Die Trauergemeinde setzte sich in Bewegung, die Leute drängten und schoben sich aus dem Zimmer. Einige der Männer trugen Beutel mit langen Metallbolzen und Hämmern, die zum Symbol des Todes geworden waren und die man häufig zu Beerdigungen mitnahm. Andere hatten sich angewöhnt, diese Gegenstände immer im Auto bei sich zu führen.
Bert Miller wandte sich zu seinen Töchtern. Ann hatte ihr Gesicht völlig verängstigt in den Händen vergraben. Sie drückte sich an die Wand, als ihr Vater auf sie zuging. »Ich will nicht mitgehen!« schrie sie voller Verzweiflung und wich vor ihrem Vater zurück.
Bert packte ihr Handgelenk und schüttelte sie so, daß sie ihren Kopf heben und ihm in die Augen schauen mußte. »Du kommst mit! Und Sue Ellen auch! Die einzige, die nicht mitkommt, ist Karen! Und nur, weil sie schwanger ist. Sie bleibt hier und wartet, bis wir zurück sind!« Die anderen waren schon hinausgeeilt. Ann und Sue Ellen wurden von ihrem Vater nach draußen geschoben. Karen schaute ihnen verängstigt und zitternd nach.
Auszug aus einer Bürgerschutz-Radiosendung während des Notstands, der vor zehn Jahren in der ganzen Osthälfte der Vereinigten Staaten herrschte:
»...
neueste Berichte informieren uns, daß sich die Invasion, die erst vor vierundzwanzig Stunden bekannt geworden ist, tatsächlich über den größten Teil der östlichen Vereinigten Staaten ausgebreitet hat. Medizinische und wissenschaftliche Berater sind ins Weiße Haus geladen worden, und Reporter berichten aus Washington, daß der Präsident plant, die Ergebnisse dieser Konferenz in einer Ansprache an die Nation über unser Bürgerschutz- Notstands-Rundfunknetz zu veröffentlichen...
... Die fremdartigen Wesen, die in alarmierender Zahl aufgetaucht sind, scheinen gewisse, vorhersagbare Verhaltensmuster an den Tag zu legen. In den wenigen Stunden nach den ersten Nachrichten über Gewalttaten, Morde und offenbar krankhafte Angriffe auf das Leben von völlig ahnungslosen Menschen wurde festgestellt, daß die fremden Wesen viele körperlich und verhaltensmäßig menschliche Eigenheiten aufweisen. Hypothesen über ihre Herkunft und ihre Absichten sind bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt so unterschiedlich und widersprüchlich, daß uns nur zu berichten bleibt, daß diese Faktoren bislang nicht erklärt werden können. Wissenschaftler und Ärzte untersuchen gegenwärtig mehrere Leichen von diesen Angreifern auf Hinweise, welche die vorhandenen Theorien widerlegen oder bestätigen. Die überwältigendste Tatsache ist, daß sich diese Geschöpfe sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten über die ganze Osthälfte der Nation in unterschiedlicher Zahl ausbreiten, und wenn sie sich in Ihrem Gebiet noch nicht manifestiert haben sollten:
Bitte treffen Sie sämtliche verfügbaren Vorsichtsmaßnahmen!
Der Angriff kann jederzeit erfolgen, überall und ohne jede Vorwarnung! Hier noch einmal die wichtigsten Fakten aus unseren vorangegangenen Berichten: Eine aggressive Macht -eine Armee - unerklärter, unidentifizierter humanoider Wesen ist aufs Geratewohl in verschiedenen städtischen und ländlichen Gebieten in allen Oststaaten aufgetaucht. Diese Wesen sind absolut aggressiv und vernunftwidrig in ihrer Gewalttätigkeit. Bürgerschutzmaßnahmen sind eingeleitet worden, und Untersuchungen über Herkunft und Ziel der Angreifer sind im Gange. Alle Bürger werden dringend gebeten, die größtmöglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Selbstverteidigung gegen diese heimtückische, fremde Macht wahrzunehmen. Diese Wesen sind körperlich ziemlich schwach und lassen sich wegen ihres verunstalteten Äußeren leicht von Menschen unterscheiden. Im allgemeinen sind sie unbewaffnet, doch können sie wahrscheinlich Waffen handhaben. Sie sind ohne irgendeinen Grund oder Plan aufgetaucht, ungleich organisierten Armeen, wie wir sie kennen. Sie erwecken den Eindruck, von Verzückung oder Besessenheit getrieben zu sein. Sie scheinen völlig irrational zu handeln. Sie können - ich wiederhole -
sie können aufgehalten werden, indem sie bewegungsunfähig gemacht werden!
Sie können durch Blendung oder Verstümmelung aufgehalten werden. Sie sind, denken Sie daran, körperlich schwächer als ein durchschnittlicher Erwachsener - aber ihre Stärke besteht in ihrer Überzahl, dem Überraschungseffekt und in der Tatsache, daß ihre Existenz jenseits unseres gewohnten Verstehens liegt. Sie scheinen irrationale, unkommunikative Wesen zu sein und müssen eindeutig als äußerst gefährliche Bedrohung angesehen werden, die uns in eine ernste Notstandssituation versetzt. Wenn man ihnen begegnet, ist ihnen auszuweichen oder man muß sie vernichten. Unter gar keinen Umständen sollten Sie oder Ihre Familienmitglieder allein oder unbeaufsichtigt bleiben, solange diese Bedrohung anhält.
... Diese Wesen sind Fleischfresser! Sie verzehren das Fleisch ihrer Opfer. Charakteristisch für ihre Attacken ist ihr hinterhältiges, wahnsinniges Verlangen nach menschlichem Fleisch. Ich wiederhole: Diese fremden Wesen ver-zehren das Fleisch ihrer menschlichen Opfer...
«
Sheriff Conan McClellan schlürfte seinen Morgenkaffee in seinem Büro, als die Nachricht von dem verunglückten Bus über den Polizeifunk eintraf. Er kannte die Kreuzung und die Böschung, wo der Bus dem Bericht zufolge abgestürzt war. Die Meldung erwähnte nichts von einem Feuer, und die Böschung war nicht sehr tief. Je nach der Geschwindigkeit, mit welcher der Bus über den Straßenrand geraten war, und je nachdem, ob er eine Kollision mit den großen Bäumen hatte verhindern können, ehe er zum Stillstand gekommen war, konnte es Überlebende geben.
McClellan vergewisserte sich, daß ein Notruf für zusätzliche Krankenwagen und medizinische Erste-Hilfe-Ausrüstungen an alle Nachbargemeinden gefunkt worden war. Dann alarmierte er die Unfallstationen der nächstgelegenen Krankenhäuser. Er rief ebenfalls im Leichenhaus an. Dann bestieg er einen Mannschaftswagen und befahl dem Fahrer, dem Adjutanten Greene, einem Anfänger, sie zur Unfallstelle zu bringen. Greene war nervös und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen; er hatte bislang noch keine Gelegenheit gehabt, sich in seiner Funktion als Polizist einem Toten gegenüber zu sehen, und nach dem, was er aus dem Bericht und aus den Vorbereitungen seines Vorgesetzten folgern konnte, war er einigermaßen sicher, daß er an diesem Tag seinen ersten Leichen gegenüberstehen würde.
Sheriff McClellan war ein ausgezeichneter Polizist mit der störenden, wenn auch vielleicht notwendigen Gewohnheit, förmlich nach Gelegenheiten zu jagen, seine Männer der Feuertaufe zu unterziehen. Wenn sie einmal, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Krise durchgestanden hatten, dann wußte er, daß er sich auf sie verlassen konnte. Und - davon war er überzeugt - dann konnten sie sich auch auf sich selbst verlassen. Greene war auf dem Weg, ausgesprochen zuver-lässig zu werden, dachte er.
Der Sheriff war in diesem Fall selbst nervöser als sonst, und er wußte, warum. Das Busunglück erinnerte ihn nur zu sehr an den ersten Unfall, mit dem er als Anfänger betraut gewesen war. Ein Bus mit Schulkindern war frontal mit einem Lastwagen zusammengestoßen, der mit Stahlstreben für Betonbauten überladen gewesen war. Die Stahlstangen hatten sich unter der Wucht des Aufpralls aus den Halterungen gelöst und waren wie Speere in das Innere des Busses geschleudert worden, wo sie eine große Zahl der Kinder aufgespießt und Köpfe und Gliedmaßen von den Leibern getrennt hatten. McClellan hätte aufgrund dieses schrecklichen Erlebnisses beinahe seinen Dienst bei der Polizei quittiert, überzeugt, seine sechs Monate währende Erfahrung als Polizist sei genug. Jetzt, sechsundzwanzig Jahre später, hatte er das Gefühl, er könne sich allem, was die Welt ihm ins Gesicht schleudern würde, gleichmütig stellen. Niemals ließ er seine Gefühle erkennen, aber niemals vergaß er irgend etwas - oder irgendwen -, wenn er tief berührt worden war. Seine Männer respektierten ihn, doch sie hielten ihn für ein bißchen zu dickfellig, um human zu sein. McClellan wußte, daß dies das einzige Mittel war, in seinem Beruf zu überleben.
Der Adjutant Greene war sich im klaren darüber, was ihm bevorstand. Er dachte an die Nachrichten, die er über den Polizeifunk im Auto gehört hatte. Wäre er allein gewesen, würde er vielleicht in der Hoffnung, daß ein Teil der Spuren der Katastrophe schon aufgeräumt worden wäre, langsamer gefahren sein. Aber mit dem Sheriff neben sich auf dem Beifahrersitz konnte er es sich nicht erlauben, zu trödeln. Und wenn er in seinem tiefsten Inneren gewünscht hätte,