die vierte Klasse geht. Sie tanzen fast so gut, und dabei tanzt meine Schwester besser als irgend jemand auf der Welt.»

«Überlegen Sie sich bitte, was Sie sagen.»

Eine feine Dame! Eine Königin, Herr im Himmel.

«Von wo kommen Sie und Ihre Freundinnen?» fragte ich.

Sie gab keine Antwort. Sie hielt wohl nach Peter Lorre Ausschau.

«Von wo kommen Sie und Ihre Freundinnen?»

«Was?»

«Von wo kommen Sie und Ihre Freundinnen? Geben Sie keine Antwort, wenn Sie keine Lust dazu haben. Ich möchte nicht, daß Sie sich überanstrengen.»

«Seattle, Washington», sagte sie. Das hielt sie offenbar für eine große Gnade.

«Sie machen sehr gut Konversation. Wissen Sie das?»

«Was?»

Ich gab es auf. Es war ohnedies zu hoch für sie. «Wollen Sie ein bißchen Jitterbug tanzen, wenn etwas Schnelleres gespielt wird? Keinen verrückten Jitterbug mit Sprüngen und so - nur ganz gemütlich. Die andern gehn dann sicher an die Tische, bis auf die ältesten und fettesten Knaben, und dann haben wir reichlich Platz. O. K.?»

«Mir ist es gleich», sagte sie. «Wie alt sind Sie überhaupt?»

Aus irgendeinem Grund ärgerte mich das. «Großer Gott, lassen Sie's gut sein. Ich bin zwölf, Herr im Himmel. Ich bin ziemlich groß für mein Alter.»

«Hören Sie, ich hab Ihnen schon gesagt, daß ich diese Art nicht leiden kann», sagte sie. «Wenn Sie so mit mir reden wollen, kann ich mich zu meinen Freundinnen setzen, verstehen Sie.»

Ich entschuldigte mich wie besessen, weil die Kapelle gerade einen schnellen Tanz anfing. Wir tanzten Jitterbug, aber nur ganz bequem, nicht übertrieben. Sie machte es wirklich gut. Man brauchte sie nur anzurühren, mehr nicht, und wenn sie sich dann drehte, schwenkte sie ihren kleinen Hintern so nett. Ich war ganz hin, aber im Ernst. Bis wir an den Tisch zurückgingen, war ich halb in sie verliebt. So ist es eben mit Mädchen. Jedesmal, wenn sie etwas hübsch machen, auch wenn sie gar nicht besonders gut aussehen oder sogar wenn sie dumm sind, verliebt man sich halb in sie, und dann weiß man nicht mehr, wo zum Teufel man eigentlich steht. Mädchen - großer Gott. Sie können einen verrückt machen, wirklich.

Sie forderten mich zwar nicht auf, mich an ihren Tisch zu setzen - vor allem wohl, weil sie zu ungeschliffen waren -, aber ich setzte mich totzdem zu ihnen. Die Blonde, mit der ich getanzt hatte, hieß Bernice Soundso - Crabs oder Krebs. Die beiden Häßlichen hießen Marty und Laverne. Ich stellte mich als Jim Steele vor, einfach aus Blödsinn, Dann versuchte ich ein bißchen intelligente Konversation mit ihnen zu machen, aber das war praktisch unmöglich. Man hätte ihnen die Arme ausrenken müssen. Man hätte kaum entscheiden können, welche von den dreien am dümmsten war.

Und alle drei schauten fortwährend herum, als ob sie erwarteten, daß jeden Augenblick eine Herde von verdammten Filmstars hereinkommen müßte. Sie dachten wohl, wenn die Filmstars nach New York kämen, säßen sie immer im LavendelSaal, anstatt im Stork Club oder im El Marocco und so weiter. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis ich herausfand, was sie in Seattle arbeiteten. Sie waren alle im gleichen Versicherungsbüro. Ich fragte, ob es ihnen dort gefiele, aber diese drei Gänse konnten keine vernünftige Antwort geben. Ich hielt die beiden Häßlichen für Schwestern, aber über diese Frage waren sie empört. Offenbar wollte keine von beiden der andern ähnlich sehen, und das war sehr begreiflich, aber doch komisch.

Ich tanzte nacheinander mit jeder von ihnen. Laverne, die Häßliche Numero eins, tanzte nicht übel, aber Marty war gemeingefährlich. Bei Marty hatte man das Gefühl, daß man die Freiheitsstatue herumschleppte. Ich konnte mich nur trösten, indem ich sie ein bißchen zum Narren hielt. Deshalb sagte ich, ich hätte gerade den Filmstar Gary Cooper auf der andern Saalseite gesehen.

«Wo?» fragte sie ganz aufgeregt. «Wo?»

«Ach, jetzt haben Sie ihn verpaßt. Im Augenblick ist er verschwunden. Warum haben Sie nicht sofort hingeschaut?»

Sie blieb einfach mitten im Tanzen stehen und spähte über alle Köpfe, um ihn doch noch zu entdecken. «So ein Pech!» sagte sie. Ich hatte ihr fast das Herz gebrochen. Es tat mir furchtbar leid, daß ich mich so über sie lustig gemacht hatte. Über manche Leute sollte man sich nicht lustig machen, selbst wenn sie es verdienen.

Dann passierte etwas wirklich Komisches. Als wir an den Tisch zurückkamen, erzählte Marty den andern, daß Gary Cooper gerade hinausgegangen sei. Junge, Laverne und Bernice begingen auf diese Nachricht beinahe Selbstmord. Sie wurden ganz aufgeregt und fragten Marty, ob sie ihn gesehen habe. Marty antwortete, sie habe ihn gerade nur noch einen Augenblick gesehen. Das gab mir den Rest.

Da die Bar geschlossen wurde, bestellte ich jeder von ihnen noch schnell zwei Drinks und für mich zwei Colas. Der verdammte Tisch war voll von Gläsern. Die Häßliche Numero eins, Laverne, neckte mich fortwährend damit, daß ich nur Cola trank. Sie hatte einen überwältigenden Sinn für Humor. Sie und diese Marty tranken Tom Collins - und das mitten im Dezember! Sie wußten es eben nicht besser. Diese Blonde, Bernice, trank Whisky mit Wasser. Sie kippte es nur so in sich hinein. Alle drei hielten immer noch unentwegt nach Filmstars Ausschau. Sie sprachen gar nicht, nicht einmal miteinander. Die Marty war etwas gesprächiger als die beiden andern Sie machte andauernd so plumpe und langweilige Witze, zum Beispiel sagte sie anstatt Toilette «Für kleine Mädchen». Und wenn Buddy Singers armseliger, verschlissener Klarinettist aufstand und ein paar abgestandene «heiße Solos» von sich gab, fand sie ihn einfach toll und nannte seine Klarinette eine «Lakritzstange».

Die war vielleicht gewöhnlich. Die andere Häßliche, Laverne, hielt sich selbst für furchtbar witzig. Sie sagte dauernd, ich sollte doch meinen Vater anrufen und ihn fragen, ob er heute abend noch was vorhabe; sie fragte mich immer wieder, ob mein Vater mit 'ner Freundin aus sei. Viermal fragte sie mich das. Die war wirklich wahnsinnig witzig. Bernice, die Blonde, sagte so gut wie gar nichts, und wenn ich sie etwas fragte, sagte sie immer nur: «Was?» Das kann einem auf die Dauer auch auf die Nerven gehen.

Als sie aus getrunken hatten, standen sie plötzlich auf und sagten, jetzt müßten sie ins Bett gehen. Sie wollten morgen früh die erste Vorstellung in der Radio City Music Hall sehen, sagten sie. Ich wollte sie noch ein bißchen festhalten, aber es war nichts zu machen. Daraufhin verabschiedeten wir uns.

Ich sagte, ich würde sie in Seattle aufsuchen, falls ich einmal dorthin käme, aber ich bezweifle, ob es dazu kommt. Daß ich sie besuche, meine ich.

Mit den Zigaretten und allem mußte ich ungefähr dreizehn Dollar bezahlen. Ich finde, sie hätten mir wenigstens anbieten können, für das aufzukommen, was sie getrunken hatten, bevor ich mich an ihren Tisch setzte - natürlich hätte ich es nicht angenommen, aber sie hätten es wenigstens anbieten sollen. Es war mir trotzdem ziemlich egal. Sie waren so dumm und hatten diese traurigen Karnevalshüte auf und so. Und daß sie die erste Vorstellung in der Radio City Music Hall sehen wollten, deprimierte mich auch. Wenn irgend jemand, zum Beispiel irgendeine Angestellte in einem gräßlichen Hut, die ganze Reise nach New York macht - von Seattle, um Himmels willen - und dann früh aufsteht, um diese verdammte erste Vorstellung in der Radio City Music Hall zu sehen, dann deprimiert mich das so, daß ich es kaum ertrage. Ich hätte den dreien gern hundert Drinks bezahlt, wenn sie nur nicht davon erzählt hätten.

Kurz nach ihnen verließ auch ich den Lavendel-Saal. Er wurde ohnedies geschlossen, und die Musiker waren schon lange fort. Es war eins der Nachtlokale, die fürchterlich sind, ausgenommen, wenn man mit jemand gut tanzen kann oder wenn einem der Kellner etwas Richtiges zu trinken

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