Und sie setzte sich nun auf einen Steinblock am Wege, ließ die Lämmer noch grasen, legte die Haselgerte neben sich und ließ einen Schurz von Schaffell, den sie bisher mit der Linken aufgenommen hatte, niedergleiten: da fielen die schönsten Blumen der Alpen in dichten Flocken vor ihr nieder. Sie begann einen Kranz zu flechten.

«Der blaue Speik steht seinem braunen Haar am besten», sagte sie eifrig windend. «Ich werde viel früher müde, wenn ich allein treibe, als wenn er dabei ist. Und doch klettern wir dann viel höher. Möchte wohl wissen, wie das kommt. Und wie mich die nackten Füße brennen! Ich könnte wohl einmal hinabsteigen in den Wildbach, sie zu kühlen. Und da sehe ich ihn auch gleich, wenn er drüben auf den Hang treibt. Die Sonne sticht nicht mehr.»

Und sie streifte das breite große Lattichblatt ab, das sie bisher statt eines Hutes getragen. Da ward die schimmernde Farbe des ganz weißblonden Haares sichtbar, das sie, von den Schläfen zurückgestrichen, mit einem roten Bande hinter dem Wirbel zusammengebunden und bisher unter dem umgebogenen Blatt geborgen hatte. Wie eine Flut von Sonnenstrahlen rieselte es nun über ihren Nacken, den nur ein weißes Wollenhemd bedeckte, das, um die Hüften mit breitem Ledergurt zusammengehalten, nur wenig über die Knie reichte.

Sie maß die Länge ihres Kranzes an dem eignen Haupt.

«Freilich», sagte sie, «sein Kopf ist größer! Noch diese Alpenrosen dazu!»

Und nun verknüpfte sie die beiden Enden des Kranzes mit zierlichem Bandgras, sprang auf, schüttelte die letzten Blumen aus dem Lederschurz, nahm den Kranz in die Linke und wandte sich, den steilen Abhang hinabzusteigen, an dessen Fuß der Bach an das Gestein toste.

«Nein, bleibt nur hier oben und wartet! Auch du bleib, Weiß-Elbchen, Liebling. Gleich komm' ich wieder.»

Und sie trieb die Lämmer zurück, die ihr folgen wollten und nun blökend der Herrin nachsahen.

Behend kletterte und sprang die Wohlgeübte den steinigen Abhang der Schlucht hinab, bald sich mit den Händen an zähem Gesträuch, Seidelbast und Goldweide haltend, bald kühnlich von Stein zu Steinplatte springend.

Unter ihrem Sprung bröckelte das mürbe Gestein, und die Trümmer polterten hinab - da, als sie den rollenden nachhüpfte, hörte sie plötzlich von unten ein scharfes, drohendes Zischen. Und eh' sie wenden konnte, bäumte sich, wohl von einem Stein unsanft aus der Sonnung gestört, eine große kupferbraune Schlange hoch gegen sie empor. Das Kind erschrak, die hurtigen Knie versagten, und laut aufschreiend rief sie: «Adalgoth, zu Hilfe! zu Hilfe!»

Auf diesen Angstton folgte sofort als Antwort ein heller Ruf: «Alarich! Alarich!» was wie ein Schlachtruf klang. -

Es knackte in den Gebüschen zur Rechten, Steine rollten den Hang hinab, und pfeilgeschwind flog zwischen die züngelnde Schlange und das ängstlich weichende Mädchen ein schlanker Bube in zottigem Wolfsvließ. Hoch schwang er den starken Bergstock gleich einem Speer, und so wohlgezielt war sein Stoß, daß die Eisenspitze den schmalen Kopf der Natter in die Erde bohrte. Ihr langer Lieb ringelte zuckend um den tödlichen Schaft.

«Gotho, du bist doch heil?» - «Dank dir, du Treuer!» - «Dann laß mich den Schlangenspruch sprechen, solang die Natter noch zuckt, das bannt ihre Gesippen auf drei Stunden im Umkreis.»

Und er sprach, die drei ersten Finger der rechten Hand wie beschwörend erhoben, den uralten Spruch:

«Warte, du Wolf-Wurm! Zapple, Gezücht! Beiße den Boden, Giftigen Geifers; Männer und Maide Sollst du nicht sehren: Nieder, du Neiding, Du nichtige Natter, Nieder zur Nacht: Hoch ob den Häupten Schuppiger Schlangen Schreitet das schimmernde Gotengeschlecht.»

Viertes Kapitel

Als er zu Ende gesprochen und sich neigte, die tote Schlange zu prüfen, drückte ihm rasch die Gerettete ihren Kranz auf das goldbraune, kurzkrause, dichte Haar.

«Heil, Held und Helfer! Sieh, der Siegeskranz war schon vorher gewunden. Eia, wie schön steht dir die blaue Krone.» Und sie schlug freudig bewundernd die Hände zusammen.

«Du blutest am Fuße!» sprach er besorgt, «laß mich die Wunde saugen - wenn dich der Giftwurm gebissen!» - «'s ist nur ein scharfer Stein. Möchtest wohl lieber du sterben?»

«Für dich, Gotho, wie gerne doch! Aber unschädlich wäre das Gift im Munde. Nun, laß dir die Wunde waschen: ich habe noch Essig und Wasser hier in der Lederflasche. Und dann leg' ich dir Salbei drauf oder heilsame Wegewarte.»

Und zärtlich drückte er sie nieder auf das Gestein, kniete vor ihr, hob den nackten Fuß sorgsam in seine linke Hand und pflegte ihn, die Mischung aus dem Kugelrund drauf träufend. Dann sprang er auf, suchte auf dem Rasen und kam bald mit den gefundenen Kräutern zu ihr zurück, mit den Lederriemen, die er sich vom eignen Fuße löste, die Blätter sorgsam über die kleine

Wunde bindend.

«Wie gut du bist, Lieber!» sagte sie, sein Haupt streichelnd. -«Nun laß dich tragen - nur den Hang hinauf!» bat er. «Ich halte dich so gern auf meinen Armen.»

«Was nicht gar!» lachte sie aufspringend. «Bin kein wundes Lamm! Sieh, wie ich laufen kann. Aber wo sind deine Ziegen?»

«Dort kommen sie aus den Wacholderbüschen. Ich rufe sie!» Und er setzte das Hirtenrohr an den Mund und blies einen schrillen Ton, den Bergstock im Kreise über dem Haupte schwingend. In eilfertigen Sprüngen kamen die starken Ziegen herbei: - sie scheuten die Strafe! Und aus der Tasche einen dünnen Streifen Salz auf die Erde streuend, den die Tiere, gierig leckend, verfolgten, schritt er nun, den Arm zärtlich um des Mädchens Nacken gelegt, den Hang hinauf.

«Sag' mir nur, Lieber», fragte sie, oben angelangt und die Lämmer sammelnd, «weshalb du heute wieder den Drachen ansprangst mit dem Ruf: <Alarich! Alarich!) Wie neulich, da du mir den Steinadler von Weiß-Elbchen scheuchtest, das er schon in den Fängen hatte.»

«Das ist mein Schlachtruf!»

«Wer hat ihn dich gelehrt?»

«Der Ahn, da er mich zum erstenmal mitnahm auf die Wolfsjagd: als ich mir hier das Vließ von Meister Isgrimms Rippen holte. Da sprach er, als ich, <Iffa, Iffa!> schreiend, ebenso, wie ich ihn rufen hörte, auf den Wolf, der nicht mehr entweichen konnte und sich mir stellte, mit dem Schwerte sprang: <Du mußt nicht «Iffa» rufen, Adalgoth, wie ich. Wenn du Held oder Ungetier angehst, ruf du nur: «Alarich!» Das bringt dir Sieg.>»

«Heißt aber doch keiner unsrer Ahnen und Gesippen so, Bruder! Wir kennen doch ihre Namen alle.»

Und nun hatten sie die Stallungen erreicht, die Tiere hineingetrieben und sich vor der Türe des Wohnhauses, vor dem offenen Fenster, auf die Holzbank gesetzt, welche die Vorderseite des Hauses auf beiden Seiten der Haustüre umzog.

«Da ist», zählte das Mädchen nachdenkend auf, «Iffamer, unser Vater, Wargs der Ohm, den der Berg verschüttet hat, Iffa der Ahn, Iffamuth, der andre Ohm, Iffaswinth, dessen Sohn, unser Vetter, und Iffarich, der Großahn und wieder Iffa - aber kein Alarich.»

«Und doch ist mir noch wie ein Dämmertraum aus der Zeit, da ich zuerst auf dem Berg umherzulaufen anfing, aus der Zeit vor dem großen Bergfall, der den starken Oheim Wargs

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