«Auf! Auf das Tor», rief Totila von weitem. Da spornte Thorismut sein Roß heran. «Ich weiß nicht, ich traue nicht!» rief er, «die Straße war wie ausgestorben und ebenso drüben das Lager der Feinde: kaum ein paar Wachtfeuer brennen.»

Da scholl von der Zinne ein Ruf des gotischen Hornes. «Der Bursch bläst ja gräßlich!» sprach Thorismut zürnend. «Es wird ein Welscher sein»! meinte Totila. «Gebt die Losung», riefs herab auf lateinisch. «Neapolis», antwortete Totila entgegen. «Hörst du's? Uliaris hat die Bürger bewaffnen müssen. Auf das Tor! Ich bringe frohe Kunde», fuhr er fort zu den oben Aufgestellten, «vierhundert Goten folgen mir auf dem Fuß: Italien hat einen neuen König.»

«Wer ist's?» fragte es leise drinnen. «Der auf dem weißen Roß, der erste.» Da sprangen die Torflügel auf, gotische Helme füllten den Eingang. Fackeln glänzten, Stimmen flüsterten.

«Auf mit dem Fallgitter», rief Totila, dicht heranreitend. Spähend blickte Thorismut vor, die Hand vor den Augen. «Sie haben gestern getagt zu Regeta», fuhr Totila fort, «Theodahad ist abgesetzt, und Graf Witichis...» -

Da hob sich langsam das Gitter, und Totila wollte eben dem Roß den Sporn geben, da warf sich vor die Hufe seines Hengstes ein Weib aus der Reihe der Krieger. «Flieh», rief sie, «Feinde über dir! Die Stadt ist gefallen!» Aber sie konnte nicht vollenden: ein Lanzenstoß durchbohrte ihre Brust.

«Miriam!» schrie Totila entsetzt und riß sein Pferd zurück.

Doch Thorismut, der längst Argwohn geschöpft, zerhieb, rasch entschlossen, mit dem Schwert, durch das Gitter hindurch, das haltende Seil, an dem das Tor auf und nieder ging, daß es dröhnend vor Totila niederschlug.

Ein Hagel von Speeren und Pfeilen fuhr durch das Gitter. «Auf das Gitter! Hinaus auf sie!» rief Johannes von ihnen: aber Totila wich nicht.

«Miriam, Miriam», rief er in tiefstem Schmerz. Da schlug sie nochmal die Augen auf, mit einem brechenden, von Liebe und Schmerz verklärten Blick: - dieser Blick sagte alles, er drang tief in Totilas Herz. «Für dich!» hauchte sie und fiel zurück. - Da vergaß er Neapolis und die Todesgefahr. «Miriam», rief er nochmals beide Hände gegen sie ausbreitend.

Da streifte ein Pfeil den Bug seines Pferdes, blitzschnell prallte das edle Tier hochschäumend zurück. Das Fallgitter fing an, sich zu heben: da faßte Thorismut nach Totilas Zügel, riß das Pferd herum und gab ihm einen Schlag mit der flachen Klinge, daß es hinwegschoß. «Auf und davon, Herr», rief er, «ja, sie müssen flink sein, die uns einholen.» Und brausend sprengten die Reiter auf der Via Capuana den Weg zurück, den sie gekommen; nicht weit verfolgte sie Johannes im Dunkel der Nacht und das Wegs unkundig. Bald begegnete ihnen die heranziehende Besatzung von Kastell Aurelians: auf einem Hügel machten sie halt, von wo man die Stadt mit ihren Zinnen, in dem Schein der byzantinischen Wachtfeuer auf den Wällen, liegen sah.

Erst jetzt raffte sich Totila aus seinem Schmerz, aus seiner Betäubung auf. «Uliaris!» seufzte er, «Miriam! Neapolis, - wir sehen uns wieder.» Und er winkte zum Aufbruch gen Rom.

Aber von Stund' an war ein Schatten gefallen in des jungen Goten Seele: mit dem heiligen Recht des Schmerzes hatte sich Miriam in sein Herz gegraben für immerdar.

Als Johannes mit den Reitern von seiner fruchtlosen

Verfolgung heimkehrte, rief er, vom Pferde springend, mit wütiger Stimme: «Wo ist die Dirne, die ihn gewarnt? Werft sie vor die Hunde.» Und er eilte zu Belisar, das Mißgeschick zu melden.

Aber niemand wußte zu sagen, wohin der schöne Leichnam geraten. Die Rosse hätten sie zertreten, meinte die Menge. Aber einer wußte es besser: Garizo, der Bajuvare. Der hatte sie im Tumult sachte, wie ein schlafend Kind, auf seinen starken Armen davongetragen in das nahe Gärtchen, hatte die Steinplatte von dem kaum geschlossenen Grabe gewälzt und die Tochter sorglich an des Vaters Seite gelegt: dann hatte er sie still betrachtet.

Aus der Ferne scholl das Getöse der geplünderten Stadt, in der die Massageten Belisars, trotz seines Verbots, brannten und mordeten und sogar die Kirchen nicht verschonten, bis der Feldherr selbst, mit dem Schwert unter sie fahrend, Einhalt schuf. -

Es lag ein edler Schimmer auf ihrem Antlitz, daß er nicht wagte, wie er so gern gewollt, sie zu küssen. So legte er denn ihr Gesicht gegen Osten und brach eine Rose, die neben dem Grabe blühte, und legte sie ihr auf die Brust. Dann wollte er fort, seinen Teil an der Plünderung zu nehmen. Aber es ließ ihn nicht fort: er wandte sich wieder um. Und er hielt die Nacht über, an seinen Speer gelehnt, Totenwacht am Grabe des schönen Mädchens.

Er sah auf zu den Sternen und betete einen uralten heidnischen Totensegen, den ihn die Mutter daheim an der Luisacha gelehrt. Aber es war ihm nicht genug: andächtig betete er noch dazu ein christlich Vaterunser. Und als die Sonne emporstieg, schob er sorgfältig den Stein über das Grab und ging.

So war Miriam spurlos verschwunden.

Aber das Volk in Neapolis, das im stillen warm an Totila hing, erzählte, schönheitstrahlend sei ein Schutzengel herabgestiegen, ihn zu retten, und wieder aufgefahren gen Himmel.

Sechstes Kapitel

Der Fall von Neapolis war erfolgt wenige Tage nach der Versammlung zu Regeta.

Und Totila stieß schon bei Formiä auf seinen Bruder Hildebad, den König Witichis mit einigen Tausendschaften schleunig abgesandt hatte, die Besatzung der Stadt zu verstärken, bis er selbst mit einem größeren Heere zum Entsatz herbeieilen könne. Wie jetzt die Dinge standen, konnten die Brüder nichts anderes tun, als sich auf die Hauptmacht, nach Regeta, zurückzuziehen, wo Totila seinen traurigen Bericht von den letzten Stunden von Neapolis erstattete. Der Verlust der dritten Stadt des Reiches, des dritten Hauptbollwerks Italiens, mußte den ganzen Kriegsplan der Goten verändern.

Witichis hatte die zu Regeta versammelten Scharen gemustert, es waren gegen zwanzigtausend Mann. Diese, mit der kleinen Schar, die Graf Teja eigenmächtig zurückgeführt, waren im Augenblick die ganze verfügbare Macht: bis die starken Heere, die Theodahad weit weg nach Südgallien und Noricum, nach Istrien und Dalmatien entsendet, wiewohl sofort zur schnellen Rückkehr aufgefordert, einzutreffen vermochten, konnte ganz Italien verloren sein.

Gleichwohl hatte der König beschlossen, sich mit diesen zwanzig Tausendschaften in die Werke von Neapolis zu werfen und hier dem durch den Zufluß der Italiener auf mehr als die dreifache Übermacht angeschwollenen Heere der Feinde bis zum Eintreffen der Verstärkungen Widerstand zu leisten. Aber jetzt, da jene feste Stadt in Belisars Hand gefallen, gab Witichis den Plan, sich ihm entgegenzustellen, auf. Sein ruhiger Mut war

ebensoweit von Tollkühnheit wie von Zagheit entfernt.

Ja, der König mußte seiner Seele noch einen andern, schmerzlicheren Entschluß abringen. Während in den Tagen nach dem Eintreffen Totilas in dem Lager vor Rom sich der Schmerz und der Grimm der Goten in Verwünschungen über den Verräter Theodahad, über Belisar, über die Italier Luft machte, während schon die kecke Jugend hier und da anhob, auf das Zaudern des Königs zu schelten, der sie nicht gegen diese Griechlein führen wolle, deren je vier auf einen Goten gingen, während der Ungestüm des Heeres schon über den Stillstand grollte, gestand sich der König mit schwerem Herzen die Notwendigkeit, noch weiter zurückzuweichen

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