«Morgen! Nein, heute noch.» Sie hielt inne und faßte seine Hand: «Cethegus, sage, bin ich schön?»

«Der Schönsten eine.»

«Ha!» rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. «Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!» Und sie stürmte aus dem Gemach. Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein.

Siebentes Kapitel

Noch am nämlichen Tage wurde die kleine Villa verlassen und der Weg nach der Königsstadt angetreten.

Cethegus schickte einen Eilboten voraus mit einem Brief Rusticianas an die Regentin. Die Witwe des Boethius erklärte darin, daß sie die durch Vermittlung des Präfekten von Rom wiederholt angebotene Rückberufung an den Hof nunmehr anzunehmen bereit sei. Nicht als eine Tat der Gnade, sondern der Sühne, als ein Zeichen, daß die Erben Theoderichs dessen Unrecht an den Verblichenen gutmachen wollten.

Diese stolze Sprache war wie aus Rusticianas tiefstem Herzen, und Cethegus wußte, daß solches Auftreten nicht schaden, nur alle verdächtige Auslegung der rasche n Umstimmung ausschließen werde. Unterwegs noch traf die Reisenden die Antwort der Königin, die sie am Hof willkommen hieß. In Ravenna angelangt, wurden sie von der Fürstin aufs ehrenvollste empfangen, mit Sklaven und Sklavinnen umgeben und in dieselben Räume des Palastes eingeführt, die sie ehedem bewohnt. Freudig begrüßten sie die Römer.

Aber der Zorn der Goten, die in Boethius und Symmachus undankbare Verräter verabscheuten, wurde durch diese Maßregeln, die eine stillschweigende Verurteilung Theoderichs zu enthalten schienen, schwer gereizt. Die letzten Freunde des Großen Königs verließen grollend den verwelschten Hof. -

Einstweilen hatten die Zeit, die Zerstreuungen der Reise und der Ankunft Kamillas Aufregung gemildert. Und ihr Zorn konnte sich um so eher beschwichtigen, als ihr viele Wochen zu Ravenna verstrichen, ehe sie Athalarich begegnete. Denn der junge König war gefährlich erkrankt.

Am Hof erzählte man, er habe bei einem Aufenthalt zu Aretium - er wollte dort, mit geringer Begleitung, der Bergluft, der Bäder und der Jagd genießen - in den Wäldern von Tifernum in der Hitze der Jagd einen kalten Trunk aus einer Felsenquelle getan und sich dadurch einen heftigen Anfall seines alten Leidens zugezogen.

Tatsache war, daß ihn sein Gefolge an jener Quelle bewußtlos niedergesunken gefunden hatte.

Die Wirkung dieser Erzählung auf Kamilla war seltsam. Zu dem Haß gegen Athalarich trat jetzt ein Zug von leisem Bedauern. Ja eine Art von Selbstanklage. Aber andrerseits dankte sie dem Himmel, daß durch diese Krankheit eine Begegnung hinausgeschoben wurde, die sie jetzt in Ravenna nicht minder fürchtete, als sie dieselbe, da sie noch fern von ihm in Tifernum war, lebhaft herbeigewünscht hatte. Und wenn sie jetzt in den weiten Anlagen des herrlichen Schloßgartens einsam wandelte, hatte sie immer und immer wieder zu bewundern, mit welcher Sorgfalt das kleine Gütchen des Corbulo diesem Muster nachgebildet worden war.

Tage und Wochen vergingen.

Man vernahm nichts von dem Kranken, als daß er zwar auf dem Weg der Besserung, aber noch streng an seine Gemächer gebunden sei. Ärzte und Hofleute, die ihn umgaben, priesen ihr oft seine Geduld und Kraft in den heftigsten Schmerzen, seine Dankbarkeit für jeden kleinen Liebesdienst, seine edle Milde. Aber wenn sie ihr Herz ertappte, wie gern es diesen

Lobesworten lauschte, sagte sie heftig zu sich selbst: «Und meines Vaters Ermordung hat er nicht gehindert!» und ihre Brauen zogen sich zusammen, und sie legte heimlich die geballte Faust auf das pochende Herz.

In einer heißen Julinacht war Kamilla nach langem friedlosem Wachen endlich gegen Morgen in unruhigen Schlaf gesunken. Angstvolle Träume quälten sie. Ihr war, als senke sich die Decke des Gemaches mit ihren Reliefgestalten auf sie nieder. Gerade über ihrem Haupte war ein jugendlich schöner Hypnos, der sanfte Gott des Schlafes, von hellenischer Hand gebildet, angebracht.

Ihr träumte, der Schlafgott nehme die ernsteren, trauervollen Züge seines bleichen Bruders Thanatos an.

Langsam und leise senkte der Gott des Todes sein Antlitz auf sie nieder. - Immer näher rückte er. - Immer bestimmter wurden seine Züge. - Schon fühlte sie den Hauch seines Atems auf ihrer Stirn. - Schon berührten fast seine Lippen ihren Mund. - Da erkannte sie mit Entsetzen die bleichen Züge, das dunkle Auge. - Es war Athalarich - dieser Todesgott. - Mit einem Schrei fuhr sie empor.

Die zierliche Silberlampe war längst erloschen. Es dämmerte im Gemach.

Eine rotes Licht drang gedämpft durch das Fenster von Frauenglas. Sie erhob sich und öffnete es; die Hähne krähten, die Sonne tauchte mit den ersten Strahlenspitzen aus dem Meer, auf das sie, über den Schloßgarten hinweg, freien Ausblick hatte. Es litt sie nicht mehr in dem schwülen Gemach.

Sie schlug den faltigen Mantel um die Schultern und eilte leise, leise aus dem noch schlummernden Palast über die Marmorstufen in den Garten, aus dem ihr erfrischender Morgenwind von der nahen See her entgegenwehte. Sie eilte der Sonne und dem Meere zu. Denn im Osten stieß der Garten des Kaiserpalastes mit seinen hohen Mauern unmittelbar an die blauen Wellen der Adria. Ein vergoldetes Gittertor und jenseits desselben zehn breite Stufen von weißem hymettischem Marmor führten hinab zu dem kleinen Hafen des Gartens, in welchem die schwanken Gondeln mit leichten Rudern und dem dreieckigen lateinischen Segel von Purpurlinnen schaukelten, mit silbernen Kettchen an den zierlichen Widderköpfen von Erz befestigt, die links und rechts aus dem Marmorquai hervorragten. Diesseits des Gittertors, nach dem Garten zu, fanden die Anlagen ihren Abschluß in einer geräumigen Rundung, die von weit schattenden Pinien dicht umfriedet war. Ihre Bodenfläche, von üppigem, sorgfältig gezognem Graswuchs bedeckt, wurde von reinlichen Wegen durchschnitten und von reichen Beeten stark duftender Blumen unterbrochen. Eine Quelle, zierlich gefaßt, rieselte den Abhang hinab in das Meer. Die Mitte des Platzes bildete ein kleiner, altersgrauer Venustempel, den eine einsame Palme hochwipflig überragte, indes brennendroter Steinbrech in den leeren Halbnischen seiner Außenwände prangte. Vor seiner längst geschlossenen Pforte stand zur Rechten ein eherner Äneas. Der Julius Cäsar zur Linken war schon vor Jahrhunderten zusammengestürzt. Theoderich hatte auf dem Postament ein Erzbild des Amala errichten lassen, des mystischen Stammvaters seines Hauses. Hier, zwischen diesen Statuen an den Eingangsstufen das kleinen Fanum, genoß man den herrlichsten Blick durch das Gittertor auf das Meer mit seinen buschigen Laguneninseln und einer Gruppe von scharfkantigen malerischen Felsklippen, «die Nadeln der Amphitrite» genannt.

Es war ein alter Lieblingsort Kamillas.

Und hierher lenkte sie jetzt die leichten Schritte, den reichen Tau von dem hohen Grase streifend, wie sie mit leicht gehobnem Gewand durch die schmalen Wiesenwege eilte. Sie wollte die Sonne über das Meer hin aufglühen sehen. Sie kam von der Rückseite des Tempels, ging an dessen linker Seite hin und trat eben auf die erste der Stufen, die von seiner Stirn zu dem Gitter hinabführten, als sie rechts, auf der zweiten Stufe, halb sitzend, halb liegend, eine weiße Gestalt erblickte, die, das Haupt an die Treppe gelehnt, das Antlitz dem Meere zuwandte.

Aber sie erkannte das braune, das seidenglänzende Haar: es war der junge König.

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