bringt, anstatt nur Coca. Es gibt kein einziges Nachtlokal auf der Welt, wo man es lange aushaken könnte, wenn man sich nicht wenigstens betrinken kann. Oder wenn man mit einem Mädchen hingeht, in das man wirklich verliebt ist.

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Auf dem Weg in die Hotelhalle fiel mir Jane Gallagher plötzlich wieder ein. Ich kam nicht mehr von ihr los. Ich setzte mich in einen der zum Erbrechen aussehenden Sessel in der Halle und dachte an sie und Stradlater in dem verdammten Auto von Ed Banky. Obwohl ich jetzt ganz sicher war, daß Stradlater es nicht mir ihr gemacht hatte - ich kannte Jane genau -, kam ich doch nicht von ihr los.

Ja, ich kannte Jane auswendig. Außer ihrer Vorliebe für das Damespiel trieb sie sehr gern Sport, und in dem Sommer, in dem ich sie kennenlernte, spielten wir fast jeden Morgen Tennis und fast jeden Nachmittag Golf. Eigentlich lernte ich sie sehr nah kennen. Ich meine damit nichts Physisches oder so - das nicht -, aber wir waren die ganze Zeit zusammen. Man braucht nicht immer physisch miteinander zu tun haben, um ein Mädchen kennenzulernen.

Der Anfang war so: Ihr Dobermannpinscher kam immer in unsern Garten, um auf dem Rasen seine Geschäfte zu machen, und meine Mutter ärgerte sich furchtbar darüber. Sie rief Janes Mutter an und machte ihr großen Stunk. Aus so etwas kann meine Mutter immer eine Tragödie machen. Als ich Jane ein paar Tage später beim Schwimmbassin auf dem Bauch liegen sah - im Club -, begrüßte ich sie. Ich wußte, daß sie neben uns wohnte, aber ich hatte noch nie mit ihr gesprochen. Sie machte ein eisiges Gesicht. Ich überzeugte sie mühsam davon, daß es mir selbst absolut gleichgültig sei, wo zum Kuckuck ihr Hund seine Geschäfte besorge. Er könne es von mir aus auch im Wohnzimmer tun, sagte ich. Jedenfalls, wir wurden Freunde und so. Ich spielte noch am gleichen Nachmittag Golf mit ihr. Sie verlor acht Bälle. Acht. Ich brachte sie kaum dazu, daß sie wenigstens die Augen aufmachte, wenn sie den Ball abschlug. Immerhin verbesserte ich ihre Technik ganz erheblich. Ich spiele sehr gut Golf. Wenn ich sagen wollte, mit wie wenigen

Schlägen ich die ganze Runde mache, würde man es mir kaum glauben. Einmal wäre ich fast in einem Kurzfilm aufgetreten, aber im letzten Augenblick entschloß ich mich anders. Wenn mir das Kino so verhaßt ist und ich trotzdem in einem Kurzfilm mitmachen würde, wäre ich ein schöner Heuchler, dachte ich.

Jane war ein sonderbares Mädchen. Ich würde sie im strengen Sinne nicht als schön bezeichnen.

Aber ich war trotzdem von ihr begeistert. Wenn sie über etwas redete und dabei aufgeregt wurde, bewegten sich ihre Lippen in fünfzig Richtungen gleichzeitig. Das wirft mich um. Sie machte den Mund überhaupt nie ganz zu. Er stand immer ein bißchen offen, besonders wenn sie Golf spielte oder las. Sie las die ganze Zeit, und zwar sehr gute Bücher. Einen Haufen Gedichte und so weiter.

Sie war der einzige Mensch außerhalb meiner Familie, dem ich Allies Baseball- Handschuh mit den Gedichten zeigte. Sie hatte Allie nicht mehr kennengelernt, weil sie in diesem Sommer zum erstenmal nach Maine kam - früher waren sie in Cape Cod -, aber ich erzählte ihr viel von ihm. Sie interessierte sich für solche Sachen.

Meine Mutter hatte Jane nicht besonders gern. Sie meinte immer, Jane und ihre Mutter wollten sie von oben herab behandeln, wenn sie ihr nicht guten Tag sagten. Meine Mutter sah sie oft beim Einkaufen, weil Jane immer mit ihrer Mutter in einem La-Salle-Kabriolett auf den Markt fuhr. Meine Mutter fand Jane nicht einmal hübsch. Aber ich war andrer Ansicht. Sie gefiel mir einfach.

Ich erinnere mich an einen Samstag nachmittag, an dem wir -das war das einzige Mal - uns sogar beinah geküßt hätten. Es regnete in Strömen, und ich war bei ihr drüben auf dem großen überdeckten Sitzplatz vor ihrem Haus. Wir spielten Dame. Ich neckte sie oft, weil sie immer ihre Damen am Rand stehen ließ. Aber ich trieb die Neckereien nie weit. Dazu hätte man bei Jane keine Lust gehabt. Komisch, am liebsten habe ich es eigentlich, wenn man ein Mädchen wahnsinnig necken kann, aber bei den Mädchen, die mir am besten gefallen, habe ich nie besondere Lust dazu.

Manchmal spürt man, daß sie sich gerne necken lassen würden - man weiß es ganz genau -, aber es ist schwierig, damit anzufangen, wenn man sie schon länger kennt und sie nie geneckt hat. Also dieser Nachmittag, an dem wir uns beinah geküßt hätten: Es regnete wie aus Kübeln, und wir saßen dort beim Damespiel, und plötzlich kam dieser blöde Säufer heraus, mit dem ihre Mutter verheiratet war, und fragte Jane, ob noch irgendwo Zigaretten im Haus wären. Ich kannte ihn nicht näher, aber er schien mir so ein Mensch zu sein, der nur mit einem redet, wenn er etwas haben will. Ich fand ihn widerlich. Jane gab keine Antwort auf seine Frage nach den Zigaretten. Er wiederholte die Frage, aber sie gab immer noch keine Antwort. Sie schaute überhaupt nicht auf. Schließlich ging er wieder ins Haus. Als er verschwunden war, fragte ich Jane, was das zu bedeuten habe. Sie wollte nicht einmal mir antworten. Sie tat so, als ob sie sich auf ihren nächsten Zug konzentrieren müßte. Dann fiel plötzlich eine Träne auf das Schachbrett. Auf eines der schwarzen Felder - ich sehe es noch vor mir. Jane verrieb sie nur mit dem Finger auf dem Brett. Das ging mir wahnsinnig nah, ich weiß nicht warum. Deshalb stand ich von meinem Stuhl auf und schob sie auf ihrem Bänkchen auf die Seite, um mich neben sie zu setzen - ich setzte mich ihr tatsächlich fast auf den Schoß. Dann fing sie richtig an zu weinen, und als nächstes weiß ich nur, daß ich sie überall küßte - einfach überall -, auf die Augen, die Nase, die Stirn, die Augenbrauen, die Ohren und so weiter -auf das ganze Gesicht, nur nicht auf den Mund. Sie wollte mich nicht zu ihren Lippen lassen. Das war also das einzige Mal, daß wir uns beinah geküßt hätten. Nach einer Weile stand sie auf und ging ins Haus und zog den rot-weißen Pullover an, den ich so toll fand, und dann gingen wir in ein gottverdammtes Kino.

Auf dem Hinweg fragte ich sie, ob denn Mr. Cudahy - so hieß der Saufbruder - einmal versucht habe, ihr frech zu kommen. Sie war noch ziemlich jung, aber sie hatte eine tolle Figur, ich hätte das diesem Cudahy-Hund durchaus zugetraut. Aber sie sagte nein. Ich habe nie herausgefunden, was damals eigentlich los war. Bei manchen Mädchen kommt man einfach nicht dahinter.

Man darf aber nicht meinen, sie wäre so ein verdammter Eisberg, weil wir uns nie küßten oder so.

Das war sie durchaus nicht. Zum Beispiel hielten wir uns oft an der Hand. Vermutlich klingt das nach nichts Besonderem, aber sie war das richtige Mädchen zum Händehalten. Die meisten Mädchen haben dann sozusagen eine tote Hand, oder sie meinen im Gegenteil, sie müßten ihre Hand fortwährend bewegen, als ob sie Angst hätten, daß sie einen sonst langweilen. Jane war ganz anders.

Wenn wir in irgendein blödes Kino gingen, gaben wir uns von Anfang an die Hand und blieben so sitzen, bis der Film zu Ende war. Dabei bewegten wir uns nie und machten überhaupt keine großen Geschichten daraus. Mit Jane brauchte man sich nicht einmal Sorge zu machen, ob man eine feuchte oder trockene Hand hatte. Man wußte nur, daß man glücklich war. Und mit ihr war man tatsächlich glücklich.

Und ich dachte noch an etwas anderes. In so einem Kino tat Jane einmal etwas, das mich sprachlos machte. Es war während der Wochenschau, glaube ich, und plötzlich fühlte ich Janes Hand im Nacken. Komischer Einfall. Sie war ja noch ganz jung, und meistens legen nur Fünfundzwanzigjährige oder Dreißigjährige ihrem Mann oder ihrem Kind die Hand in den Nacken - ich tue es zum Beispiel manchmal bei meiner kleinen Schwester Phoebe. Aber wenn ein Mädchen noch so jung ist und diese Bewegung macht, ist das so nett, daß es einen umwerfen kann.

An alles dachte ich also, während ich in dem zum Erbrechen aussehenden Sessel in der Hotelhalle saß. Diese Jane.

Jedesmal, wenn ich sie mir mit Stradlater in dem verdammten Auto von Ed Banky

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