hinein in dieses Weltwunder, die Stadt des Gottes Marduk und seiner Konige. Man sieht die Turme der Tempel hoch aufragen, das ist wirklich unvorstellbar.

Noch ein Versuch gefallig? Gut, wir stellen den Apparat auf das alte Agypten ein. Schon sind wir da. Sehen Sie diese steinernen Spitzen, gewaltige Baukorper, die aus der Wuste ragen? Man sieht Rampen, die hinauffuhren, und Heerscharen von Arbeitern, die mit Seilen, Holzern und Winden Steine uber den Abhang nach oben fordern. Das sind die Pyramiden von Giseh, bis heute unbegreifliche Wunder der Ingenieurskunst. Sie bestatigen, dass die Menschen fruherer Zeiten nicht dummer waren, als wir es heute sind. Vielleicht konnen Sie mit Computern umgehen, aber diese Leute kennen dafur die Gesetze der Mechanik. Die wissen, wie man mit Seilen, Rollen, Schlitten und ein paar Kantholzern schwerste Lasten bewegt. Die Pyramiden, die wir hier eben im Bau sehen, sind der Versuch, die Unsterblichkeit und unendliche Macht eines einzigen Menschen zu beweisen, des Pharao, des gottlichen Herrschers uber ganz Agypten. Tausende von Jahren besteht das agyptische Reich mit seiner eigenen Schrift und Sprache, mit seinen Kulten, seiner komplizierten Landwirtschaft, die das Uberleben im Niltal sichert. Was sind da schon ein paar Jahrhunderte unserer eigenen Epoche! Babylon und die Pyramiden von Giseh, das sind Monumente der Vergangenheit, die langst selber zu Begriffen geworden sind, zu Mythen unserer Welt. Jeder von uns hat ein Bild vor Augen, wenn man von ihnen spricht.

Das sind die Grundlagen unserer Kultur, in Stein gehauen: die wei?en Steine der Akropolis, hoch oben uber Athen, die immer noch gigantischen Reste der Bauten des alten Rom. Ohne Athen kein Rom, ohne Rom kein Europa. In Rom zeugen das Kolosseum und der machtige Vatikan von den beiden Epochen seiner weltumspannenden Macht. Auf dem Tempelberg in Jerusalem, der Juden, Christen und Muslimen heilig ist, sieht man, wie diese scheinbar weit entfernten Religionen zusammengehoren, wie sie aus einer gemeinsamen Wurzel stammen. In der Hagia Sophia im heutigen Istanbul, einst Kirche der byzantinischen Welt, dann Moschee, schlie?lich Gedenkort und Museum, wird die flie?ende Grenze zwischen dem sichtbar, was wir Orient und Okzident bzw. Westen nennen. In Aachen kann man heute den Kaiserthron bestaunen, auf dem Karl der Gro?e vor 1200 Jahren Platz nahm, jener le-gendenumwobene Kaiser, der allen spateren Herrschern Europas zum Vorbild diente.

Die italienischen Stadte Venedig und Florenz erzahlen mit ihren Palasten und Museen noch immer von der Erfindung des modernen Kapitalismus in der italienischen Renaissance. Madrid mit den Goldschatzen der spanischen Konige ist der Ort des vollendeten Kolonialismus, Paris mit dem Palast von Versailles das Zentrum einer vollkommenen Konigsmacht. Im Gegensatz dazu war Berlin lange eine verschlafene Kleinstadt, aber als die preu?ischen Konige das ganze Land zur gut gedrillten Kaserne umfunktionierten, da entstanden Fabriken und Vorstadte in der damals modernsten Stadt der Welt. In London fand die weltumspannende Industrialisierung, die Globalisierung des 19. Jahrhunderts, ihren Hohepunkt. Auf den Schlachtfeldern von Verdun endete dann fur Jahrzehnte jede Hoffnung auf eine menschliche Gesellschaft. Und New York, das ist das Symbol unserer Zeit, eine Megacity voller Geschwindigkeit und Gro?e. Das Wahrzeichen der Stadt waren die sogenannten Twin Towers. Dass ebenso naive wie gewissenlose Verschworer glaubten, sie mussten nur die Turme zu Fall bringen, um auch die von ihnen verabscheute Modernitat abzuschaffen, zeigt, wie machtig diese Symbole sind.

Der Sichtbarmacher Nicht alle Zeugnisse der Vergangenheit sind so leicht erkennbar. Was im sogenannten Neolithikum geschah, in der Jungsteinzeit, das war mindestens so revolutionar wie die Industrialisierung der Welt in unserer Zeit. Vielleicht sogar bedeutender. Nur sind die Zeichen jener Epoche langst verfallen, alle Holzhauser und Hutten verrottet, die Topferwaren zu Scherben zermahlen, die Steinwerkzeuge unter der Erdoberflache verborgen. Und kein Korrespondent, kein Reisender hat seine Erlebnisse aus dieser Zeit fur uns aufgeschrieben. Dabei hatten uns die Menschen des Neolithikums viel zu erzahlen, denn sie vollzogen den Ubergang zum Ackerbau und zur Sesshaftigkeit in festen Siedlungen. Wie sie bearbeiten wir immer noch das Land und leben heute in unserem wohlgeordneten Wohnviertel. Wir sind unseren Vorfahren viel naher, als wir denken. Um diese ferne und doch nahe Vergangenheit aufzudecken, braucht man eine ganz andere Art von Reisenden. Er zieht nicht in die Ferne, sondern grabt sich ganz geduldig und maulwurfsartig gro?flachig nach unten in Richtung Erdmittelpunkt. Das ist der Archaologe.

In den alten Stadten Europas hat man immer wieder bei Bauarbeiten in den Kellergeschossen Uberreste von Gebauden gefunden, auch Statuen, Vasen, Reste von Werkzeugen. In Rom gab und gibt es Stadthauser, in denen Kellertreppen steil in die Tiefe fuhren, bis man finstere Raume betritt, die mit geheimnisvollen Wandmalereien bedeckt sind, Tempel und Palaste aus antiker Zeit. Uber die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg hatten die Menschen offenbar immer wieder neue Bauten auf die alten gesetzt und dabei immer hohere Schuttberge angehauft, zu deren unteren Schichten es schlie?lich nur noch wenige, verborgene Zugange gab. Es war also logisch, die Zeugnisse alterer Zeiten weiter unten im Erdboden zu suchen. Und was man dort fand, das anderte die gesamte Ansicht der Weltgeschichte. Nicht nur Reste jungsteinzeitlicher Siedlungen wurden sichtbar, sondern ganz unbekannte Kulturen. Die antike Welt von Mykene, mit ihren ratselhaften Kulten und ihren prachtvollen Palasten, ware vollig im Dunkeln geblieben, hatte man sie nicht Stuck fur Stuck ausgegraben. Unter der Erde lagen vollig neue Einsichten, von den Archaologen aufzublattern wie ein Buch.

Aber was ware der Archaologe ohne sein Pendant, den Schreibtischtater der Geschichtsschreibung? Wahrend der Archaologe eine Entwicklung der letzten hundert Jahre ist, gibt es den Historiker schon sehr viel langer, vermutlich schon so lange, wie man miteinander spricht. Im funften Jahrhundert vor der Zeitenwende lebte der beruhmteste aller Geschichtsschreiber, Herodot von Halikarnas-sos. Schon die Romer kannten ihn als »pater historiae«, das hei?t auf Deutsch »Vater der Geschichtsschreibung«. Er beschrieb in seinen sogenannten Historien den Krieg der Perser gegen die Griechen. Selbstverstandlich bezog er dabei Partei, namlich die seines eigenen Volkes, der Griechen. Aber er bemuhte sich doch, die ganze Geschichte zu verstehen, auch was dem Angriff der Perser namlich vorausging und wie das Perserreich uberhaupt dazu kam, Griechenland anzugreifen.

Das ist Geschichtsschreibung, das Zusammentragen vieler Berichte, das Bewerten, das Erzahlen des Ganzen in einer Geschichte. Bis heute ist allerdings umstritten, ob Herodot uberhaupt je, wie er behauptete, seinen Schreibtisch verlie?, um an die Orte des Geschehens zu reisen. Immerhin berichtete er von Ameisen in der Gro?e »zwischen einem Fuchs und einem Hund«, die in Indien Gold ausgruben. Das wirft doch einige Zweifel auf, meinen Sie nicht? Am besten sollten Sie auch dem Historiker nicht einfach glauben, sondern selber weitere Nachforschungen anstellen. Sie wurden ja auch Ihrem Chef in der Firma nicht einfach glauben. Wenn man selber Bucher liest, wei? man schon mehr. Vielleicht fahrt man auch einfach mal hin an den Ort des Geschehens. Dann sieht man schon, ob die Ameisen dort wirklich so gro? sind, wie sie scheinen. Und ob sie wirklich nach Gold graben. Wir haben das gemacht, wir sind einfach mal hingefahren.

Lassen Sie uns, den Aufzeichnungen aus fruherer Zeit, den Erkenntnissen aus vielen Ausgrabungen und der Geschichtsschreibung zweier Jahrtausende folgend, einen kleinen Streifzug durch die Weltgeschichte machen. Dabei gehen wir keinen geraden Weg, sondern ziehen durch die Landschaft unserer eigenen Geschichte, wie es uns gerade gefallt. Auf diese Art, da werden Sie mir zustimmen, lernt man doch unbekannte Gebiete am besten kennen. Es geht auf und ab, uber Stock und Stein. Ab und zu erreicht man Aussichtspunkte, von denen man die weite Landschaft der Vergangenheit uberblickt. Wir werden dabei vielleicht niemals die ganze, unendlich komplizierte Wahrheit und alle ihre Details gleichzeitig sehen konnen, denn wir haben ja nur zwei Augen, und beide unpraktischerweise auf derselben Seite des Kopfes. Aber wir konnen dort an unserem Standpunkt beginnen, einen ersten Uberblick zu gewinnen. Dann konnen wir auch anfangen, aus der Geschichte zu lernen.

Und das ware doch wirklich wunschenswert, meinen Sie nicht?

1. Das Projekt Mensch

Sicher haben Sie schon einmal die eindrucksvollen Tierdarstellungen gesehen, die vor rund 32 000 Jahren an die Felswande der franzosischen Grotte Chauvet gemalt worden sind. Oder Sie haben die gro?artigen Panorama- Bilder bewundert, mit denen SteinzeitKunstler etwa 15 Jahrtausende spater die 1940 entdeckte Hohle von Lascaux ausgeschmuckt haben.

Was sind gegen solche grandiosen Zeugnisse prahistorischer Kreativitat ein paar Fu?stapfen in der Vulkanerde von Tansania? Und doch uben die insgesamt 69 fossilen Abdrucke, die sich in der wie Zement erharteten Asche zu einer 27 Meter langen Fu?spur addieren, auf den Betrachter einen merkwurdigen Zauber aus.

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