Und auf der Holzbank an jenem Fenster saß Tag und Nacht, unverwandt den Blick auf die Mauerlücke heftend, aus welcher allein Luft und Licht in des Königs Kerker fiel, schweigend und sinnend ein Weib.
Es war Rauthgundis.
Niemals ließ ihr Auge von jenem kleinen Spalt im Turm. «Denn dort», sagte sie sich, «dort hängt auch sein Blick, dorthin schwebt seine Sehnsucht.» Auch wenn sie mit Wachis, ihrem Begleiter, oder mit dem Kerkermeister, der sie beherbergte, sprach, wandte sie das Auge nicht von dem Turm. Es war, als ob der Bann ihres Blickes Unheil von dem Gefangenen abhalten könne.
Lange, lange war sie heute wieder so gesessen. Es war dunkler Abend geworden.
Drohend und finster ragte der gewaltige Turm und warf einen breiten Schatten über den Hof und diesen linken Flügel des Palastes.
«Dank dir, gütiger Himmelsherr», sprach sie. «Auch deine schweren Schläge treiben zum Heil.
Wär' ich in die Felsen der Skaranzia, auf den hohen Arn, zum Vater, wie ich mir ausgesonnen, nie hätte ich von dem Gang des Elends hier wahrgenommen. Oder doch viel zu spät. Aber mich zog die Sehnsucht nach der Todesstätte des Kindes in die Nähe unsres Ehehauses, - das zwar räumte ich -: wußte ich denn, ob nicht sie, seine Königin, dort einsprechen würde? So hausten wir in der Waldhütte nahe bei Fäsulä.
Und als das Schreckliche kam und eine Nachricht des Mißlingens die andre jagte, und als die Sarazenen unser Haus verbrannten und ich die Flammen leuchten sah bis in mein Versteck, da war's zu spät, nach Norden zum Vater zu entrinnen; die Welschen sperrten alle Wege und lieferten, was flüchtete mit gelbem Haar, den Massageten aus. Kein Weg blieb offen als der Weg hierher nach der Rabenstadt - wohin ich als sein Weib nie hatte kommen wollen. Als flüchtige Bettlerin kam ich hier an, nur sein Roß Wallada und sein Knecht, nun sein Freigelassener, Wachis, noch mir eigen und treu.
Aber ihm zum Heil, - von Gott hierher gezwungen, - ob ich schon nicht wollte - ihn zu retten, zu befreien von scheußlichem Verrat des eignen Weibes! Und aus seiner Feinde Bosheit. Dank dir, treuer Gott! Ich durfte nicht mehr mit ihm leben - aber - aber ich, - Rauthgundis! - darf ihn retten.» -
Da rasselte ihr gegenüber die eiserne Hofpforte.
Ein Mann mit Licht trat heraus, ging über den Hof und trat alsbald in das Vorzimmer. Es war der alte Kerkerwart.
«Nun? Sprich!» rief Rauthgundis, ihren Sitz verlassend und ihm in das erste Gemach entgegeneilend.
«Geduld - Geduld - laß mich erst die Lampe niederstellen. So!
- Nun, also: er hat getrunken. Und es hat ihm wohlgetan.»
Rauthgundis legte die Hand auf die pochende Brust. «Was tut er?» fragte sie dann.
«Er sitzt immer schweigend in der nämlichen Stellung. Auf dem Holzschemel, den Rücken gegen die Tür gewandt, das Haupt in beide Hände gestützt. Er gibt mir keine Antwort, sooft ich ihn anspreche. Er pflegte sich sonst gar nicht zu regen. Ich glaube, der Gram und Schmerz hat ihm was angetan. Aber heute, wie ich ihm den Wein im Holzbecher hinreichte und sprach: <Trink, lieber Herr, es kommt von treuen Freunden>: - da blickte er auf. So traurig, so zum Sterben traurig war der Blick und das ganze Antlitz. Und tat einen tiefen Zug und nickte dankend mit dem Haupt und seufzte tief, tief, daß es mir durch die Seele schnitt.»
Rauthgundis bedeckte die Augen mit beiden Händen.
«Weiß Gott, was er Böses mit ihm vorhat!» brummte der Alte leise vor sich hin.
«Was sagst du?»
«Ich sage, du mußt jetzt auch einmal tüchtig essen und trinken. Sonst verlassen dich die Kräfte. Und du wirst sie brauchen, arme Frau.»
«Ich werde sie haben.» - «So nimm wenigstens einen Becher Wein.» - «Von diesem? Nein, der ist für ihn allein.» - Und sie trat in das innere Gemach zurück, wo sie ihren alten Platz einnahm.
«Der Krug reicht ja noch lang», fuhr der alte Dromon für sich fort. «Und ich fürchte: wir müssen ihn bald retten, wenn er gerettet werden soll. Da kommt Wachis. Wenn er nur gute Nachricht bringt, sonst... -»
Wachis trat ein. Er hatte seit dem Besuch bei der Königin die Sturmhaube und seinen Mantel mit Gewändern Dromons vertauscht. «Gute Botschaft bring' ich», sprach er im Eintreten.
«Aber wo wart ihr vor einer Stunde? Ich pochte vergeblich.»
«Wir waren beide ausgegangen, Wein zu kaufen.»
«Ach ja, deshalb duftet das ganze Gemach so stark - was seh' ich? Das ist ja alter, köstlicher Falerner! Womit hast du den bezahlt?»
«Womit?» wiederholte der Alte, «mit dem edelsten Golde der Welt!» Und seine Stimme bebte vor Rührung. «Ich erzählte ihr, daß der Präfekt ihn absichtlich Mangel leiden lasse, daß er elend werde. Seit vielen Tagen hat man mir gar keine Speise für ihn gegeben. Ich habe ihn, gegen mein Gewissen, nur dadurch erhalten, daß ich den andern Gefangenen an dem ihren abbrach. Das wollte sie nicht. Sie sann nach und fragte dann: <Nicht wahr, Dromon, die reichen Römerinnen bezahlen immer noch das gelbe Haar der Germaninnen so hoch?> Und ich, in meiner Einfalt nichts ahnend, sagte ja.
Und sie geht hin und schneidet schweigend ihre reichen, schönen, goldbraunen Flechten und Zöpfe ab und bringt sie mir. Und damit ward der Wein bezahlt.»
Da stürzte Wachis in das nächste Gemach, warf sich vor ihr nieder und bedeckte den Saum ihres Gewandes mit Küssen. «O Herrin» - rief er mit versagender Stimme - «goldne, goldtreue Frau!»
«Was treibst du, Wachis? Steh auf und erzähle.»
«Ja, erzähle», sprach Dromon hinzutretend, «was rät mein Sohn?»
«Wozu brauchen wir seinen Rat?» sprach die Frau. «Ich, ich allein will es vollenden.»
«Sehr nötig brauchen wir ihn. Der Präfekt hat aus allen jungen Ravennaten, nach dem Muster der römischen, neun Kohorten Legionäre gebildet und meinen Paulus auch eingereiht. Zum Glück hat er diesen Legionären die Bewachung der Stadttore anvertraut.
Die Byzantiner liegen draußen im Hafen, seine Isaurier hier im Palast.»
«Die Tore nun», fuhr Wachis fort, «werden zur Nacht sorgfältig gesperrt. Aber die Mauerlücke am Turm des Aetius ist immer noch nicht ausgebaut. Nur die Wachen stehen dort.»
«Wann trifft meinen Sohn die Wache?»
«In zwei Tagen: die dritte Nachtwache.»
«Allen Heiligen sei Dank. Viel länger durft' es nicht währen: -ich fürchte... -» Und er stockte.
«Was? Sprich», mahnte Rauthgundis entschlossen. «Ich kann alles hören.»
«Es ist am Ende besser, du weißt es. Denn du bist klüger und findiger als wir beide. Und findest eher Rat als wir. Ich fürchte: sie haben's schlimm mit ihm vor.
Solange Belisar hier befahl, ging es ihm noch gut.
Aber seit der fortgebracht und der Präfekt, der schweigsam kalte
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