mit dreißig Faden Kette vor Anker gehen können. Der Meeresboden, der aus madreporischem, mit Muschelresten vermengtem Sande besteht, ermöglicht ein festes Haften des Ankers.

Port-Praslin zählte in jener Zeit nur etwa hundert Ansiedler, meist solche deutscher Abstammung und daneben einige eingewanderte Engländer. Ihre Wohnstätten lagen zerstreut in dem erquickenden Schatten des Ufergeländes im Osten und Westen des Hafens.

Das Haus des Herrn Zieger befand sich etwa eine Seemeile von der Küste auf sanft ansteigendem Terrain; Kontor und Magazine bildeten dagegen eine unregelmäßige Gebäudegruppe im Hintergrunde des Hafens, wo auch andere Kaufleute ihre Schreibstuben und Faktoreien errichtet hatten.

Die Eingebornen Neuirlands führen dieselbe Lebensweise wie die Koloniebevölkerung. Ihre Dörfer bestehen aus Haufen von Hütten, die in der Mehrzahl auf Stämmen, also über der Erde freistehend, erbaut sind. Sie kommen gern nach Port-Praslin und zu den Agenten, die im deutschen Melanesien die Staatsgewalt vertreten. Als Hawkins und seine Begleiter ans Land fuhren, begegneten sie auch schon mehreren dieser Eingebornen.

Obwohl diese wenig arbeitsamer Natur sind und die meisten den Tag mit Nichtstun hinbringen, erliegen sie doch zuweilen dem Verlangen, einige Piaster zu verdienen. Nicht selten bieten sie sich dann zum Löschen und Beladen der Schiffe an. Man beschäftigt sie im allgemeinen gern, denn wenn man sie nur scharf beaufsichtigt, da die Leute gern kleine Diebstähle begehen, geben sie zu Klagen keinen Anlaß.

Der Neuirländer ist nicht gerade groß; er mißt im Durchschnitt nur fünf Fuß und zwei Zoll. Seine Haut ist braun, nicht schwarz wie die des Negers. Der Unterleib tritt etwas hervor und die Glieder sind dünn und schlank. Das wollige Haar läßt der Eingeborne zu zierlichen Locken gewunden über die Schultern hinabfallen, eine Haartracht, die in zivilisierten Ländern nur beim weiblichen Geschlechte vorkommt. Ferner zeigen die Urbewohner eine abgeflachte Stirn, ziemlich platte Nase und einen breiten Mund mit Zähnen, die durch den Mißbrauch von Betel meist verdorben sind. In der Zwischenwand und in den Flügeln der Nase, die ebenso wie die Ohren durchlöchert sind, stecken kleine Stäbchen, woran Tierzähne oder auch Blumen und nicht selten sogar kleine Gebrauchsgegenstände hängen. Die Kleidung besteht gewöhnlich nur aus Stoffschürzen, die seit einigen Jahren die früher getragene Schürze aus Rindengewebe verdrängt haben. Wie zur Vervollständigung der Kleidung bemalen sich die Leute verschiedene Stellen des Körpers. Mit Ocker, der in Kokosöl verrieben ist, färben sie sich die Wangen, die Stirn, die Nasenspitze, das Kinn, die Schultern, die Brust und den Leib. Nur wenige sind tätowiert, und diese Tätowierungen sind dann nicht durch Einstiche hergestellt, sondern mittels Steinkanten und scharfrandigen Muscheln eingeschnitten. All dieser »Schmuck« verhüllt aber noch nicht die Lepra, an der sie vielfach leiden, trotz der öligen Einreibungen, die sie dagegen anwenden, und auch nicht die Narben der Wunden, die sie in häufigen Kämpfen, besonders mit ihren Nachbarn auf Birara, davongetragen haben.

Daß die Eingebornen dieser Inselgruppe Menschenfresser gewesen wären, unterliegt kaum einem Zweifel. vielleicht sind sie es gelegentlich auch jetzt noch. Wie dem auch sei, jedenfalls ist die abscheuliche Sitte der Menschenfresserei jetzt stark eingeschränkt, dank den Missionaren, die sich auf der

Insel Roon, im Südwesten von Neupommern, niedergelassen haben.

Die auf dem Kai stehenden Eingebornen gehörten dem stärkeren Geschlecht an. Keine Frau, kein Kind befand sich darunter. Diese kann man fast nur in den Dörfern und auf dem Lande zu sehen bekommen, wo die Neuirländerinnen die Feldarbeit verrichten; in die Nähe der Faktoreien wagen sie sich dagegen nur sehr selten.

»Wir werden einige Ausflüge ins Innere unternehmen, sagte Zieger, das wird Ihnen Gelegenheit geben, diese Völkerschaften genauer zu betrachten.

- Ich bin mit Vergnügen dabei, versicherte Hawkins.

- Zunächst aber, setzte Zieger hinzu, drängt es mich, Sie meiner Frau vorzustellen, denn sie dürfte uns schon erwarten.

- Wir folgen Ihnen,« antwortete der Reeder.

Der Weg, der erst am Ufer hin nach Wilhelmstaf führte, war reichlich beschattet. Die weiter im Innern terrassenartig emporsteigenden Anpflanzungen reichten herunter bis zur Linie der Brandung an den äußersten Felsen der Buchten. Zur Rechten stiegen dichte Waldmassen bis zum Kamme der Bergkette des Landes empor, der noch von zwei oder drei Gipfeln der Lanutberge überragt wird. Zwang irgend ein Hindernis, ein Rio oder ein Stück sumpfigen Bodens, vom Ufer abzuweichen, so wendete man sich unter die Bäume, wo -allerdings wenig betretene - Fußsteige dahinliefen. Hier gediehen in Menge Arecapalmen, Pandanusbäume, Barringtonias und Bananen-Feigenbäume. Ein Netz von Lianen, die zuweilen hochgelb wie Gold aussahen, umstrickte die Stämme, wand sich um die Aste und kletterte bis zu den Wipfeln hinaus. Daneben mußte man sich auch vor sehr spitzigen Dornen in acht nehmen.

»Seien Sie vorsichtig, ermahnte deshalb Zieger seine Gäste, ich empfehle es Ihnen dringend, wenn Sie nicht halb nackt bei meinem Hause ankommen wollen, und das ist selbst bei uns auf Neumecklenburg noch nicht Sitte.«

Ihrer Verschiedenheit und ihres prächtigen Aussehens wegen fordern die Baumarten der neuirländischen Wälder unbedingt die Bewunderung des Beschauers heraus. So weit der Blick reichte, erhoben sich hier Hibisken, deren Blätter an die der Linde erinnern, Palmen, mit leicht gewundenen Girlanden umschlungen, Calophyllums, deren Stamm im Umfange oft dreißig Fuß mißt, ferner Rotangs, Pfefferbäume, Cycaspalmen mit schnurgeradem Schafte, aus dem die Eingebornen das Mark zur Herstellung von einer Art Brot benutzen, halb in Wasser stehende Lobelien, Pancratiums mit Zweigen, die wie mit Korallen verziert aussehen und zwischen deren Blättern Skarabäen nisten, unter denen man aber keine Vögel, sondern eine Art Muscheln zu verstehen hat.

Das ganze Waldgebiet zeigte wirklich Riesenverhältnisse in seinen Kokos- und Sagopalmen, den Brot- und Muskatbäumen, Latanen, den Arekapalmen, deren Endknospe sich wie die des Palmenkohls spaltet und ebenso gut eßbar ist wie dieser. Daneben gab es hier Überfluß an strauchartigen Gewächsen, an Farn mit seinen Blättern, parasitischen Epidendrons und Inokarpen, die hier größer werden als auf allen anderen Inseln des Großen Ozeans, und deren über der Erde sich ausbreitende Wurzeln Naturhütten bilden, worin fünf bis sechs Personen Platz finden.

Zuweilen traf man auch auf Lichtungen mit einem Rahmen mächtiger Gebüsche und bewässert von klaren Rios. Diese Flächen werden schon angebaut, und zwar mit Zuckerrohr, süßen Pataten, mit sorgsam gepflegten Tarosen. Hier sah man auch schon eingeborne Frauen bei ihrer Arbeit.

Von Raubtieren oder anderen gefährlichen Vierfüßlern war hier ebensowenig zu befürchten, wie von giftigen Reptilien. Die Tierwelt blieb an Reichhaltigkeit überhaupt gegenüber der

Pflanzenwelt zurück. Sie beschränkte sich meist auf wilde Schweine, die harmloser waren als ihre europäischen Verwandten und von denen viele gezüchtet wurden, ferner auf Hunde, in tombarischer Sprache »Pulls« genannt, auf Kuskus, Beutelratten, Eidechsen und auf eine Menge Ratten von sehr kleiner Art. Daneben zeigten sich noch Termiten, jene weißen Ameisen, die ihr schwammähnliches Nest an Baumzweigen hängend erbauen, zwischen denen sich häufig gleich einem Netze die schimmernden Webfäden einer Unmasse purpurroter und azurblauer Spinnen ausspannen.

»Höre ich da nicht Hunde? sah Nat Gibson sich veranlaßt zu fragen, als ein fernes Gebell einen Augenblick an sein Ohr schlug.

- Nein, entgegnete Zieger, das sind keine Hunde, die bellen, sondern Vögel, die da schreien.

- Vögel? wiederholte Hawkins, erstaunt über diese

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