gute Dienste geleistet. Carter würde sich jetzt allein auf die Wirkung der Uniform verlassen müssen. Unterwegs diskutierte er mit Flack über die Angelegenheit und sie überlegten sich, wie sie die Kingsleys überrumpeln könnten.
Auf der Ladefläche des Lastwagens lagen Sue Ellen und Ann gefesselt auf der Seite und mußten eine weitere holprige, furchterregende Fahrt über sich ergehen lassen. In ihrem Bewußtsein wirbelten beängstigende, unzusammenhängende Gedanken durcheinander. Ann hatte eine Verletzung an der Stirn, die schmerzte - nicht so stark, daß sie das Gefühl hatte, es sei ernsthaft, aber doch heftig genug, um die Qualen und die Panik, denen sie ausgesetzt waren, noch zu verschlimmern. Der Knebel in ihrem Mund war von Speichel durchtränkt und schmeckte faulig und säuerlich. Ihr war übel und sie stand kurz davor, sich zu erbrechen, doch sie mußte dagegen anschlucken, um nicht zu ersticken. Sue Ellen lag, so still sie konnte, sie war viel zu erschöpft, um noch zu weinen. Ihre Wange vibrierte auf dem rauhen Metall der Ladefläche. Sie hatte keine Ahnung, wo man sie hinbrachte, und es war ihr längst alles egal. Sie war überzeugt, daß sie und Ann bald tot sein würden. Wenn sie auf dem Rücksitz des Polizeiwagens nicht geschlafen hätten und nicht so entspannt gewesen wären, hätten sie vielleicht den Unfall nicht überlebt. Und das wäre vielleicht das beste gewesen - ohne Vorankündigung einfach ausgelöscht, ahnungslos, was mit ihnen passierte. Flack und Carter hätten ihnen zweifellos in die Schädel geschossen, um ihren Tod vollständig zu machen, und sie hätten friedlich für immer ruhen können.
Dave fuhr Mr. Dorseys Wagen, so schnell er konnte, und hielt dabei wachsam Ausschau nach irgendwelchen Gefahren auf der Straße. Es war ein Chevrolet von 1956, verrostet und verdreckt, schwer zu starten und noch schwerer zu steuern, mit ausgeschlagener Lenkung und kaum vorhandenen Bremsen. Er rappelte und klapperte über die Schotterstraße und schaffte es nicht über fünfundsechzig Stundenkilometer. Die Straße war erstaunlich frei von Leichenfressern. An einer Stelle entdeckte er eine Gruppe von ihnen, weit entfernt von der Straße in einem Feld. Sie schienen dort einfach still zu stehen, ohne irgend etwas zu tun, als ob sie nicht wüßten, was sie tun sollten. Dave überlegte, daß die lebendigen Toten vielleicht mit jedem neuen Tag eine Art Lähmung zu überwinden hätten, so als sei die Morgendämmerung und das Auferstandensein von den Toten eine Überraschung für sie. Oder vielleicht hatten sie einfach alles, was es in diesem abgelegenen Gebiet an einsamen Bauernhöfen gab, schon abgegrast, und waren drauf und dran, neue Gefilde mit reichlicheren Vorräten an Menschenfleisch aufzusuchen. Dave schauderte.
Er mochte sich nicht vorstellen, daß diese Humanoiden vielleicht des Denkens fähig wären. Sie wären noch grauenerregender, wenn sie tatsächlich denken könnten. Er dachte an seine Frau und an seinen Sohn, die nicht wußten, daß er noch am Leben war. Er hatte noch immer Hoffnung, sie wiederzusehen. Sie befanden sich vermutlich einigermaßen in Sicherheit in der Wohnung in dem großen Hochhaus im Zentrum der Stadt. Vor zehn Jahren während der Krise waren die Städte recht gut geschützt worden. Die Polizeikräfte waren zentralisiert und die Kommunikation konnte aufrechterhalten werden. Es waren die ländlichen Gebiete gewesen, die damals - wie heute - am schlimmsten betroffen wurden. Dave und seine Frau hatten vor, so bald als möglich aus der Stadt zu ziehen. Dave mußte sich widerwillig eingestehen, daß es vermutlich ein Glück war, daß sie es sich bislang noch nicht hatten leisten können.
Carl Martinelli war nicht verheiratet gewesen. Wenn Dave wieder in die Stadt kam, würde er Carls italienische Eltern über den Tod ihres Sohnes unterrichten müssen. Er würde betonen, daß Carl starb, als er versuchte, das Leben eines Kindes zu retten. Wenigstens war er nicht von den Humanoiden getötet worden, und es bestand vielleicht die Möglichkeit, seine Leiche für ein kirchliches Begräbnis nach Hause zu bringen, was seine Eltern wahrscheinlich wünschten. Dave schaltete das Autoradio ein und warf gleichzeitig einen
Blick auf das Gewehr, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er hatte das Radio bislang noch nicht ausprobiert. Offenbar hatte der erbärmliche Zustand des Wagens ihn zu der Annahme geführt, daß das Radio in einem solchen Schrotthaufen unmöglich intakt sein konnte. Aber es funktionierte doch und die Stimme eines Sprechers war zu hören. »...werden wir lebendig und zu fleischverzehrenden Monstern, zu Kreaturen, die nach lebendigem Fleisch lechzen, um zu überleben? Wissenschaftler haben die Leichen der lebendigen Toten untersucht, die durch die Zerstörung des Gehirns immobilisiert worden waren. Eine Theorie besagt zur Zeit, ich zitiere: Die toten Zellen frischer Leichen scheinen durch eine bislang unbekannte Art von Malignität wiederbelebt zu werden. Mit anderen Worten handelt es sich also um eine unbekannte Form von Krebs oder eventuell um einen Virus, der tote Zellen wieder lebendig macht. Sie werden dabei nicht >lebendig< im üblichen Sinne, sondern stellen eine bösartige Lebensform dar, die den Menschen in eine Kreatur verwandelt, die in den meisten Aspekten tot ist. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler ist überzeugt, daß es sich um etwas handelt, das in der Luft ist, etwa um einen durch Pollution entstandenen Virus, eine merkwürdige Mischung aus karzinogenen Chemikalien, die tote Zellen angreifen, sie aktivieren und den Toten zu einem lebendigen Tod erwecken, einer aktivierten Leiche, die von der Gier nach lebendigem Fleisch getrieben wird. Es wurde festgestellt, daß der >Tod< oder sagen wir die >Immobilisierung< der Leichen durch die Zerstörung des Gehirns herbeigeführt werden kann. Wenn das Gehirn nicht mehr arbeitet, hören auch alle Drüsen-und Kreislauffunktionen auf; die Kreatur kann zumindest unbeweglich gemacht werden...«
Dave lenkte den Wagen auf den Kies der Einfahrt zur Tankstelle von Log Cabin, bremste und stellte den Motor ab. Der Ort war ausgeplündert worden. Die Schlösser an zwei Tanksäulen waren abgebrochen und Fenster eingeworfen worden. Die Eingangstür hing schief in den Angeln. Niemand war zu sehen. Kein Tankwart tauchte auf und Dave erwartete auch keinen, obwohl er über einen Luftschlauch gerollt war, der die Klingel zweimal hatte läuten lassen. Dave ließ mit Mr. Dorseys Gewehr im Anschlag seinen Blick wachsam über das Gelände gleiten, dann stieg er aus und näherte sich dem Gebäude. Er drückte sich an die Wand und schlich bis zum Eingang. Nichts rührte sich. Der Ort wirkte völlig verlassen. Mit dem Fuß stieß Dave die Tür ein Stück weiter auf und trat vorsichtig ein. Seine Augen gewöhnten sich an das dämmrige Licht. Das Innere der Tankstelle wurde nur von draußen schwach erhellt. Ein paar Regale waren umgestürzt und halb leer, die Lade der Kasse war herausgezogen worden und enthielt nur ein paar Cents. Das, was an Wertgegenständen in dem Laden gewesen sein mochte, war fort.
Ein Klicken und dann ein Summen ließen Dave zusammenschrecken. Es war das Summen eines Kühlschranks. Dave hatte angenommen, daß es keine Elektrizität mehr gäbe und daß die Milch, falls es welche gab, sauer geworden wäre. Er schaute sich um und entdeckte den Kühlschrank an der hinteren Wand am Ende einer Reihe von Regalen. In ihnen standen ein paar Konserven, weitere Dosen lagen über den Boden verstreut und Dave stolperte über einige von ihnen. Er machte den Kühlschrank auf, die Innenleuchte schaltete sich ein, und zu seiner Überraschung fand er mehrere Kartons mit Milch, Orangensaft, Eiern und Käse. Alles war mit Preisschildern versehen und bereit zum Verkauf. Wie in so vielen Läden auf dem Land, die abgeschieden lebende Leute im Notfall versorgen, gab es hier nicht einen eleganten Vitrinenkühlschrank, sondern man begnügte sich mit einem alten Eisschrank. Dave hatte wirklich Guck. Wer immer der Plünderer gewesen war, er hatte den Eisschrank nicht ausgeräumt, vermutlich, weil die Sachen zu schnell verderben würden.
Dave fand Einkaufstüten und füllte sie mit allen Nahrungsmitteln, die er finden konnte, um sie Mr. und Mrs. Dorsey zu bringen. Dann lud er alles, so schnell er konnte, ins Auto, wobei er wachsam auf drohende Gefahren achtete.
»Sieht aus, als käme er nicht durch, der arme kleine Kerl.« Der Säugling lag in eine Decke gewickelt auf dem Sitz eines Sessels und Mr. und Mrs. Dorsey beugten sich über ihn. Mrs. Dorsey gab es auf, dem Neugeborenen ein bisschen warmen Tee einflößen zu wollen. Sie hatte den Tee in eine Nuckelflasche gefüllt, und der Schnuller war speichelnaß, nachdem er wieder und wieder verweigert worden war. Sie legte die freie Hand auf die Brust des Babys. »Er atmet noch - ich kann es fühlen«, flüsterte Mrs. Dorsey ganz leise, daß nur sie selbst es hören konnte. »Irgendwelche Anzeichen von den Dingern da draußen? « rief Mr. Dorsey seinem Sohn zu, der mit gekrümmtem Rücken vor dem Fenster stand, um durch einen Spalt zwischen den Brettern schauen zu
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