Idiot, dachte er. Das war vollig unnotig. Jetzt mu?te er auch noch alles saubermachen und aufraumen, die Spuren beseitigen. Es mu?te doch alles so aussehen, als hatten sie den Tisch mitsamt dem Skelett einfach nur hinausgeschoben und drau?en umgeladen. Den Tisch wurde er einfach irgendwo auf dem Grundstuck stehenlassen.

Er verzog das Gesicht, rannte hinaus und holte mehrere gro?e Mullsacke, in die er in hektischer Eile soviel von den Schieferbruchstucken fullte, wie er tragen konnte. An einigen der Platten hafteten Knochen, Tobias’ Knochen, die Knochen eines Menschen, einer Person, die er gekannt hatte. Das war kein normales Fossil, es war eine Leiche, die er da wegschaffte. Die schweren Sacke schleppte er durch die kuhle Abendluft nach drau?en und wuchtete sie auf die Ladeflache seines Kombis. Jedesmal vergewisserte er sich vorsichtig, ob ihn auch niemand beobachtete. Wie ein Morder, der die zerstuckelten Uberreste seines Opfers beseitigte.

Den leeren Klimaraum wischte er mehrmals mit einem feuchten Lappen aus. Auch seine dreckigen Fu?abdrucke, die er beim Hinaustragen hinterlassen hatte, entfernte er sorgfaltig. Wie leicht man sich plotzlich mit so etwas tut, wunderte er sich. Dann schaltete er die Luftung aus, schob den Regler wieder auf zwolf Grad und schlo? die Tur.

Aber der wirklich unangenehme Teil der Arbeit stand ihm noch bevor. Er nahm ein Brecheisen - gut, da? bei ihnen so etwas herumlag - und klemmte es zwischen Tur und Rahmen. Erst als er sich mit dem ganzen Korper dagegen stemmte, gab das Holz nach. Das ha?liche Gerausch fuhr ihm in Mark und Bein. Er demolierte seine eigene Forschungsstation, ihren erst nach langem Hickhack eingerichteten Klimaraum.

Jetzt kam das Schlimmste. Er mu?te, um den Schein zu wahren, etwas von ihren Schatzen opfern. Wenn hier Diebe einbrachen, die es auf Fossilien abgesehen hatten, dann wurden sie sich nicht mit einem gro?en Beutestuck zufriedengeben. Sie wurden alles mitnehmen, dessen sie auf die schnelle habhaft werden konnten.

Er hatte Gluck. Im Praparationsraum wurde im Augenblick nur an zwei Stucken gearbeitet. Obwohl Sabine ihm wahrscheinlich die Augen auskratzen wurde, wenn er es jemals wagen sollte, eine solche Bewertung in ihrer Gegenwart abzugeben, aber da waren nur die Fledermaus, die sie gerade freilegte, und eine vollstandig praparierte Beutelratte, keins der ganz bedeutenden Fundstucke also. Lehmke und Kaiser hatten ihre Arbeiten gerade abgeschlossen. Die Praparate waren noch am selben Tag nach Frankfurt ins Museum geschafft worden. Sabine wurde er allerdings nie wieder ins Gesicht sehen konnen. Er wu?te, da? sie am Boden zerstort sein wurde. Erst losten sich ihre Fossilien einfach in Luft auf, und dann wurden ihr auch noch welche gestohlen. Ihr mu?te das Ganze wie eine Verschworung vorkommen. Ohne hinzusehen stopfte er die beiden Praparate in einen weiteren Mullsack. Die Arbeit von Wochen. Es tat ihm in der Seele weh, aber er mu?te sie verschwinden lassen. Es ging nicht anders.

Drau?en schlo? er die Haustur, verstaute den Beutel im Auto und ging anschlie?end mit dem Brecheisen zuruck zum Haus, um die Flugeltur zum Praparationsraum aufzubrechen. Irgendwie mu?ten sie ja in das Haus gelangt sein. Teufel noch mal, es war wie der Amoklauf eines Wahnsinnigen, der blindwutig seine Zerstorungswut austobte.

Gerade, als er das Eisen ansetzen wollte, horte er Stimmen. Er erstarrte.

Aus! Vorbei! Wieviel bekam man fur Hausfriedensbruch, Diebstahl und mutwillige Zerstorung fremden Eigentums? Seinen Job konnte er auch vergessen.

Die Stimmen wurden wieder leiser. Es waren nur zwei Spazierganger, wahrscheinlich Leute aus der benachbarten Wohnsiedlung, die ihren Hund Gassi fuhrten und drau?en am Zaun der kleinen Grunanlage vorbeischlenderten. Er lie? die Luft aus seinen Lungen entweichen und mu?te grinsen. Himmelherrgott, er war ein einziges Nervenbundel. Glucklicherweise lag die Tur zum Praparationsraum auf der wegabgewandten Seite des Hauses. Er lauschte, wartete zur Sicherheit noch ein paar Minuten, dann setzte er das Brecheisen an und druckte zu. Es fuhlte sich an, als zersplitterten seine eigenen Knochen.

Endlich im Auto sitzend legte er die Stirn auf das Lenkrad und atmete tief durch. Er uberlegte fieberhaft, ob er vielleicht etwas vergessen hatte, irgendeine dumme Kleinigkeit. Wenn herauskam, da? er dies alles angerichtet hatte, dann ...

Die Kaffeemaschine!

Er sprang aus dem Wagen und sturzte wieder ins Haus. Ja, er hatte sie angelassen, und da stand ja auch noch seine Tasse mit dem mittlerweile kalten Kaffee. Er hatte kaum etwas davon getrunken. Dilettantisch!

Erst eine gute Stunde spater kam er langsam zur Ruhe. Den Schiefer hatte er einfach in eine stillgelegte Kiesgrube geworfen. Spatestens morgen war alles zerfallen, nur noch Trummer, die niemandem auffallen wurden.

Ja, es war ein guter Plan. Alle wurden an einen simplen Einbruch glauben. Die Diebe wollten reichlich Beute machen, erwischten dabei aber einen Tag, an dem nur wenig zu holen war.

Kunstlerpech, dachte er und lachte vor sich hin. Da? der Block mit Tobias’ Uberresten verschwunden war, wurde, wenn uberhaupt, erst in ein paar Monaten auffallen. Und dann wurde er es mit dem Einbruch in Verbindung bringen. Da unten stand einfach zuviel herum, als da? sie jederzeit den genauen Uberblick behielten.

Vielleicht hatte die ganze Angelegenheit sogar den angenehmen Nebeneffekt, da? die Senckenberg-Stiftung ihnen eine neue Schlo?anlage fur die Station spendierte. Die alte war ziemlich marode, und es war eigentlich ein Wunder, da? nicht schon fruher Diebe zugeschlagen hatten.

Das Problem war aus der Welt, nicht aber aus seinem Kopf. Auch wenn er sich jetzt erleichtert fuhlte, fur ihn wurde die Welt nie wieder so aussehen wie zuvor, daruber machte er sich keine Illusionen. Wie er damit fertig werden wurde, mu?te die Zukunft zeigen. Schlimmstenfalls mu?te er eben kundigen und sich irgendwo einen anderen Job suchen. Dieser Gedanke hatte nach allem, was er erlebt hatte, viel von seinem Schrecken verloren. Schlie?lich hatte er am Ufer des wirklichen Messeler Sees gestanden, auch wenn er in diesem Moment nur daran gedacht hatte, Tobias nicht aus den Augen zu verlieren. Und danach, sein Versagen vor Augen, stand ihm der Sinn erst recht nicht nach intensiver Naturbetrachtung. Eigentlich schade, da? er so wenig davon mitbekommen hatte.

Er fuhr auf die Landstra?e Richtung Darmstadt und pfiff leise vor sich hin. Durch das Wagenfenster schaute er hinaus in eine feuchte Flu?niederung mit Wiesen aus sattem Grun. Dichte Nebelschwaden hingen daruber. Woran ihn das Bild nur erinnerte?

Plotzlich fiel ihm Ellen wieder ein, deren Skelett vielleicht noch immer irgendwo in der Grube lag.

Na ja, die Fossiluberlieferung war luckenhaft, das hatte er kurzlich sehr anschaulich erfahren. In den zwei Millionen Jahren, deren Zeugnisse in der Grube Messel die Zeiten uberdauert hatten, waren dort sicher Tausende und Abertausende von Tieren gestorben, gro?e und kleine, alte und junge, und es waren tonnenweise Blatter und andere Pflanzenteile in den See gefallen. Wenn sich alle diese Uberreste als Fossilien erhalten hatten, mu?te die Grube ja randvoll mit Knochen sein, geradezu uberquellen vor Baumstammen, Blattresten und Samen. Nein, nein, nein, er hatte bisher nicht allzuviel Gluck gehabt in dieser Angelegenheit, und irgendwann mu?te schlie?lich auch die hartnackigste Pechstrahne einmal zu Ende gehen. Er hatte das Gefuhl, da? mit dem heutigen Tag wieder bessere Zeiten fur ihn anbrachen.

Nachwort

Wieder einmal, liebe Leserinnen und Leser, stehen Sie nach der Lekture eines Romans allein mit der Frage da, was von dem Gelesenen nun Fiktion und was harte wissenschaftliche Fakten sind. Je nachdem, wieviel Sie schon mit dem Themenkomplex Evolution befa?t waren, wird Ihnen sicher die eine oder andere Frage durch den Kopf gehen. Daher mochte ich Sie auf einige Autoren verweisen, die auch mir bei der Arbeit an diesem Buch eine gro?e und anregende Hilfe waren. Zum Gluck gibt es gerade zu diesem Thema eine Fulle von kompetenten und hervorragend geschriebenen Sachbuchern, die fur jedermann und jedefrau verstandlich sind. Eines durfen Sie dabei allerdings nicht erwarten: eine vollstandige und umfassende Darstellung einer unumsto?lichen und allgemein akzeptierten Theorie oder gar Wahrheit. Es herrscht zwar weitgehend Einigkeit uber die Tatsache, da? es eine Evolution gegeben hat, aber damit haben sich die Gemeinsamkeiten in vielen Fallen auch schon erschopft. Richard Dawkins und Stephen Jay Gould, um nur zwei Namen zu nennen, vertreten dabei sehr unterschiedliche Standpunkte. Wer glaubt, mit Darwin sei die Sache erledigt und das Thema ein alter Hut, tauscht sich gewaltig.

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