zu jeder hoheren kulturellen Entwicklung. Und wenig spater erringen sie dann die Macht, und dann sind sie da. Oft stellt sich in der Folge heraus, dass der vermeintliche Barbar die jetzt Bezwungenen und vermeintlich Zivilisierten selber fur Barbaren halt. Merke: Die Barbaren von fruher sind gar nicht selten die Herrscher der Zukunft. Dann errichten sie ein neues Reich und missachten neue Barbaren an den Grenzen.
Auch dies kann man aus der Geschichte lernen: wie oft der Mensch darin zu kurz gedacht hat. Wenigen segensreichen Einsichten stehen lange Perioden totaler Verblendung gegenuber. Immer wieder haben Menschen sinnlose Feindschaften gepflegt, Kriege gefuhrt, Mitburger aus den aberwitzigsten Grunden ermordet. Es ist noch gar nicht so lange her, da konnten Frauen nicht wahlen, da waren Arbeiter und Bauern nur dazu da, um den Machtigen ein angenehmes Leben zu garantieren. Die Geschichte zeigt dem interessierten Betrachter in einem bunten Bilderbogen, was geschieht, wenn man so einfaltig denkt. Wie steril und tot eine Gesellschaft ist, aus deren Mitte man die Frauen verdrangt! Wie krisengeschuttelt eine Ausbeutergesellschaft, in der jeder nur seinen Vorteil wahrnimmt und den Schwarzen Peter nach unten durchreicht! Wie aggressiv und am Ende selbstzerstorerisch der Hass auf alles Fremde und Andere sich au?ert! Man kann sich angesichts dieser Vorgeschichte immerhin vornehmen, es besser zu machen, auch wenn durchaus nicht sicher ist, dass es einem auch gelingt.
Oft erreicht man ja genau das Gegenteil des ursprunglich Gewoll-ten. Sehen Sie sich einmal um. Wir stehen auf dem Petersplatz, an einem lauen romischen Fruhlingstag, und dort druben, das sind die Mauern des Vatikans. Lange ging es in den ehrwurdigen vatikanischen Palasten trotz der gottlichen Berufung ihrer Bewohner uberaus irdisch zu, da wurden Kinder gezeugt, Gifte an Konkurrenten ausprobiert, kurz: Der Papstpalast war ein Abbild der Welt, nur etwas konzentrierter. Machiavelli, der toskanische Theoretiker der Politin-trige, dessen Name langst sprichwortlich geworden ist, hat aus der Beobachtung unter anderem dieser Zustande seine Theorien vom Machterhalt entwickelt. Und uber den hatten die Papste allerdings vieles zu berichten, ebenso wie uber die Erweiterung ihrer Macht. Bizarrerweise wandelte sich unter ihrer Herrschaft die friedliche Botschaft des judischen Philosophen Jesus zu einem angriffslustigen Dogma. Dieser Leiter einer judischen Splittergruppe hatte wenige Jahrzehnte nach dem Jahr eins seine Ansichten immer weiter reformiert und seinen sehr wenigen Anhangern radikale Wahrheiten von der Gnade Gottes und von der Feindesliebe verkundet. Mehr als tausend Jahre spater uberzogen vollig andere Menschen in seinem Namen die Welt mit Krieg. Ohne Jesus keine Bergpredigt und keine Christen, ohne Christentum kein Papst in Rom, keine Kreuzzuge, keine Ketzerverfolgung und kein europaischer Kolonialismus. So war das doch eigentlich nicht gedacht.
Die gro?en Eroberungszuge der europaischen Neuzeit boten fur alle Beteiligten eine befriedigende Mischung aus heiligem Auftrag, Abenteuerlust, Gier und der Hoffnung auf einen angenehmen Platz im Paradies. Zu einer Zeit, als die irdische Existenz sehr schmerzhaft und kurz sein konnte, war dieser letzte Beweggrund nur zu verstandlich. So begann fur die Europaer die gro?e Reise nach Ubersee mit den mittelalterlichen Kreuzzugen. Ob dabei die eigentlich zu rettenden christlichen Heiligtumer Konstantinopel oder Jerusalem eher geplundert als gerettet wurden, wen kummerte es. Weiter und weiter wagten sich die Europaer in die Welt hinaus, von der sie seit romischer Zeit immer mehr die Kenntnis verloren hatten. Man nennt es gerne das Zeitalter der Entdeckungen. Dazu sei ausdrucklich gesagt, dass Entdecken und Entdecktwerden zwei sehr unterschiedliche Angelegenheiten sind. So bekamen die Menschen am Rande der europaischen Welt ihre Kenntnis von den Fortschritten der Europaer immer dann, wenn wieder ein Heerzug in ihre Lander einbrach oder ein Kriegsschiff sich ihnen bedenklich naherte. Sehr viele von ihnen haben den wirtschaftlichen Aufschwung Europas mit ihrem Leben bezahlt. Sie legten vermutlich uberhaupt keinen Wert darauf, von uns entdeckt zu werden.
Das mit der Entdeckung Amerikas war am Ende auch so ein Zufall. Was ware eigentlich passiert, ware Kolumbus daran vorbeigefahren oder vorher in einen todlichen Sturm geraten? Ware er dann so beruhmt geworden, dass man - wie Mark Twain schrieb - in einem Museum in Havanna zwei seiner Schadel ausgestellt haben soll, den des jungen Kolumbus und den des erwachsenen? Die Geschichte des Entdeckers Christoph Kolumbus ist so abenteuerlich, dass sie eigentlich nur wahr sein kann. Er fuhr mit der sicheren Gewissheit los, in Richtung Westen den Osten zu erreichen. Die karibischen Inseln hielt er fur Vorboten des indischen Festlands.
Und bis zu seinem Tod hielt er daran fest, auf dem amerikanischen Festland eigentlich Indien entdeckt zu haben. Zum Dank nennen wir die Menschen, denen er dort begegnete, bis heute Indios beziehungsweise Indianer. Mit Kolumbus’ starrsinniger Suche nach den Reichtumern der ostlichen Lander begann auf dem amerikanischen Kontinent der Wahnsinn des Goldrausches. Immer mehr Menschen stromten uber das Meer, um irgendwo in Urwaldern, Steppen oder auf Bergen Stadte aus Gold zu finden.
Einer der Ideengeber fur die Hatz nach der goldenen Stadt war daran vollkommen schuldlos. Er hie? Marco Polo, lebte in Venedig und hatte Jahrhunderte zuvor die Reise immer weiter nach Osten angetreten, weit uber die Grenzen der bekannten Welt hinaus. Er war nicht der Erste in der Familie, denn er folgte den Spuren seines Vaters und Onkels, die beide schon Peking erreicht hatten und ihn nach ihrer Ruckkehr mit auf eine zweite Reise durch das Reich des mongolischen Gro?khans nahmen, der uber gro?e Teile Asiens herrschte. Obwohl alle drei wohlbehalten in ihre Heimatstadt zuruckkehrten, ist nur Marco Polo der Nachwelt bekannt geblieben. Dafur gibt es einen einfachen Grund: Er hat seine Reise aufgeschrieben fur die Nachwelt und von unglaublichen Reichtumern im Osten berichtet. Menschen wie ihn gab es zu allen Zeiten.
Durch das antike Griechenland bis nach Agypten wanderte Pausanias und schrieb alles auf, was ihm von Bedeutung erschien. Auch die islamische Welt des Mittelalters kannte phanomenale Reisende wie Ibn Jubayr und Ibn Batuta, die wirklich unglaubliche Touren durch ferne Gegenden und Kulturen unternahmen, alle Widrigkeiten und Gefahren uberlebten und zu Hause von ihren Erlebnissen berichteten. Stellen Sie sich einmal vor, eine Reise in fremde Lander uber viele Jahre zu unternehmen, ohne Reisefuhrer, Sprachkenntnisse, Reiseleiter, ohne Kreditkarte, Autos, Expeditionsbekleidung, ohne Medikamente oder Arzte, ohne Landkarten oder Navigationsgerate, durch Landstriche, in denen wilde Tiere und Rauberbanden den Reisenden erwarten, durch die Staaten verruckter Gewaltherrscher, in denen Krieg und Anarchie herrschen. Konnen Sie sich nicht vorstellen? Diese Reisenden haben genau das getan.
Mit den Eroberungszugen der Europaer und den verbesserten Verkehrsmitteln zu Wasser und zu Land wurde es dann immer einfacher, die Welt zu umrunden. Der Erste, der das aus rein touristischem Interesse tat, quasi unser aller Urahn im Bereich der Urlaubsreise, war ein heute ziemlich vergessener italienischer Kavalier namens Giovanni Francesco Gemelli Careri. Er startete seine Reise 1693 und brauchte fur die Weltumrundung volle funf Jahre. Nicht ganz 200 Jahre spater ging das deutlich schneller. 1872 organisierte der britische Prediger Thomas Cook fur eine Touristengruppe die erste kommerzielle Reise um die Welt. Zu sehr stolzem Preis enthielt sie den Dampfschifftransfer uber den Atlantik, eine Postkutschenreise quer durch die USA, die Fahrt von der Westkuste mit dem Schaufelraddampfer nach Japan und eine anschlie?ende Landpartie durch China und Indien inklusive Ruckreise. Thomas Cook und seine Gruppe benotigten dafur genau 222 Tage. Nur ein Jahr spater schrieb der franzosische Abenteuerschriftsteller Jules Verne seinen beruhmten Roman »In achtzig Tagen um die Welt«. Klar, woher er seine Inspiration hatte.
Rund um den Globus hatten die staunenden Reisenden Orte gefunden, an denen sich die Geschichte der Weltkulturen ablesen lie?. Was hatten diese Orte zu bedeuten, und wie hing das alles zusammen? Stellen Sie sich einmal vor, wir waren solche Reisende und flogen mit einem Hei?luftballon uber eine ganz unbekannte Landschaft. Das ware ein Abenteuer! Nun, wagen wir einmal einen Blick hinunter uber den Rand des Ballonkorbes. Hoffentlich sind Sie schwindelfrei. Eine trockene Ebene, darin ein Fluss, der in der Hitze ein bisschen ermudet daliegt. Der Euphrat. Es ist gewaltig hei?, selbst hier oben im Ballon. In der flirrenden Hitze erkennt man auf einem gewaltigen Areal deutlich Reste von Lehmbauten. Das ist Babylon oder jedenfalls das, was davon heute noch ubrig ist. Eigentlich unglaublich, dass ein solcher Mythos wirklich existiert. Aber hier ist der Beweis. Man spricht immer vom »Turmbau zu Babel«, vom »babylonischem Sprachengewirr«. Aber den Ort gibt es, man kann ihn ansehen. In Babylon wurde der erste Gesetzestext festgehalten, jedenfalls der erste, den man bisher gefunden hat. Sie werden lachen, aber letztlich gehen alle unsere Gesetze auf diese ersten Versuche zuruck. Ein Grund mehr, sich mit dieser Geschichte konkret zu beschaftigen.
Nur ein Experiment: Stellen Sie sich einmal vor, wir hatten fur Sie eine Zeitmaschine gebaut. Sie durfen den Apparat jetzt ausprobieren. Schnell die Koordinaten von Babylon eingestellt, die Zielanzeige wird auf das Jahr 1680 vor der Zeitenwende fixiert. Gut festhalten, es wird unruhig, immerhin reisen wir fast 3700 Jahre zuruck in der Zeit. Ah, das Rutteln hort auf, wir sind offenbar angekommen. Nun die Tur der Zeitkapsel offnen. Glei?endes Licht, furchtbare Hitze. Und da hinten eine gewaltige Lehmmauer, die sich aus der Ebene erhebt. Sieht aus wie eine Gro?stadt. Man ahnt die Zinnen vieler Turme. Hinter den Umfassungsmauern scheinen sich noch viel hohere Gebaude zu erheben. Der Weg durch eines der Haupttore, die mit bunt glasierten Ziegeln verkleidet sind, fuhrt