schilfs im Winde herrschte nun absolute Stille.
Aber irgendwie war ich auf unerklarliche Weise plotzlich nervos geworden. Es gab eigentlich keinen besonderen Grund fur meine Nervositat, abgesehen von den alltaglichen Gefahren naturlich, die dem Rei-senden in Zentralafrika auf Schritt und Tritt begegnen konnen. Und dennoch war ich es. Wenn mich irgend etwas furchterlich in Rage bringt, weil ich einfach an so etwas nicht glauben will, dann sind das Vorahnungen. Und genau eine solche hatte ich in diesem Augenblick: ich war ganz plotzlich erfullt, ja besessen von der unbezweifelbaren Vorahnung, da? eine schreckliche Gefahr herannahe. Ich wollte mich indessen um keinen Preis von diesem Gefuhl irre machen lassen, obschon ich spurte, da? mir der kalte Schwei? auf der Stirn stand. Ich wollte die anderen nicht in Aufruhr bringen. Ich wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger, und mein Puls jagte wie der eines Sterbenden; das entsetzliche Gefuhl, in ohnmachtigem Schrecken befangen zu sein, ein Gefuhl, das jedem vertraut ist, der dann und wann an Alptraumen leidet, lie? meine Nerven formlich flattern. Dennoch war mein Wille immer noch starker als meine Furcht, und ich zwang mich dazu, ruhig in meiner mehr als unbequemen Position in dem Kanu zu verharren. (Ich sa? eigentlich mehr, als da? ich lag, im Bug des Kanus zusammengekauert.) Nur dann und wann drehte ich meinen Kopf ein wenig, um Umslopogaas und die beiden Wakwafi im Blickfeld zu haben, die neben respektive hinter mir schliefen.
Von weitem horte ich ein leises Platschen: das Flu?pferd. Dann ertonte wieder das langgezogene Heulen der Eule; es horte sich unnaturlich an; eher wie ein Schrei [6]. Der Wind sang in den Baumwipfeln sein Klagelied; sein seufzender Ton lie? mir das Blut in den Adern gefrieren. Uber mir hing der tiefschwarze Busen der Wolken, und unter mir gluckerte unheilvoll die schwarze Flut des Wassers, und ich fuhlte mich, als sei nur noch ich alleine mit dem Tod zwischen den beiden schaurigen Elementen. Ich kam mir trostlos und verlassen vor.
Plotzlich stockte mir der Atem, und das Herz schien stehenzubleiben. War es nur eine Einbildung, oder bewegten wir uns tatsachlich von der Stelle? Ich wandte den Blick, um nach dem anderen Kanu zu schauen, das langs dem unseren liegen mu?te. Ich konnte es nicht sehen; statt dessen sah ich eine durre, krallenartige Hand, die sich langsam uber den Rand des kleinen Bootes schob. Es mu?te ein Alptraum sein! Im selben Moment tauchte ein dunkles, diabolisch verzerrtes Gesicht aus dem Wasser auf. Das Kanu wippte mit einem kurzen Ruck auf die Seite, ein Messer blitzte auf, und dann zerri? ein grauenhafter Schrei die Luft. Es war der Wakwafi, der neben mir lag (derselbe arme Kerl, dessen Ausdunstungen mich so gestort hatten). Etwas Warmes spritzte mir ins Gesicht. Im Bruchteil einer Sekunde brach der Bann, der mich gelahmt hatte; ich wu?te jetzt nur zu gut, da? es kein Alptraum war, sondern da? die Masai uns vom Wasser her angriffen. Ich griff nach der erstbesten Waffe, die mir in die Hand geriet. Es war Umslopo-gaas' Streitaxt. Ich holte aus und hieb sie mit aller Kraft in die Richtung, aus der das Aufblitzen des Messers gekommen war. Die Schneide traf den Arm eines Mannes genau an der Stelle, an der der Arm auf dem dicken holzernen Bootsrand auflag. Krachend durchschlug sie den Arm und fuhr in das Holz. Der Hieb hatte den Arm ein Stuck oberhalb des Handgelenkes vom Korper abgetrennt! Der Mann gab nicht den geringsten Laut von sich. Wie ein Gespenst war er aus dem Dunkel aufgetaucht, und wie ein Gespenst verschwand er wieder. Zuruck lie? er eine blutige Hand, die noch immer ein gro?es Messer umklammert hielt, oder besser ein kurzes Schwert, das tief im Herzen unseres armen Dieners steckte.
Augenblicklich entstand ein volliger Wirrwarr, und ich glaubte zu sehen - ob zu Recht oder zu Unrecht, wei? ich nicht -, wie mehrere Kopfe sich auf das rechtsseitige Ufer zubewegten, auf das auch wir jetzt rasch zutrieben; sie hatten unser Ankerseil mit einem Messer durchtrennt. Kaum hatte ich das erkannt, als ich auch schon durchschaute, was sie damit bezweckten: das Boot sollte ans rechte Ufer treiben (denn genau dorthin zog uns die Stromung). Dort stand dann sicherlich schon eine Gruppe Masai bereit, die nur darauf warteten, uns ihre schaufelformigen Speerspitzen in den Leib zu bohren. Ich nahm eines der Paddel, gab Umslopogaas das andere (der uberlebende Askari war zu verangstigt und verstort, um in diesem Augenblick von irgendeinem Nutzen zu sein), und gemeinsam ruderten wir aus Leibeskraften zur Mitte des Stroms hin, und keine Sekunde zu fruh! Schon im allernachsten Moment waren wir auf Grund gelaufen, und das hatte unser Ende bedeutet.
Sobald wir auf sicherer Distanz waren, machten wir uns daran, das Boot wieder stromaufwarts zu paddeln, zu der Stelle, an der das andere Kanu vertaut lag. Das war in der Dunkelheit ein verdammt schwieriges und gefahrliches Stuck Arbeit. Als einzi-gen Orientierungspunkt hatten wir die hallenden Rufe von Goods Stentorstimme, die er in kurzen Abstanden wie ein Nebelhorn erschallen lie?, um uns die Richtung zu weisen. Aber schlie?lich schlossen wir zu dem anderen Kanu auf. Erleichtert stellten wir fest, da? die anderen uberhaupt nicht behelligt worden waren. Mit Sicherheit hatte der Mann, dem ich den Arm abgehackt hatte, und der unser Tau durchgeschnitten hatte, auch das Tau des anderen Kanus durchschneiden sollen, aber davon hatte ihn wohl der unwiderstehliche Drang abgehalten, einen von uns zu ermorden, als sich ihm die Chance dazu bot. Dieser Tatsache, die einen von uns das Leben und ihn seine Hand gekostet hatte, verdankten wir alle zweifelsohne die Rettung vor einem Massaker. Ware nicht diese grausige Hand uber dem Bootsrand aufgetaucht - ein Anblick, den