blödes Wort.

«Jedenfalls gefällt es mir jetzt», sagte ich. «Ich meine jetzt grade. Hier bei dir zu sitzen und einfach zu schwätzen und Blödsinn-»

«Das ist nicht wirklich etwas!»

«Allerdings ist das wirklich etwas! Selbstverständlich! Warum zum Kuckuck denn nicht? Die Leute meinen immer, etwas sei nicht wirklich etwas. Das hab ich allmählich schon verdammt satt.»

«Hör auf zu fluchen. Also schön, sag etwas anderes. Sag etwas, was du gern sein möchtest. Wie ein Gelehrter. Oder ein Rechtsanwalt oder was.»

«Ich könnte kein Gelehrter werden. Für so etwas bin ich nicht begabt.»

«Schön, dann Rechtsanwalt - wie Dad und so.»

«Rechtsanwälte sind schon recht, vermutlich - aber mich lockt das nicht», sagte ich. «Ich meine, sie sind mir recht, wenn sie unschuldigen Leuten das Leben retten, aber das tut man als Rechtsanwalt ja gar nicht. Man verdient nur einen Haufen Geld und spielt Golf und Bridge und kauft Autos und trinkt Martinis und sieht furchtbar bedeutend aus. Und außerdem - auch wenn man irgendwelchen Leuten das Leben retten würde, woher könnte man sicher wissen, ob man das getan hat, weil man ihnen wirklich das Leben retten wollte, oder ob man es tut, weil man nur ein fabelhafter Anwalt sein wollte, dem alle auf die Schulter klopfen und im Gerichtssaal gratulieren, wenn die verdammte Verhandlung vorbei ist - die Reporter und alle, so wie es in den elenden Filmen ist? Woher würde man wissen, daß man nicht nur ein Heuchler ist? Das Schlimme ist eben, daß man es nicht wüßte.»

Ich bin nicht ganz sicher, ob die gute Phoebe verstand, von was zum Teufel ich redete. Sie ist ja noch ein kleines Kind. Aber wenigstens hörte sie zu. Wenn jemand wenigstens zuhört, ist alles weniger schlimm.

«Dad bringt dich um. Er bringt dich um!» sagte sie.

Ich hörte ihr aber nicht zu. Ich dachte an etwas ganz anderes -etwas Verrücktes. «Weißt du, was ich gern sein möchte?» fragte ich. «Weißt du, was ich sein möchte? Ich meine, wenn ich die Wahl hätte?»

«Was? Fluch nicht so.»

«Kennst du das Lied <Wenn einer einen andern fängt, der durch den Roggen läuft)? Ich wäre gern -»

«Es heißt <Wenn einer einen andern trifft, der durch den Roggen läuft>!» sagte Phoebe. «Das ist ein Gedicht von Robert Burns.»

«Das weiß ich auch, daß es ein Gedicht von Robert Burns ist.»

Sie hatte aber ganz recht. Es heißt <Wenn einer einen andern trifft, der durch den Roggen läuft>.

Damals wußte ich das allerdings noch nicht.

«Ich dachte, es hieße <Wenn einer einen andern fängt>», sagte ich. «Aber jedenfalls stelle ich mir immer kleine Kinder vor, die in einem Roggenfeld ein Spiel machen. Tausende von kleinen Kindern, und keiner wäre in der Nähe - kein Erwachsener, meine ich - außer mir. Und ich würde am Rand einer verrückten Klippe stehen. Ich müßte alle festhalten, die über die Klippe hinauslaufen wollen ich meine, wenn sie nicht achtgeben, wohin sie rennen, müßte ich vorspringen und sie fangen. Das wäre einfach der Fänger im Roggen. Ich weiß schon, daß das verrückt ist, aber das ist das einzige, was ich wirklich gern wäre. Ich weiß natürlich, daß das verrückt ist.»

Phoebe sagte lange nichts. Schließlich sagte sie nur: «Dad bringt dich um.»

«Ich scher mich den Teufel drum, wenn er das tut», sagte ich. Dann stand ich vom Bett auf, weil ich Mr. Antolini anrufen wollte, der in Elkton mein Englischlehrer gewesen war. Er wohnte jetzt in New York und unterrichtete an der New York University. «Ich muß noch telefonieren», sagte ich. «Ich komme gleich wieder zurück. Schlaf aber nicht unterdessen ein.» Ich wollte nicht, daß sie einschliefe, während ich im Wohnzimmer war. Ich wußte zwar, daß sie wach bleiben würde, aber ich wollte ganz sicher sein.

Als ich zur Treppe ging, sagte Phoebe: «Holden!», und ich drehte mich um.

Sie saß hochaufgerichtet im Bett. Sie sah so hübsch aus. «Ich nehme jetzt Unterricht im Rülpsen bei einer, sie heißt Phyllis Margulies», sagte sie. «Hör.»

Ich horchte, und tatsächlich hörte ich auch etwas, aber nicht viel. «Gut», sagte ich. Dann ging ich ins Wohnzimmer und rief diesen Mr. Antolini an.

23

Ich telefonierte nur ganz kurz, weil ich Angst hatte, daß meine Eltern mitten in das Gespräch hereinplatzen könnten. Sie kamen aber nicht. Mr. Antolini war sehr freundlich. Er sagte, ich könne jetzt sofort zu ihm kommen, falls ich Lust hätte. Offenbar hatte ich ihn und seine Frau geweckt, denn es dauerte höllisch lang, bis sie ans Telefon kamen. Als erstes fragte er, ob etwas schiefgegangen sei, und ich sagte, nein, gar nichts, ich sei allerdings von Pencey geflogen. Ich dachte, ich könnte ihm das ebensogut gleich erzählen. Er antwortete darauf: «Du lieber Himmel.» Er hatte viel Humor und so. Er sagte, ich solle nur gleich kommen, wenn ich wolle.

Er war wohl der beste von allen meinen Lehrern gewesen. Mr. Antolini war noch ziemlich jung, nicht viel älter als mein Bruder D.B., und man konnte mit ihm Unsinn machen, ohne den Respekt für ihn zu verlieren. Er war auch derjenige gewesen, der damals diesen James Castle endlich aufhob, nachdem er aus dem Fenster gesprungen war. Mr. Antolini fühlte ihm den Puls und so weiter, und dann zog er seine Jacke aus und legte sie über James Castle und trug ihn den ganzen Weg in die Krankenabteilung. Er kümmerte sich überhaupt nicht darum, daß seine Jacke ganz blutig wurde.

Als ich wieder in D.B. s Zimmer kam, hatte Phoebe das Radio angedreht. Tanzmusik. Sie hatte es ganz leise eingestellt, damit das Dienstmädchen nichts davon hörte. Man muß sie gesehen haben. Sie saß ohne Decken mitten im Bett und hatte die Beine wie ein Yogi untergeschlagen. Sie hörte der Musik zu. Sie kann mich umwerfen.

«Komm», sagte ich, «willst du tanzen?» Ich hatte es ihr schon beigebracht, als sie noch ganz klein war. Sie tanzt sehr gut. Das meiste hat sie zwar von selbst gelernt, nicht von mir. Man kann niemandem beibringen, wie man wirklich gut tanzt.

«Du hast Schuhe an», sagte sie.

«Ich zieh sie aus. Komm.»

Sie sprang mit einem großen Satz aus dem Bett und wartete, bis ich die Schuhe ausgezogen hatte, und dann fingen wir an. Sie tanzt wirklich verdammt gut. Ich sehe es im allgemeinen nicht gern, wenn Erwachsene mit Kindern tanzen, weil es meistens schrecklich aussieht. Wenn zum Beispiel irgendein alter Esel in einem Restaurant mit seinem Kind tanzt. Meistens ziehen sie aus Versehen so einem kleinen Mädchen das Kleid hinten in die Höhe, und das Kind kann überhaupt nicht tanzen, und das Ganze sieht schrecklich aus, aber mit Phoebe tanze ich nie vor Publikum. Wir tun es nur zu Hause.

Aber mit ihr ist es ohnedies etwas anderes, weil sie wirklich tanzen kann. Sie paßt sich allen Bewegungen an. Man muß sie nur ganz nah halten, damit es nicht stört, daß man viel längere Beine hat. Sie folgt allen Schritten. Man kann sogar ein bißchen Jitterbug mit ihr tanzen oder Tango, tatsächlich.

Вы читаете Der Fänger im Roggen
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×