Plaisance einst die gro?e Worlds Columbian Fair in dem weiten Gebiete des Jackson-Parks unmittelbar am Strande des Michigansees umschlossen hatte.

Sollte sich der Wagen diesem fur alle Zukunft beruhmt gewordenen Platze zuwenden? Handelte es sich um eine Feierlichkeit zur Erinnerung an den verflossenen Glanz, etwa um eine Gedenkfeier, die durch alljahrliche Wiederholung jene gro?en Tage der Annalen Chicagos vor dem Vergessenwerden bewahren sollte?

Nein, nach dem Vorbeiziehen am Washington-Park-Club durch die Cottage Greve Avenue, hielten die ersten Reihen der Milizen vor einem Park an, den in diesem volkreichen Quartiere verschiedene Eisenbahnen mit ihren vielfachen stahlernen Netzen umsponnen haben.

Das fast zahllose Gefolge machte Halt und das Orchester lie?, ehe es im Schatten stolzer Eichen weiterschritt, einen der verfuhrerischesten Walzer von Strau? erklingen.

Gehorte dieser Park vielleicht einem Casino und sollte die gro?e Menge etwa nach einem Riesensaale gefuhrt werden, um dort eine Art carnevalistisches Nachtfest zu begehen?…

Jetzt offneten sich die Pforten weit, und den Polizisten gelang es nur mit gro?ter Anstrengung, die heransturmende Menge, die hier noch zahlreicher, noch larmender und noch ausgelassener war, von dem Eindringen zuruckzuhalten.

Von einer weiteren Milizenkette geschutzt, gelang es, das zu verhindern, bis der Wagen nach einem etwa funfzehn Meilen langen Wege um und durch die riesige Stadt sein Ziel erreicht hatte…

Dieser Park war kein Park… es war die Oakswoods Cemetry, der gro?te der elf Friedhofe Chicagos… und der Wagen war ein Leichenwagen, der jetzt die sterblichen Ueberreste William I. Hypperbone’s, eines der Mitglieder des Excentric Club, ihrer letzten Ruhestatte zufuhrte.

Zweites Capitel.

William I. Hypperbone.

Daraus, da? sich die Herren James T. Davidson, Gordon S. Allen, Harry B. Andrews, John I. Dickinson, Georges B. Higginbotham und Thomas R. Carlisle unter den ehrsamen Gruppen befanden, die dem Leichenwagen unmittelbar folgten, darf man nicht etwa schlie?en, da? sie gerade die hervorragendsten Mitglieder des Excentric Club gewesen waren.

Die Wahrheit zu sagen, bestand das Excentrische in ihrem Leben auf dieser Erde einzig darin, da? sie dem genannten Club in der Mohawkstra?e angehorten. Vielleicht beabsichtigten anfanglich diese schwerwiegenden Sohne Bruder Jonathans, die durch wiederholte gluckliche Bodenspeculationen, durch Pokelanstalten, Petroleum, Eisenbahnen, Erzbergwerke, Elevatorenbetriebe oder durch Gro?schlachtereien sehr reich geworden waren, ihren Landsleuten von den einundfunfzig Staaten der Union und der Neuen und Alten Welt durch ultraamerikanische Absonderlichkeiten ein erregendes Schauspiel zu bieten; ihr offentliches und privates Leben aber zeichnete sich unbedingt durch nichts aus, was ihnen die Aufmerksamkeit der Erdbewohner hatte zulenken konnen. Sie bildeten nur einen Verein von funfzig Mitgliedern, die recht hohe Beitrage bezahlten, mit der Chicagoer Gesellschaft keine naheren Verbindungen unterhielten, die ihre Spiel-und Lesezimmer flei?ig besuchten, daselbst eine Menge Journale und Revuen durchflogen, wie in allen derartigen Kreisen mehr oder weniger hoch spielten und sich gelegentlich bei Erwahnung dessen, was sie bisher gethan hatten und jetzt vielleicht thaten, ehrlich zugestanden:

»Entschieden sind wir keineswegs – nein, nicht im mindesten excentrisch!«

Einer der Herren schien aber doch mehr als seine Collegen Veranlagung zur Originalitat zu verrathen. Hatte er sich bisher auch noch nicht durch eine Reihe Aufsehen erregender Wunderlichkeiten hervorgethan, so glaubte man doch darauf rechnen zu durfen, da? er in Zukunft den dem beruhmten Vereine etwas vorschnell gegebenen Namen rechtfertigen werde.

Leider sollte William I. Hypperbone unerwaret das Zeitliche segnen. Freilich mu?te man anerkennen, da? er, was er bei Lebzeiten nicht gethan, in eigenartiger Weise nach seinem Tode ausgefuhrt hatte, denn nur seinem ausdrucklichen Wunsche gema? ging das Begrabni? des Sonderlings inmitten allgemeinen Jubels vor sich.

Der selige William I. Hypperbone hatte zur Zeit, als er sein Dasein plotzlich endete, kaum das funfzigste Lebensjahr uberschritten. In diesem Alter war er noch ein hubscher. hochgewachsener. breitschulteriger Mann mit machtigem Brustkasten, straffer Haltung und nicht ohne eine gewisse Eleganz, ohne eine gewisse Vornehmheit. Er hatte »meliertes«, stets kurz gehaltenes Haar, einen facherartig abstehenden goldblonden Bart, der bereits mit einzelnen Silberfaden vermischt war, tiefblaue Augen mit glanzender, unter dichten Lidern hervorleuchtender Pupille und einen Mund mit noch luckenloser Zahnreihe und eng geschlossenen Lippen, dessen Linie seitwarts leicht aufstieg – das Zeichen eines zu spottischem Scherz, selbst zu etwas Hochmuth geneigten Temperamentes.

Dieses prachtige Musterbild eines Nordamerikaners erfreute sich einer eisernen Gesundheit. Nie hatte ein Arzt ihm nach dem Puls gefuhlt, nie einer seine Zunge gepruft, ihm in den Hals gesehen, die Brust beklopft oder das Herz behorcht, niemals war seine Korpertemperatur mittelst Thermometers gemessen worden. Und an Aerzten fehlt es in Chicago gerade nicht – auch nicht an Zahnarzten, die alle im Rufe besonderer Geschicklichkeit stehen, von denen aber keiner je Gelegenheit gehabt hatte, seine Kunst an ihm zu beweisen.

Man hatte also sagen konnen, da? eigentlich keine Maschine – und ware es eine von hundert Aerztekraft – im Stande gewesen ware, ihn aus dieser Welt zu rei?en und in eine andere zu befordern; dennoch war er nun gestorben, ohne Hilfe der medicinischen Facultat – und infolge dieser uberraschenden Leistung stand eben sein Leichenwagen jetzt vor dem Thore der Oakswoods Cemetry.

Um dieses Bild der physischen Personlichkeit des Mannes nach der seelischen Seite hin zu erganzen, mussen wir hinzufugen, da? William I. Hypperbone von Natur kuhl und bestimmt war und unter allen Umstanden Herr seiner selbst zu bleiben wu?te. Wenn er am Leben etwas Schatzenswerthes fand. so fand er das als Philosoph, und mit der Philosophie wird man sich ja leicht befreunden, wenn ein gro?es Vermogen, das Freisein von jeder Sorge fur die Gesundheit und fur eine Familie es gestatten, das Wohlwollen mit der Freigebigkeit zu verbinden.

Da drangt sich freilich die Frage auf, ob es logisch sei, von einer so praktischen, so gleichma?ig abgewogenen Personlichkeit uberhaupt eine excentrische That zu erwarten. Fand sich in der Vergangenheit dieses Amerikaners wohl eine Thatsache, die so etwas glauben lie??

Ja, eine einzige.

Im Alter von vierzig Jahren stehend, hatte William I. Hypperbone den Gedanken gehabt, mit der am unzweifelhaftesten nachgewiesenen Hundertjahrigen der Neuen Welt eine gesetzma?ige Ehe einzugehen. Die betreffende Dame war 1781 gerade an dem Tage geboren, wo die Capitulation des Lord Cornwallis im Befreiungskriege England zwang, die Unabhangigkeit der Vereinigten Staaten anzuerkennen. In der Stunde aber, wo er um die Hand der ehrbaren Mi? Anthonia Burgoyne anhalten wollte, wurde die Erkorene durch einen Anfall kindlichen Keuchhustens dahin gerafft. William I. Hypperbone konnte nicht einmal ein Jawort zu horen bekommen. Treu dem Andenken der ehrwurdigen Mi? blieb er aber Junggesell, und das kann man doch fur einen recht leidlich excentrischen Streich halten.

Spater vermochte nichts mehr sein ruhiges Leben zu storen, denn er gehorte nicht zur Schule jenes Dichters, der in prachtigen Versen sagt:

O Tod, Du dustrer Gott, der alles an sich rafft, Nimm Deine Kinder auf an sternbesatem Herde. Befreie sie von Zeit, von Zahl, von Raum und Kraft, Gieb wieder all’n die Ruh, die einst ihr Leben storte.

Ja, warum hatte William I. Hypperbone auch je daran denken sollen, den »dustern Gott« anzurufen? Zeit, Zahl, Raum hatten ihn hienieden ja niemals belastigt, Kraft hatte ihm niemals gefehlt und auf dieser Erde war ihm

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