«Seit wann?»

«Seit - Totila! Dieser blonde Königsknabe hat mir den Schlummer gestohlen.» So sicher und überlegen sich der Präfekt gegenüber all seinen Feinden und Gegnern gefühlt hatte - die leuchtende, offene Natur, die Siegfried-Natur dieses Jünglings und ihre spielend gewonnenen Erfolge reizten seinen Haß so schwer, daß ihm manchmal in heißer Leidenschaft die überlegene Eisesruhe schmolz - während Totila dem

Allgefürchteten mit einer Siegeszuversicht entgegentrat, als könne es ihm gar nicht fehlen.

«Er hat Glück, dieser Milchbart!» knirschte Cethegus, als er die spielende Eroberung von Neapolis erfuhr. «Glück wie Achilleus und Alexandros. Aber vortrefflicherweise werden sie nicht alt, diese ewigen Jünglinge! Das weiche Gold dieser Seelen zermürbt: - wir Klumpen von gediegenem Erz halten länger. Ich habe dieses Schwärmers Rosen und Lorbeern gesehen: mir st, bald seh' ich auch seine Zypressen. Es kann nicht sein, daß ich dieser mädchenhaften Seele erliege. Das Glück trug ihn rasch und schwindelhoch empor. Plötzlich und schwindelhoch wird er auch fallen. Trägt es ihn noch über die Zinnen meines Roms? - Fliege nur, junger Ikarus, mühelos, im wärmsten Sonnenschein. Ich klimme, Schritt für Schritt, durch Blut und Kampf, empor im Schatten. - Aber hoch aufatmend werd' ich oben stehn, wann dir der verräterische Sonnenkuß des Glücks das Wachs in den kühnen Fittichen geschmolzen hat. Wie ein fallender Stern wirst du unter mir erlöschen.»

Allein es hatte nicht das Ansehen, als ob dies schon bald geschehen solle.

Sehnlich erwartete Cethegus das Eintreffen einer starken Flotte aus Ravenna, die ihm den Rest seiner Söldner und alles, was selbst von Legionären und von dem Heere des Demetrius entbehrlich war, mit reichen Mundvorräten zuführen sollte. Waren diese Verstärkungen eingetroffen, konnte er das murrende letzte Aufgebot der Römer von seinem unterträglichen Dienst entlassen. Seit Wochen hatte er die immer drohender verbitterten Einwohner auf diese Flotte vertröstet. Endlich war sie von Ostia her durch einen vorausgeschickten Schnellsegler angemeldet worden. Cethegus ließ die Nachricht von Herolden unter Tubaschall durch alle Straßen rufen, ließ verkünden: an den nächsten Iden des Oktober würden achttausend Bürger von den Wällen an ihren Herd entlassen: er ließ doppelte Weinrationen auf den Mauern verteilen.

An den Iden des Oktober deckte dichter Nebel Ostia und das Meer.

Am Tage nach den Iden flog ein kleines Segelboot von Ostia nach Portus, in den Hafen von Rom. Seine zitternde Bemannung, Legionäre aus Ravenna, klagten: König Totila habe mit der Flotte aus Neapolis die ravennatischen Trieren im Schutz dichten Nebels überfallen, von den achtzig Schiffen zwanzig verbrannt oder in den Grund gebohrt, sechzig aber mit allem Seevolk und Mundvorrat genommen.

Cethegus wollte es nicht glauben. Er sprang an Bord seines eigenen Schnellruderes «Sagitta» und flog den Tiber hinab. Aber mit Not entkam er den Schiffen des Königs, die bereits den Hafen Portus sperrten und kleine Kreuzer tiberaufwärts schickten.

In höchster Eile ließ nun der Präfekt einen doppelten Stromriegel, den ersten aus gekappten Masten, den zweiten aus Eisenketten, einen Pfeilschuß weiter oben, wieder quer über den Tiber werfen, wie ihn Belisar bei der ersten Belagerung hatte fertigen lassen. Den Raum zwischen dem unteren, dem Balken-, und dem oberen, dem Eisenriegel, füllte er mit einer großen Zahl kleiner Boote aus.

Schwer empfand Cethegus die volle Wucht jenes Schlages. Nicht nur waren seine heiß ersehnten Verstärkungen in Feindeshand gefallen: nicht nur mußte er den ihn verfluchenden Römern, statt der versprochenen Erleichterung, noch schwerere Lasten auflegen - denn auch die Flußseite mußte nun gegen die unablässigen Durchbruchsversuche der gotischen Schiffe gedeckt werden - mit leisem Grauen sah Cethegus unaufhaltsam näher und näher dringen den furchtbaren Feind: - den Hunger.

Die Wasserstraße, auf welcher er, wie früher Belisar, alle Vorräte reichlich zugeführt hatte, war gesperrt. Italien hatte keine dritte Flotte mehr. Die von Neapolis und die von Ravenna sperrte unter gotischen Wimpeln Rom von der See ab.

Die letzten Reiter aber, die Marcus Licinius auf Kundschaft und Fouragierung die flaminische Straße hinauf geschickt, jagten erschrocken zurück und meldeten: ein starkes Gotenheer, geführt von dem fürchterlichen Teja, rückte im Eilmarsch heran. Seine Vorhut stehe schon in Reate. Tags darauf war Rom auch von der letzten, der Nordseite her, eingeschlossen und beschränkt auf seine eigenen Kräfte: seine Bürger. Diese aber waren schwach genug, so stark auch die Mauern des Präfekten und sein Mut. Noch durch Wochen, noch durch Monate hielt des Cethegus eiserner Zwang die Verzagenden gegen ihren Willen aufrecht. Aber schon erwartete man nicht durch Sturm, durch Hunger den baldigen Fall. Da trat ein allen unerwartetes Ereignis ein, das die Hoffnungen der Belagerten neu belebte und des jungen Königs Genius und Glück auf harte Probe stellte: auf dem Kriegsschauplatz erschien nochmal - Belisarius.

Siebentes Kapitel

Als in dem goldenen Palaste der Cäsaren zu Byzanz nacheinander die schlimmen Nachrichten eintrafen von den Niederlagen an der Padusbrücke und bei Mucella, von der neuen Belagerung Roms, von dem Verlust von Neapolis und des größten Teils von Italien - da wurde Kaiser Justinian, der das Abendland schon wieder mit dem Osten vereinigt gesehen, furchtbar aus seinen Träumen geweckt.

Leicht war es damals den Freunden Belisars, den Beweis zu führen: die Abberufung dieses Helden sei der Grund aller Mißerfolge. Klar lag es vor Augen: solang Belisarius in Italien -Sieg auf Sieg, sowie er den Rücken wandte - Schlag auf Schlag des Unheils. Die byzantinischen Heerführer in Italien selbst erkannten nun offen an, daß sie Belisar zu ersetzen nicht vermochten. «Ich vermag nicht», schrieb Demetrius aus Ravenna, «vor Totila das offene Feld zu halten, kaum diese Festung der Sümpfe zu behaupten. Neapolis ist gefallen. Rom kann fallen jeden Tag. Sende uns wieder den löwenkühnen Mann, den wir in eitler Überhebung ersetzen zu können wähnten, der Vandalen und Goten Besieger.»

Und Belisar, obzwar er sich hoch verschworen, nie wieder diesem Kaiser des Undanks zu dienen, hatte alle Unbill Augenb licks vergessen, als Justinianus ihn wieder lächelnd anblickte. Und als er ihn vollends - nach dem Fall von Neapolis - umarmte und «sein treues Schwert» nannte - nie hatte er in Wahrheit an seine Untreue geglaubt, nur seine königgleiche Stellung nicht dulden wollen - da war Belisarius von Antonina und Prokop nicht mehr zurückzuhalten.

Da aber der Kaiser die Kosten einer zweiten Unternehmung gegen Italien scheute neben denen des Perserkrieges, den Narses glücklich, aber kostspielig, in Asien führte, so gerieten Geldgeiz und Ehrgeiz in seiner Brust in einen Widerstreit, der vielleicht länger gedauert hätte, als der Widerstand von Rom und von Ravenna, wenn ihm nicht Prinz Germanus und Belisar durch einen gemeinschaftlichen Vorschlag einen Ausweg gewiesen.

Den edlen Prinzen trug die Sehnsucht, Ravenna und das Grab Mataswinthens zu besuchen und die Unvergessene an dem rohen Barbarenvolk zu rächen. Denn Cethegus hatte ihm als Erklärung des tragischen Ausgangs der Unvergleichlichen angegeben: die erzwungene Ehe mit Witichis habe ihren Geist zerrüttet.

Belisar aber fand es unerträglich, durch Totilas Erfolge all seine eigenen Siege in Frage gestellt zu sehen. Denn, war ein Volk wirklich überwunden - so fragten seine Neider am Hofe -, das binnen eines Jahres sich so glänzend wieder erhoben hatte? Er hatte sein Wort gegeben, die Goten

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