«Nachste Woche komm ich hier raus«, sagte Ernestine.»Am Samstag.«
Ein eisiger Schauer uberlief Tracy. Sie hatte Ernestine nicht von ihrer Unterhaltung mitBigBerthaberichtet. Ernestine wurde ihrbald nicht mehr helfen konnen. Wahrscheinlich hatteBigBertha genugend Einflu?, um Tracy in ihre Zelle verlegen zu lassen. Zu verhindern war das nur durch ein Gesprach mit
dem Direktor, und Tracy wu?te, da? sie so gut wie tot war, wenn sie das tat. Alle Frauen im Gefangnis wurden sich gegen sie wenden. Hier mu?t du powern oderbeschei?en, oder die Hindernisse eben auf die elegante Tour nehmen. Sie wurde die Hindernisse auf die elegante Tour nehmen.
Wieder sprach sie mit Ernestine uber Fluchtmoglichkeiten. Keine war zufriedenstellend.
«Du hast kein Auto, und du hast niemand drau?en, der dir hilft. Die kriegen dich hundertprozentig, und dann hangst du noch tiefer in der Schei?e. Bleiblieber cool und sitz deine Zeit hier ganz locker ab.«
Doch Tracy wu?te, da? sie nicht so lassig wurdebleiben konnen, nachdemBigBertha es ernsthaft auf sie abgesehen hatte. Der Gedanke daran, was die Schwedin mit ihr machen wollte, verursachte Tracy Ubelkeit.
Es war Samstag morgen, sieben Tage vor Ernestines Entlassung. Sue EllenBrannigan war ubers Wochenende mit Amy nach New Orleans gefahren, und Tracy arbeitete in der Gefangniskuche.
«Wie lauft's mit deinem Kindermadchenjob?«erkundigte sich Ernestine.
«Ganz gut.«
«Ich habdie Kleine mal gesehen. Die ist niedlich.«
«Ja, sie ist okay«, sagte Tracy. Es klang gleichgultig.
«Ichbin echt froh, wenn ich drau?enbin. Und ich sag dir eins: Ich komm nie mehr in diesen Schei?knast hier. Wenn AI und ich was fur dich tun konnen…«
«Achtung!«rief eine Mannerstimme.
Tracy drehte sich um. Ein Waschereiangestellter schobeinen Karren mit Korben voll von schmutzigen Uniformen und Wei?zeug vor sich her. Tracybeobachtete verdutzt, wie er auf die Tur zusteuerte.
«Ich habgesagt, wenn AI und ich was fur dich tun konnen… du wei?t schon… dir was schicken oder so…«
«Ernie, was macht denn der Mann hier? Das Gefangnis hat doch eine eigene Wascherei?«
«Oh, der holt die Sachen vom Wachpersonal ab«, lachte Ernestine.»Fruher haben die ihre Uniformen immer in die Gefangniswascherei gegeben, aber irgendwie waren dann alle Knopfe abgerissen, die Armel kaputt und schweinischeBriefe in den Taschen — oder die Hemden sind eingelaufen und der ganze Stoff war im Arsch. Ist das nicht 'ne Affenschande? Ja, und jetzt schicken sie ihre Sachen in 'ne Wascherei drau?en. «Ernestine lachte wieder.
Tracy horte nicht mehr zu.
11
«George, ichbin mir nicht sicher, obwir Tracybehalten sollen.«
GefangnisdirektorBranniganblickte von seiner Zeitung auf.
«Was hast du denn fur Probleme mit ihr?«
«Ich wei? auch nicht genau. Ich habe das Gefuhl, da? sie Amy nicht mag. Vielleicht kann sie Kinder einfach nicht leiden.«
«Sie war doch nicht ha?lich zu Amy, oder? Hat sie Amy angeschrieen oder geschlagen?«
«Nein…«
«Was dann?«
«Gestern kam Amy zu Tracy gelaufen und hat sie umarmt, und Tracy hat sie weggesto?en. Ich fand das schlimm. Amy ist doch so in sie vernarrt… Ehrlich gesagt, ich glaube sogar, da? ich einbi?chen eifersuchtigbin. Kann es das sein?«
Brannigan lachte.»Das kann es allerdings sein. Ich finde, da? Tracy Whitney die richtige Frau fur diesen Jobist. Wenn sie dir wirklich Schwierigkeiten macht, sag mirBescheid, dann werde ich etwas dagegen unternehmen.«
«Ja, Liebling. «Aber Sue Ellen war mit dieser Losung keineswegs zufrieden. Sie griff nach ihrer Petitpoint?Stickerei und machte die ersten Stiche. Das Thema war noch nicht abgeschlossen.
«Warum funktioniert das nicht?«
«Habich dir doch gesagt, Baby. Weil die Wachen jeden Wagen durchsuchen, der durchs Tor fahrt.«
«Aberbei einem Lieferwagen, der einen KorbWasche geladen hat, werden sie die Wasche doch nicht auskippen, um
auf denBoden des Korbs zu schauen!«
«Nein, das nicht. Aber der Korbwird in den Abstellraum gebracht, und da pa?t 'n Warter auf, wie er vollgepackt wird.«
Tracy dachte nach.
«Ernie… konnte jemand den Warter funf Minuten ablenken?«
«Verdammt noch mal, wie stellst du dir das vor, da?…«Siebrach mitten im Satz ab, und einbreites Lacheln erhellte ihr Gesicht.»Wahrend jemand mit ihmbumst, legst du dich in den Korbund wirst mit Wasche zugedeckt!«Sie nickte.»Ja. Ich glaube, das konnte klappen.«
«Dann hilfst du mir also?«
Ernestine uberlegte es sich einen Moment. Dann sagte sie sanft:»Ja, ich helf dir. Das ist meine letzte Chance, BigBertha 'n Tritt in den Arsch zu geben.«
Im Informationssystem des Gefangnisses liefen samtliche Drahte hei?, und das einzige Thema war Tracy Whitneys Flucht. Ein Ausbruchversuch gehorte zu den Ereignissen, die alle Gefangenenbewegten. Sie durchlebten und durchlitten jeden stellvertretend mit und wunschten sich, sie hatten den Mut gehabt, es selbst zu riskieren. Aber da waren die Wachen und die Hunde und die Hubschrauber… und am Ende die Frauen, die zuruckgebracht wurden — oder ihre Leichen.
Dank Ernestines Hilfe machte der Fluchtplan rasche Fortschritte. Ernestine nahm Tracy fur ein Kleid Ma?, Lola klaute Stoff aus der Gefangnisschneiderei, und Paulita gabdas Gewandbei einer Naherin in einem anderenBlock in Auftrag. Aus dem Magazin wurde ein Paar Gefangnisschuhe gestohlen und passend zum Kleid umgefarbt. Wie durch Zauberkraft tauchten Hut, Handschuhe und eine Handtasche auf.
«Jetzt mu?t du noch Papiere haben«, sagte Ernestine zu Tracy.»Dubrauchst Kreditkarten und 'n Fuhrerschein.«
«Woher soll ich…«
Ernestine grinste.»Uberla? das nur mir.«
Am Abend darauf uberreichte sie Tracy drei Kreditkarten, die auf den Namen Jane Smith ausgestellt waren.»Fehlt nur noch der Fuhrerschein«, sagte Ernestine.
Nach Mitternacht horte Tracy, wie die Zellentur geoffnet wurde. Jemand schlich leise auf ihre Pritsche zu. Tracy setzte sich auf. Sie war sofort hellwach.
«Whitney?«flusterte eine Frau.»Komm mit.«
Tracy erkannte die Stimme. Sie gehorte Lillian, einer Gefangenen aus einer Nachbarzelle.»Was willst du?«fragte Tracy.
Und nun scho? Ernestines Stimme durch die Dunkelheit.»Hat dich deine Mutter zu hei? gebadet? Halt's Maul und stell keine sobloden Fragen.«
Lillian sagte leise:»Wir mussen unsbeeilen. Wenn sie uns erwischen, bin ich dran. Komm.«
«Wohin gehen wir?«erkundigte sich Tracy, als sie Lillian durch den dunklen Flur zu einer Treppe folgte. Sie stiegen einen Stock hoher, und nachdem sie sich vergewissert hatten, da? keine Warterinnen in der Nahe waren, eilten sie einen anderen Flur entlang, bis sie zu dem Raum kamen, in dem Tracy die Fingerabdrucke abgenommen und die Fotos von ihr geknipst worden waren. Lillian stie? die Tur auf.»Da rein«, flusterte sie.
Tracy trat ein. Drinnen wartete schon eine andere Frau.
«Stell dich an die Wand«, sagte sie. Ihre Stimme klang etwas hektisch.
Tracy ging zur Wand. Sie hatte fast Magenkrampfe vor Aufregung.
«Schau in die Kamera. Na, nun mach schon. Und 'nbi?chen lacheln. Versuch's wenigstens.«