Universitat, jung, zu allem bereit und begierig, fur den Staatsanwalt von New York zu arbeiten.

Das Buro war eindrucksvoll. Es war mit einer getafelten Wandverkleidung versehen und ruhig und geschmackvoll eingerichtet. Es gab einen riesigen Schreibtisch mit drei Stuhlen davor und einem komfortablen Ledersessel dahinter, einen mit einem guten Dutzend Stuhlen bestuckten Konferenztisch und mit juristischer Fachliteratur gefullte Wandregale. An den Wanden hingen handsignierte Bilder von J. Edgar Hoover, John Lindsay, Richard Nixon und Jack Dempsey. Als Jennifer in das Buro platzte, den Kopf voller Entschuldigungen, unterbrach sie Di Silva in der Mitte eines Satzes. Er hielt inne, blickte sie an und sagte: »Fur was, zum Teufel, halten Sie das hier? Eine Teeparty?«

»Es tut mir furchtbar leid, ich...«

»Ich pfeife darauf, ob es Ihnen leid tut. Wagen Sie es nicht noch einmal, zu spat zu kommen!«

Die anderen sahen Jennifer ausdruckslos an, bemuht, ihr Mitgefuhl zu verbergen.

Di Silva wandte sich wieder der Gruppe zu und sagte scharf:

»Ich wei?, warum Sie alle hier sind. Sie werden mir so lange an den Fersen kleben, bis Sie glauben, mir alles abgeschaut und samtliche Tricks im Gerichtssaal gelernt zu haben. Und wenn Sie sich dann fur reif halten, werden Sie die Fronten wechseln und einer von den teuren, na?forschen Strafverteidigern werden. Aber vielleicht ist unter Ihnen ein einziger, der gut genug ist, um - vielleicht - eines Tages meinen Platz einzunehmen.« Di Silva nickte seinem Assistenten zu. »Vereidige sie.«

Mit gedampfter Stimme leisteten die Anwalte den Eid. Als die Zeremonie vorbei war, sagte Di Silva: »In Ordnung, Sie sind jetzt vereidigte Justizbeamte, moge Gott uns beistehen. Es konnte Ihnen nichts Besseres passieren als dieses Buro, aber erwarten Sie nicht zuviel. Sie werden in Akten und Papierkrieg ersticken - Vorladungen, Zwangsvollstreckungen - all die wunderbaren Dinge, die man Ihnen auf der Uni beigebracht hat. Eine Verhandlung werden Sie fruhestens in ein oder zwei Jahren fuhren.«

Di Silva unterbrach sich, um eine kurze, dicke Zigarre anzuzunden. »Zur Zeit vertrete ich die Anklage in einem Fall, von dem einige von Ihnen vielleicht schon gehort haben.« Seine Stimme war scharf vor Sarkasmus. »Ich kann ein halbes Dutzend von Ihnen als Laufburschen gebrauchen.« Jennifers Hand war als erste oben. Di Silva zogerte einen Augenblick, dann wahlte er sie und funf andere. »Geht runter in Sitzungssaal sechzehn.« Als sie den Raum verlie?en, wurden ihnen Ausweise ausgehandigt. Jennifer hatte sich von der Art des Staatsanwalts nicht einschuchtern lassen. Er mu? hart sein, dachte sie. Schlie?lich hat er einen harten Job. Und jetzt arbeitete sie fur ihn. Sie gehorte zum Stab des Staatsanwalts von New York! Die scheinbar endlosen Jahre der Schinderei an der juristischen Fakultat waren vorbei. Irgendwie hatten ihre Dozenten es geschafft, das Gesetz abstrakt und verstaubt wirken zu lassen, aber Jennifer hatte das versprochene Paradies dahinter dennoch nicht aus den Augen verloren: die wirkliche Rechtsprechung uber menschliche Wesen und ihre Torheiten. Jennifer hatte als zweitbeste in ihrer Klasse abgeschnitten. Sie bestand das Examen im ersten Anlauf, wahrend ein Drittel ihrer Kommilitonen, die es mit ihr versucht hatten, durchgefallen waren. Sie hatte das Gefuhl, Robert Di Silva zu verstehen, und sie war sicher, da? sie jeder Aufgabe gewachsen war, die er ihr geben wurde.

Jennifer hatte ihre Hausaufgaben erledigt. Sie wu?te, da? dem Staatsanwalt vier verschiedene Buros unterstellt waren, und sie fragte sich, welchem sie zugeteilt werden wurde. Es gab uber zweihundert Assistenten der Staatsanwalte und funf Staatsanwalte, einen fur jeden Bezirk. Aber der bedeutendste Bezirk war naturlich Manhattan, und den beherrschte Robert Di Silva.

Jetzt, im Gerichtssaal, sa? Jennifer am Tisch des Anklagers und erlebte Di Silva bei der Arbeit, einen energischen, unbarmherzigen Inquisitor.

Jennifer warf einen fluchtigen Blick auf den Angeklagten, Michael Moretti. Trotz allem, was sie uber ihn gelesen hatte, konnte Jennifer ihn sich nicht als Morder vorstellen. Er sieht wie ein junger Filmstar in einer Gerichtsszene aus, dachte sie. Er bewegte sich nicht, nur seine tiefliegenden, dunklen Augen verrieten seine innere Unruhe. Unaufhorlich blickten sie hin und her, drangen in jeden Winkel des Raums, als suc hten sie nach Fluchtmoglichkeiten. Aber es gab keine. Darauf hatte Di Silva geachtet.

Camillo Stela wartete im Zeugenstand. Ware Stela ein Tier geworden, dann hatte er als Wiesel das Licht der Welt erblickt. Er hatte ein schmales, ausgemergeltes Gesicht mit dunnen Lippen und gelben, vorstehenden Zahnen. Sein Blick war unstet, und man hielt ihn schon fur einen Lugner, ehe er auch nur den Mund geoffnet hatte. Robert Di Silva war sich der Mangel seines Zeugen bewu?t, aber sie zahlten nicht. Das einzige, was za hlte, war seine Aussage. Er hatte grauenvolle Geschichten zu erzahlen, Geschichten, die noch nie erzahlt worden waren, und sie hatten den unmi?verstandlichen Klang der Wahrheit.

Der Staatsanwalt trat an den Zeugenstand, wo Camillo Stela vereidigt worden war.

»Mr. Stela, ich mochte, da? sich die Jury daruber im klaren ist, da? Sie sich nicht freiwillig als Zeuge zur Verfugung gestellt haben und da? der Staat Sie nur deshalb zu dieser Aussage uberreden konnte, weil er Ihnen gestattet hat, sich nur wegen Totschlags und nicht, wie ursprunglich, wegen Mordes zu verantworten. Ist das richtig?«

»Ja, Sir.« Stelas rechter Arm zuckte.

»Mr. Stela, ist der Angeklagte, Michael Moretti, Ihnen bekannt?«

»Ja, Sir.« Stela vermied es, zum Tisch des Angeklagten hinuberzublicken.

»Welcher Art war Ihre Beziehung?«

»Ich habe fur Mike gearbeitet.«

»Wie lange kennen Sie Michael Moretti?«

»Ungefahr zehn Jahre.« Stelas Stimme war fast unhorbar. »Konnten Sie bitte etwas lauter sprechen?«

»Ungefahr zehn Jahre.« Jetzt begann sein Nacken zu zucken. »Wurden Sie sagen, Sie waren ein Vertrauter des Angeklagten?«

»Einspruch!« Thomas Colfax, Morettis Verteidiger, sprang auf. Er war ein gro?er, silberhaariger Mann in den Funfzigern, der consigliere des Syndikats und einer der gerissensten Strafverteidiger des Landes. »Der Staatsanwalt versucht, den Zeugen zu beeinflussen.«

Richter Lawrence Waldman sagte: »Stattgegeben.«

»Ich formuliere die Frage neu. In welcher Eigenschaft arbeiteten Sie fur Mr. Moretti?«

»Man konnte sagen ich war eine Art Feuerwehrmann fur leichte Falle.«

»Wurden Sie das etwas genauer erklaren?«

»Nun ja, also, wenn sich ein Problem stellte, wenn jemand aus der Reihe tanzte, dann beauftragte Mike mich damit, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.«

»Wie haben Sie das gemacht?«

»Nun ja - mit Gewalt, wissen Sie.«

»Konnten Sie der Jury ein Beispiel geben?« Thomas Colfax war wieder auf den Beinen. »Einspruch, Euer Ehren! Dieser Teil des Verhors ist unerheblich.«

»Abgelehnt. Der Zeuge kann die Frage beantworten.«

»Also, Mike verleiht zum Beispiel Geld zu einem bestimmten Zinssatz, klar? Vor 'n paar Jahren liegt Jimmy Serrano mit seinen Zahlungen im Ruckstand, und da schickt Mike mich hin, damit ich Jimmy eine Lektion erteile.«

»Worin bestand diese Lektion?«

»Ich hab' ihm die Beine gebrochen. Verstehen Sie«, erklarte Stela ernsthaft, »wenn man einem so was durchgehen la?t, probieren alle anderen es auch.«

Aus den Augenwinkeln konnte Robert Di Silva den schockierten Ausdruck auf den Gesichtern der Geschworenen erkennen.

»Abgesehen davon, da? Michael Moretti ein Kredithai war -in welche anderen Geschafte war er noch verwickelt?«

»Ach Gott, in alles, was es so gibt. Was Sie auch aufzahlen, er war dabei.«

»Ich mochte aber, da? Sie die Geschafte aufzahlen, Mr. Stela.«

»Ja, gut. Also, im Hafen, da macht Mike einen ganz guten Schnitt bei der Gewerkschaft. Genauso in der Textilbranche. Na ja, dann war Mike noch im Glucksspiel, kassierte bei den Musikboxen, der Mullabfuhr und den Waschereien. Das war's so ungefahr.«

»Mr. Stela, Michael Moretti steht vor Gericht wegen der Morde an Eddie und Albert Ramos. Kannten Sie die?« »Klar.« »Waren Sie dabei, als sie getotet wurden?«

»Ja.« Stelas ganzer Korper schien zu zucken. »Wer genau hat sie getotet?«

»Mike.« Fur eine Sekunde kreuzten sich Stelas und Morettis Blicke, dann sah Stela rasch in eine andere

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