und selbst Rom vorübergehend preiszugeben.
Tag für Tag kamen Nachrichten, wie Belisars Heer anwachse: aus Neapolis allein führte er zehntausend Mann - als Geiseln zugleich und Kampfgenossen -, von allen Seiten strömten die Welschen zu seinen Fahnen: von Neapolis bis Rom war kein Waffenplatz fest genug, Schutz gegen solche Übermacht zu gewähren, und die kleineren Städte an der Küste öffneten dem Feind mit Jubel die Tore.
Die gotischen Familien aus diesen Gegenden flüchteten in das Lager des Königs und berichteten, wie gleich am Tage nach dem Falle von Neapolis Cumä und Atella sich ergeben, darauf folgten Capua, Cajeta und selbst das starke Benevent. Schon standen die Vorposten Belisars, hunnische, sarazenische und maurische Reiter, bei Formiä. Das Gotenheer erwartete und verlangte eine Schlacht vor den Toren Roms.
Aber längst hatte Witichis die Unmöglichkeit erkannt, mit zwanzigtausend Mann einem Belisar, der bis dahin hunderttausend zählen konnte, im offnen Feld entgegenzutreten. Eine Zeitlang hegte er die Hoffnung, die mächtigen Befestigungen Roms, das stolze Werk des Cethegus, gegen die byzantinische Überflutung halten zu können, aber bald mußte er auch diesen Gedanken aufgeben.
Die Bevölkerung Roms zählte, dank dem Präfekten, mehr waffenfähige und waffengeübte Männer denn seit manchem Jahrhundert, und stündlich überzeugte sich der König, von welcher Gesinnung diese beseelt waren. Schon jetzt hielten die Römer kaum noch ihren Haß wider die Barbaren zurück, es blieb nicht bei feindlichen und höhnischen Blicken: schon konnten sich Goten in den Straßen nur in guter Bewaffnung und großen Scharen blicken lassen: täglich fand man vereinzelte gotische Wachen von hinten erdolcht.
Und Witichis konnte sich nicht verhehlen, daß diese Elemente des Volksgeistes gegliedert und geleitet waren von schlauen und mächtigen Häuptern: den Spitzen des römischen Adels und des römischen Klerus. Er mußte sich sagen, daß, sowie Belisar vor den Mauern erscheinen werde, das Volk von Rom sich erheben und mit dem Belagerer vereint die kleine gotische Besatzung erdrücken würde.
So hatte Witichis den schweren Entschluß gefaßt, Rom, ja ganz Mittelitalien aufzugeben, sich nach dem festen und verlässigen Ravenna zu werfen, hier die mangelhaften Rüstungen zu vollenden, alle gotischen Streitkräfte an sich zu ziehen und dann mit einem gleichstarken Heere den Feind aufzusuchen.
Es war ein Opfer, dieser Entschluß.
Denn auch Witichis hatte sein redlich Teil der germanischen Rauflust, und es war seinem Mut eine herbe Zumutung, anstatt frisch draufloszuschlagen, zurückweichend seine Verteidigung zu suchen. Aber noch mehr. Nicht rühmlich war es für den König, der um seiner Tapferkeit willen auf den Thron des feigen Theodahad gehoben worden, wenn er sein Regiment mit schimpflicher Flucht begann. Er hatte Neapolis verloren in den ersten Tagen seiner Herrschaft, sollte er jetzt freiwillig Rom, die Stadt der Herrlichkeiten, sollte er mehr als die Hälfte von Italien preisgeben? Und wenn er seinen Stolz bezwang um des Volkes willen - wie mußte das Volk von ihm denken? Diese Goten mit ihrem Ungestüm, ihrer Verachtung der Feinde! Konnte er irgend hoffen, ihren Gehorsam zu erzwingen? Denn ein germanischer König hatte mehr zu raten, vorzuschlagen, als zu befehlen und zu gebieten. Schon mancher germanische König war von seinem Volksheer wider seinen Willen zu Kampf und Niederlage gezwungen worden. Er fürchtete ein Gleiches: und schweren Herzens wandelte er einst des Nachts im Lager zu Regeta in seinem Zelt auf und ab.
Da nahten hastige Schritte, und der Vorhang des Zeltes ward aufgerissen: «Auf, König der Goten», rief eine leidenschaftliche Stimme, «jetzt ist nicht Zeit zu schlafen!» - «Ich schlafe nicht, Teja», sprach Witichis, «seit wann bist du zurück? Was bringst du?» - «Eben schritt ich ins Lager, der Tau der Nacht ist noch auf mir. Wisse zuerst: sie sind tot.» - «Wer?» - «Der Verräter und die Mörderin!» - «Wie? Du hast sie beide erschlagen?» -«Ich schlage keine Weiber. Theodahad, dem Schandkönig, folgte ich zwei Tage und zwei Nächte. Er war auf dem Weg nach Ravenna, er hatte starken Vorsprung. Aber mein Haß war noch rascher als seine Todesangst. Schon bei Narnia holte ich ihn ein. Zwölf Sklaven begleiteten seine Sänfte, sie hatten nicht Lust, für den Elenden zu sterben: sie warfen die Fackeln weg und flohn.
Ich riß ihn aus der Sänfte und drückte ihm sein eigenes Schwert in die Faust. Er aber fiel nieder, bat um sein Leben und führte zugleich einen heimtückischen Stoß nach mir. Da schlug ich ihn, wie ein Opfertier: mit drei Streichen. Einen für das Reich, und zwei für meine Eltern. Und ich hing ihn an seinem goldenen Gürtel auf, an der offenen Heerstraße, an einen dürren Eibenbaum: da mag er hangen, ein Fraß für die Vögel des Himmels, eine Warnung für die Könige der Erde.»
«Und was ward aus ihr?»
«Sie fand ein schreckliches Ende!» sprach Teja schaudernd.
«Als ich von hier nach Rom kam, wußte man nur, daß sie verschmäht, den Feigling zu begleiten: er floh allein. Gothelindis aber rief seine kappadokische Leibwache zusammen und verhieß den Männern goldene Berge wenn sie zu ihr halten und mit ihr nach Dalmatien und in das feste Salona sich werfen wollten.
Die Söldner schwankten und wollten erst das verheißene Gold sehen. Da versprach Gothelindis, es zu bringen, und ging. Seitdem war sie verschwunden. Wie ich wieder durch Rom kam, war sie freilich gefunden.» - «Nun?» - «Sie hatte sich in die Katakomben gewagt, allein, ohne Führer, einen dort vergrabenen Schatz zu holen. Sie muß sich in diesem Labyrinth verirrt haben, sie fand den Ausgang nicht mehr. Suchende Söldner trafen sie noch lebend, ihre Fackel war nicht abgebrannt, sondern fast völlig erhalten: sie mußte alsbald erloschen sein, nachdem sie die Höhlung beschritten. Wahnsinn sprach aus ihrem Blick, lange Todesangst, Verzweiflung haben dieses böse Weib zermürbt: sie starb, sowie sie ans Tageslicht gebracht ward.»
«Schrecklich!» rief Witichis. - «Gerecht!» sagte Teja. «Aber höre weiter.»
Eh' er beginnen konnte, eilten Totila, Hildebad, Hildebrand und andre gotische Führer ins Zelt: «Weiß er's?» fragte Totila. -«Noch nicht», sagte Teja. - «Empörung!» rief Hildebad! «Empörung! Auf, König Witichis, wehre dich deiner Krone! Lege dem Knaben das Haupt vor die Füße.»
«Was ist geschehn?» fragte Witichis ruhig.
«Graf Arahad von Asta, der eitle Laffe, hat sich empört. Er ist gleich nach deiner Wahl davongeritten gegen Florentia, wo sein älterer Bruder, der stolze Herzog von Tuscien, Guntharis, haust und herrscht. Da haben die Wölsungen viel Anhang gefunden, haben die Goten überall aufgerufen gegen dich zum Schutz der <Königslilie>, wie sie sie nennen: Mataswintha sei die Erbin der Krone. Sie haben sie als Königin ausgerufen. Sie weilte in
Florentia, fiel also gleich in ihre Gewalt. Man weiß nicht, ist sie Guntharis' Gefangene oder Arahads Weib. Nur das weiß man, daß sie awarische und gepidische Söldner geworben, den ganzen Anhang der Amaler und ihre ganz Sippe und Gefolgschaft, zu all dem großen Anhang der Wölsungen, bewaffnet haben. Dich schelten sie den Bauernkönig: sie wollen Ravenna gewinnen!»
«O schicke mich nach Florentia mit nur drei Tausendschaften!» rief Hildebad zornig. «Ich will dir diese Königin der Goten samt ihrem adeligen Buhlen in einem Vogelkäfig gefangen bringen.»
Aber die andern machten besorgte Gesichter. «Es sieht finster her!» sprach Hildebrand. «Belisar mit seinen Hunderttausenden vor uns: im Rücken das schlangenhafte Rom, - all unsre Macht noch fünfzig Meilen fern - und jetzt noch Bruderkrieg und Aufruhr im Herzen des Reiches! Der Donner schlag' in dieses Land.»
Aber Witichis blieb ruhig und gefaßt wie immer. Er strich mit der Hand
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