Witichis nur das Werk überlegener Lüge, nicht überlegener Kraft gewesen, und eingeschärft wurde ihnen die Pflicht der Rache, die bereits drei Siege eröffnet hätten. Die Italier aber wurden aufgefordert, nun, nachdem sie erfahren, welchen Tausch sie durch den Abfall zu Byzanz gemacht, zu ihren alten Freunden zurückzukehren.
Dafür verhieß der König nicht nur volle Verzeihung, auch Gleichstellung mit den Goten. Aufhebung aller bisherigen gotischen Vorrechte, namentlich Bildung eines eignen italischen Heeres und, was durch den Gegensatz besonders wirkte: Befreiung alles italischen Bodens und Vermögens von jeder Steuer bis zur Beendigung des Krieges. Eine Maßregel höchster Klugheit war es ferner, daß, da der Adel byzantinisch, die
Colonatbevölkerung gotisch gesinnt war, jeder römische Edle, der sich nicht binnen drei Wochen den Goten stellte und unterwarf, seines Grundeigentums, zugunsten seiner bisherigen Colonen verlustig erklärt wurde.
Und endlich setzte der König auf jede Mischehe zwischen Goten und Römern eine hohe, aus dem Königsschatz zu zahlende Prämie und versprach Ansiedelung des Paares auf konfisziertem Grundbesitz römischer Senatoren.
«Italia», schloß das Manifest, «blutend aus den Wunden, welche die Tyrannei von Byzanz ihr geschlagen, soll sich erheben unter meinem Schilde. Helft uns, Söhne Italias, unsere Brüder, von diesem heiligen Boden die gemeinsamen Feinde, die Hunnen und Skythen Justinians, vertreiben. Dann soll im neuen Reich der Italier und Goten, gezeugt aus italischen Schönheit und Bildung, aus gotischer Kraft und Treue, ein neues Volk entstehen, desgleichen an Adel und Herrlichkeit noch nie
die Welt geschaut.»
*
Als Cethegus der Präfekt auf seinem Feldbett zu Ravenna, wo ihn die Wunde fesselte, morgens vom Schlaf erwachend, die Nachricht erfuhr von Totilas Erhebung, sprang er mit einer Verwünschung aus den Decken.
«Herr», warnte ihn der griechische Arzt, «du mußt dich schonen... »
«Hörst du nicht? Totila trägt die Gotenkrone! Jetzt ist nicht Zeit, sich zu schonen. Meinen Helm, Syphax.»
Und er riß Lucius Licinius, der die Botschaft gebracht, den Aufruf aus der Hand und las begierig.
«Ist das nicht lächerlich? Nicht Wahnsinn?» meinte dieser.
«Wahnsinn ist es, wenn die Römer noch Römer sind. Aber sind sie's noch? Sind sie es nicht mehr? - Dann schaffen wir -und nicht der Barbarenfürst - ein Werk des Wahns. Diese Probe darf gar nicht gemacht werden. Im Keime muß diese neue Gefahr zertreten werden. Der Streich gegen den Adel und für die Colonen ist ein Meisterstück. Er darf nicht Zeit haben zu wirken. Wo ist Demetrius?»
«Schon gestern abend aufgebrochen, Totila entgegen. Du schliefst, der Arzt verbot, dich zu wecken. Auch Demetrius verbot es.»
«Totila König, und ihr laßt mich schlafen! Wißt ihr nicht, daß dieser Blondkopf der Genius des Gotenvolkes ist? Demetrius will sich den Lorbeer allein holen. Wie stark ist er?»
«Den Goten mehr als zweimal unterlegen: Zwölftausend gegen Fünftausend.» - «Verloren ist Demetrius! Auf, zu Pferd! Bewaffnet alles, was eine Lanze tragen kann. Laßt nur die Wunden auf den Wällen. Dieser Brand Totila muß erstickt werden im ersten Knistern. Sonst löscht ihn kein Ozean von Blut mehr aus. Meine Waffen, zu Pferd.»
«So hab' ich den Präfekten nie gesehen», sagte Lucius Licinius zu dem Arzt. «Es ist wohl das Fieber? Er erbleichte.»
«Er ist fieberfrei.»
«Dann fass' ich's nicht. Denn Furcht kann es nicht sein. Syphax, laß uns ihm folgen.»
Rastlos trieb Cethegus seine Scharen vorwärts. So rastlos, daß nur ein kleines Reitergefolge mit seinem Ungestüm und Pluto, seinem raschen und unermüdlichen Rappen, Schritt halten konnte. In weiten Zwischenräumen folgten Marcus Licinius, Massurius mit des Cethegus Söldnern und Balbus mit den in Eile bewaffneten Bürgern von Ravenna. Denn wirklich nur Greise und Kinder hatte Cethegus neben den Wunden in der festen Stadt zurückgelassen.
Endlich hatte der Präfekt wenigstens Fühlung mit dem Nachtrab des byzantinischen Feldherrn gewonnen. Totila zog von Tarvisium her nach Süden gegen Ravenna. Zahlreiche Haufen bewaffneter Italier, aus den Provinzen Ligurien,
Venetien, Ämilia stießen zu ihm, durch seine Worte aufgerufen zu neuer Hoffnung und neuen Entschlüssen. Sie verlangten seine erste Schlacht gegen die Byzantiner mit schlagen zu dürfen.
«Nein», hatte Totila ihren Führern erwidert, «erst nach der Schlacht faßt euren letzten Entschluß. Wir Goten fechten allein. Siegen wir, so mögt ihr uns folgen. Fallen wir, so soll euch nicht der Byzantiner Rache treffen. Wartet ab.»
Die Verbreitung solch hochsinniger Entscheidung zog neue italische Scharen zu den Goten heran.
Totilas Heer aber verstärkte sich von Stunde zu Stunde auf dem Marsche auch durch gotische Krieger, die einzeln oder in kleinen Scharen, aus der Gefangenschaft entkommen, oder auch aus ihren früher erreichten Verstecken wieder aufbrachen, nachdem sie den Verrat an Witichis und die Erhebung eines neuen Königs, das Wiederaufflammen des Krieges erfuhren.
Bei der Eile, mit welcher Totila vorwärts drängte, die frische Begeisterung seiner Scharen noch unverhüllt zu verwerten, und bei dem Eifer, mit dem Demetrius ihm entgegenflog, um ihn allein zu schlagen, stießen die beiden Heere bald aufeinander.
Bei Pons Padi war es.
Die Byzantiner standen in der Ebene, sie hatten den Fluß, den sie erst mit der Hälfte ihres Fußvolkes überschritten hatten, hinter sich. Da erschienen die Goten auf den sanft geneigten Höhen, den Rücken nach Nordwesten.
Die untergehende Sonne blendete die Byzantiner.
Totila übersah von dem Hügel, dicht vor den Feinden, deren Stellung. «Mein ist der Sieg»! rief er jauchzend, zog das Schwert und jagte mit seiner Reiterei auf die Feinde hernieder, wie der Falke auf seine Beute stößt.
Cethegus hatte bald nach Sonnenuntergang mit seinen Reitern das letzte, verlassene Lager der Byzantiner erreicht. Da jagten ihm schon die ersten Flüchtlinge entgegen. «Wende dein Roß,
Präfekt», rief ihm der erste Reiter zu, der ihn erkannte, «und rette dich. Totila über uns! Er hat Artabazes, dem tapfersten Führer der Armenier, mit eigner Hand Helm und Kopf durchhauen.»
Und unaufhaltsam jagte der Flüchtling weiter.
«Ein Gott vom Himmel führte die Barbaren!» schrie ein zweiter. «Alles verloren! Der Feldherr gefangen! Alles in wilder Flucht.»
«Unwiderstehlich ist dieser König Totila!» rief ein dritter und wollte an dem Präfekten vorbei, der den Weg versperrte.
«Sag's in der Hölle weiter!» sprach Cethegus und stieß ihn nieder. «Vorwärts!»
Aber kaum ausgesprochen, nahm er den Befehl zurück.
Denn schon fluteten in dichten Massen die geschlagenen Byzantiner, den ganzen Wald erfüllend, zurück und ihm entgegen. Der Präfekt erkannte: unmöglich war's mit seinem Häuflein die Flucht der Tausende aufzuhalten. Eine Zeitlang sah er unschlüssig dem Gewoge
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