Wer war es, der hier unterwegs war? Und wohin fuhrt die Spur?
Die Spur fuhrt tief in die Vergangenheit, und der Autor der Fu?abdrucke war mit Sicherheit nicht allein. Es waren drei Vormenschen der Gattung
Was mogen sie gesehen haben, als sie sich - wie die Abdrucke zeigen - in der Mitte der Spur umdrehten und nach Westen blickten? Wir wissen es nicht, aber wir wissen etwas anderes: dass sie auf
Dreieinhalb Millionen Jahre zuvor und rund drei Milliarden Jahre nach Entstehung des Lebens auf der Erde hatte die Natur mit diesem Experiment begonnen - ihrem gro?ten und folgenreichsten. Das geeignete geologische Laboratorium dafur war soeben fertig geworden: der 6000 Kilometer lange Afrikanische Grabenbruch, das tektonisch labile »Great Rift Valley«, das in Nord-Sud-Richtung vom heutigen Syrien uber Athiopien und Tansania bis nach Mosambik reicht.
Die uberdimensionale Furche, flankiert von feurigen Vulkanbergen, Nahtstelle nahrungsreicher Urwalder auf der einen, offener Savannen auf der anderen Seite, ist das Ergebnis auseinanderdriftender Kontinentalplatten. Die Erdkruste bricht auf, der Dschungel bekommt Lucken und Lichtungen, die Voraussetzungen zum Uberleben verandern sich.
So entstehen - vor sieben Millionen Jahren - die idealen Kulissen und die perfekte Probebuhne fur den aufrechten Gang, mit dem spater die Pioniere der Gattung
Das menschliche Skelett setzt sich aus mehr als 200 Knochen zusammen. Verschwindend klein mutet dagegen das Knochenarsenal der Palaontologen an. Aus hochstens 3000 uber den Globus verstreuten Funden versuchen sie die verschiedenen Akte und Akteure des Dramas der menschlichen Evolution zu rekonstruieren. Der Boden ihrer Forschungen hat sich dabei immer wieder als genauso schwankend erwiesen wie der afrikanische Graben selbst.
Doch auch hier gab es Lichtungen, Lichtblicke. Vor allem dann, wenn die Forscher dem folgten, was der reinen Lehre nach eindeutig dem genetisch gesteuerten Verhaltensprogramm unserer tierischen Vorfahren, nicht aber dem vernunftbegabten Handeln des
So lie? sich der genialische Dickschadel Louis Leakey, der als Kind britischer Missionare in Kenia aufgewachsen war und dann in Cambridge Anthropologie studiert hatte, auch durch die geballte Missachtung der schadelforschenden Zunft nicht davon abbringen, die Anfange der Menschheitsgeschichte auf einem zerklufteten Flecken Erde im Norden Tansanias zu suchen. Seit Anfang der 1930er-Jahre bargen Louis und Mary Leakey an den Steilhangen der Olduvai-Schlucht westlich des Ngorongoro-Kraters Fossil um Fossil.
Nicht immer waren die Funde das, fur das die Leakeys sie hielten, aber stets erwiesen sie sich als signifikante Elementarteilchen im gro?en Puzzle der Evolution. Und, in der Summe, als unwiderlegbares Votum fur Afrika als Wiege der Menschheit, als Kontinent des Ursprungs. Das asiatische Modell, das manche Forscher uber Jahrzehnte favorisiert hatten, war damit passe.
Das offentliche Interesse an solch muhsamer anthropologischer Detektivarbeit hielt sich freilich sehr in Grenzen. Wahrend das Katastrophenszenario, das zur Ausloschung der Dinosaurier fuhrte, kunstlerische Fantasien jeglicher Spielart beflugelt und nicht nur in den Kinos, sondern selbst in den Museen zu Besucherrekorden gefuhrt hat, lie?en die fruhen Spuren der Menschheitsgeschichte das Publikum lange Zeit merkwurdig kalt.
Jenseits verstandlicher Begeisterung fur das unabweisbar Spektakulare dieses Untergangs der Giganten, die uber Jahrmillionen die Erde beherrscht hatten, mag ein feines Gefuhl der Trauer und der Anteilnahme dabei mitgespielt haben. Trauer daruber, wie verganglich auch das Gro?e und scheinbar Unzerstorbare ist, vermischt mit der Ahnung, dass auch dem
Vielleicht waren die eigenen Knochen aber auch einfach nur zu mickrig und zu uninteressant.
Auf jeden Fall hat eine einzige Filmszene aus dem Jahr 1968 das alles geandert.
Sie stammt aus Stanley Kubricks Meisterwerk »2001 - Odyssee im Weltraum«: Der Anfuhrer einer Affenhorde - im Drehbuch hei?t er Moonwatcher, im Film bleibt er unbenannt - schleudert einen gro?en ausgebleichten Knochen in die Luft, den er soeben als Waffe benutzt hat. Die Kamera verfolgt seinen Flug bis zum Umkehrpunkt und daruber hinaus. Dann verwandelt sich das primitive Werkzeug in einen technologisch fortgeschrittenen Erdsatelliten.
Die grandiose Ur- und Urzeitszene wurde zu einer der meistzitier-ten Bildmetaphern, einem der beruhmtesten
Davon profitierte vor allem
Der Sensationsfund wurde unter dem Kurzel »A. L. 288« registriert und entpuppte sich als
Die sogenannten Australopithecinen (aus lat.
Aber hinter der Namensgebung fur die mindestens 3,2 Millionen Jahre alte Vormenschendame steckt mehr als eine Laune. Dahinter verbirgt sich der Wunschtraum, den schon die Leakeys und vor und nach ihnen viele andere Anthropologen und Archaologen traumten: Aus den verstreuten Knochen, den Fu?spuren oder Artefakten moge ein Mensch, ein Schicksal, ein Leben hervorblicken.
Dieser Wunsch blieb letztlich unerfullt. Es gab jedoch, wenn Sie so wollen, eine Art »Ersatzmann«, dem die Sympathien der zustandigen Wissenschaften geradezu in den Scho? fielen und der von einer fursorglichen Offentlichkeit gleichsam adoptiert wurde. Allerdings trat er erst viel spater in Erscheinung: gut drei Millionen Jahre spater, wenn man seine Lebenszeit, und gut anderthalb Jahrzehnte spater, wenn man das Entdeckungsdatum betrachtet. Machen wir also einen Exkurs, einen Zeitsprung, und schauen ihn uns an.
Sie ahnen es - es ist der Otzi. Erst jene Gletschermumie aus dem Neolithikum, der spaten Jungsteinzeit, die Urlauber am 19. September 1991 in Sudtirol im Bereich der Similaungruppe der Otztaler Alpen in 3210 Metern Hohe fanden, bot einen Ausgleich fur so manche Enttauschung der prahistorischen Knochensammler. Indem sie - sehr spat, sozusagen in der Nachspielzeit - ihrer Hoffnung entsprach, die Evolution moge ein Gesicht, wenigstens einer unserer fruhen Vorfahren moge eine konkrete Biografie haben.
Verschlei?erscheinungen am Gebiss, an den Gelenken, an der Wirbelsaule, gebrochene und wieder verheilte Rippen, ausgepragte Wachstumsstorungen, mehrere bedrohliche Erkrankungen, die dem Tod vorausgingen, darunter moglicherweise ein Magengeschwur, Brot und Fleisch als letzte Mahlzeit - durchgecheckt wie ein verungluckter Bergsteiger des 20. Jahrhunderts, wurde der »Similaun-mann« einer von uns.
Und die Steinzeit, die spate Jungsteinzeit, die schon zur Kupferzeit geworden war, verlor ein Stuck ihrer kalten, unnahbaren Anonymitat.
Den Radiokarbondatierungen folgend, kam der Otzi um 3300 v. Chr. bei der Uberquerung der Alpen ums Leben. Vermutlich hatte er braune (nicht, wie bisher angenommen, blaue) Augen, war 1,60 Meter gro? oder vielmehr klein, funfzig Kilogramm schwer und wurde nach heutigen Ma?staben wahrscheinlich Schuhgro?e 35