Nach dieser ausdrücklichen Erklärung, der eine längere Erregung im Zuhörerraume folgte, glaubte der Vorsitzendem, die Verhandlung zunächst abbrechen zu müssen. Die Sitzung wurde also aufgehoben; einige Gerichtsdiener führten Flig Balt und Len Cannon in das Hafengefängnis zurück. Die weitere Untersuchung der Sache würde ja ergeben, was von der Aussage des Bootsmannes zu halten wäre. Karl und Pieter Kip wurden aber vorläufig verhaftet und im Stadtgefängnis untergebracht.
Vor dem Verlassen des Sitzungssaales hatte Karl Kip sich nicht überwinden können, seiner Entrüstung über den Buben, der sie anklagte, kräftig Ausdruck zu geben. Pieter bemühte sich, ihn zu besänftigen.
»Laß es gut sein, mein armer Bruder. überlaff es den Gerichten, unsere Unschuld an den Tag zu bringen!«
Dann waren sie fortgegangen, doch keine Hand - nicht einmal die des Herrn Hawkins - hatte sich ihnen entgegengestreckt.
Natürlich mußten Karl und Pieter Kip fest daran glauben. daß bei der weiteren Untersuchung nie etwas herauskommen könnte, was sie belastete. sie hatten das abscheuliche Verbrechen ja nicht begangen. Die Schiffspapiere, die Flig Balt in ihrem Reisesacke gesehen haben wollte, könnte man bei einer Haussuchung in ihrem Gasthofszimmer ja unmöglich finden, und sie meinten, mit ruhigem Gewissen die weiteren Schritte abwarten zu können, die in der Sache getan würden. Die einfache Behauptung des Bootsmannes genügte sicherlich nicht, sie des Diebstahls und des Mordes zu überführen.
Wer beschreibt aber ihr Erstaunen und wer die Empfindung des Entsetzens, das sich in der Stadt verbreitete, als noch am nämlichen Tage das Gerücht aufkam, die Nachsuchungen hätten Flig Balts Aussage bestätigt!
Einige Gerichtspersonen hatten sich sofort nach dem Gasthofe zum Great Old Man begeben. Der vom Bootsmanne erwähnte Reisesack war geöffnet und durchsucht worden. Unter darin verpackter Leibwäsche hatte man eine Summe von sechzig Pfund in Piastern und auch die dem Kapitän Gibson abgenommenen Papiere des »James-Cook« vorgefunden.
Ja noch mehr. einen noch erdrückenderen Beweis! - In dem Reisesacke befand sich eine Waffe, ein malaiischer Dolch. ein Kriß mit gezahnter Klinge. Die in Kerawara vorgenommene Besichtigung und die photographischen Aufnahmen des Herrn Hawkins bewiesen ganz unzweifelhaft, daß die Todeswunde des Kapitäns von einer solchen Handwaffe herrührte.
Es waren also keine einfachen Vermutungen mehr, die zu Ungunsten der Gebrüder Kip sprachen, sondern wirkliche, greifbare Beweise, wie sie Flig Balt in der Gerichtssitzung schon angekündigt hatte. Und was jeden Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Bootsmannes noch weiter ausschloß, war der Umstand, daß er von dem malaiischen Kriß kein Wort gesprochen hatte und also jedenfalls nicht wußte, daß dieser sich im Besitz der beiden Brüder befand, denn in der Verhandlung hatte er ja nur der Papiere und der Piaster Harry Gibsons Erwähnung getan.
Der Leser erinnert sich aber wohl, daß Jim diesen, von Vin Mod auf ein Tischchen in der Kabine gelegten Dolch gesehen hatte, als er zum Aufräumen des Raumes von Flig Balt hinuntergeschickt worden war. Den Dolch hatte der Bootsmann jedoch gleich darauf wieder an sich genommen. Möglicherweise wurde nun sogar der Schiffsjunge zu einer Aussage über diesen Punkt herangezogen, und sein Zeugnis mußte dann die Angaben des Bootsmannes noch weiter bestätigen.
Alles das beweist, daß das von dem schurkischen Vin Mod gesponnene Netz recht fest und widerstandsfähig war. Was er zur Kompromittierung, zum Verderben der beiden Brüder ersonnen hatte, schlug bis jetzt nicht fehl; voraussichtlich konnten sie die dunkle Angelegenheit niemals aufhellen, die freche, gegen sie erhobene Anschuldigung niemals von sich abschütteln.
Jedenfalls hatte der so schwer wiegende Umstand - die Auffindung des Kriß - die von Vin Mod erwartete Folge, daß die Untersuchung gegen Flig Balt und Len Cannon eingestellt und das saubere Paar aus der Hast entlassen wurde. Was bedeutete denn der Versuch einer Auflehnung an Bord des »James-Cook« gegen den Sachverhalt, der durch die Haussuchung an den Tag gekommen war? Der Bootsmann konnte daraufhin ja nicht mehr als Angeklagter, sondern nur noch als Zeuge vor Gericht gezogen werden.
Es ist wohl unnötig, hier besonders auf das Ungestüm - ja, das ist das treffende Wort - hinzuweisen, womit Nat Gibson sich auf die jetzt offenliegende Fährte stürzte. Endlich waren sie entdeckt, würden sie bestraft werden, die herzlosen Mörder seines Vaters! - Ebenso darf es bei dem Gemütszustande, der Nat Gibson beherrschte, kaum wundernehmen, daß der junge Mann alles vergaß, was zur Entlastung der Gebrüder Kip hätte dienen können: ihre Haltung seit dem Tage, wo sie von der Insel Norfolk aufgenommen wurden, ihr mutiges Auftreten bei dem Überfalle der Papuas von Neuguinea, den ungeheuchelten Schmerz, den sie beim Tode des Kapitäns Gibson verrieten, ferner bei der Rückreise das wirksame Eingreifen Karl Kips, der im schlimmsten Sturme die Brigg vor dem Untergange bewahrte. und auch seine Entschlossenheit bei der durch den Bootsmann angezettelten Meuterei. - Nat Gibson vergaß gänzlich die warme Sympathie, die ihm die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina« bisher eingeflößt hatten. Alle diese Gefühle erloschen vor dem Abscheu gegen die Mörder, die ja alle Umstände anklagten, gegen das unwiderstehliche Verlangen, seinen Vater gerächt zu sehen.
Übrigens hatte sich auch in Hobart-Town allgemein ein Meinungsumschwung vollzogen. Soviel man sich früher für die Gebrüder Kip interessierte und sie unterstützt hatte - den einen durch die Vermittlung einer Anstellung als Obersteuermann, den anderen durch die Einleitung späterer Handelsverbindungen zwischen dem Groninger Hause und Tasmanien, ebensoviel wurden sie jetzt verurteilt und verwünscht. Dagegen stieg Flig Balt in den Augen der Leute zur Höhe eines Helden empor. Welche Charakterstärke hatte er bewiesen, jenes Geheimnis bis zum Tage der ihm drohenden Gerichtsverhandlung zu bewahren! Und verdiente er nicht wenigstens eine Entschuldigung, jener Versuch einer Empörung zu dem Zwecke, den »James-Cook« der Führung durch einen Mörder zu entziehen. ein Versuch, bei dem er doch das eigene Leben aufs Spiel setzte? Ja sogar die ehrbaren Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes waren durch das allgemein herrschende, vernichtende Urteil so stark beeinflußt worden, daß sie völlig der Hochachtung, die sie für ihren neuen Kapitän empfunden, völlig der Ergebenheit vergaßen, die sie ihm unter allen Umständen bewiesen hatten.
Was aber in Hobart-Town niemand mehr bezweifelte, das konnte auch in Port-Praslin und in Kerawara keinen Zweifel mehr aufkommen lassen, und Herr Zieger wie Herr Hamburg konnte jede, jetzt überflüssig gewordene Nachforschung aufgeben.
Frau Gibson gab sich mehr dem Schmerz über den Verlust ihres Gatten hin, als dem Bedauern, seinen Tod ungesühnt zu wissen. Doch was hätte sie zu ihrem Sohne sagen können, das geeignet gewesen wäre, seine Überzeugung zu erschüttern? Übrigens erschienen ja auch ihr, wie so vielen, wie vielleicht allen anderen, nach der durch Beweise erhärteten Aussage des Bootsmannes die beiden Brüder als die einzigen, die wirklichen Mörder Harry Gibsons.
Allen anderen?. Nein, doch wohl nicht, wenigstens Hawkins war mit seinem Urteile über die Holländer noch nicht fertig. Fühlte er auch sein unbedingtes Vertrauen auf Karl und Pieter Kip ein wenig schwanken, so war er von deren Schuld doch nicht vollkommen überzeugt. Der häßliche Gedanke, daß die jungen Männer, die sich bisher seine größte Hochachtung erworben hatten, die Urheber einer solchen Freveltat wären. dieser Gedanke widerstrebte ihm gar zu sehr.
Beweggründe für den Mord ließen sich ja gar nicht angeben. Sollte man sie denn in dem Verlangen suchen, sich die paar tausend Piaster anzueignen, die Gibson bei sich getragen hatte, oder etwa in der von Karl Kip genährten Hoffnung, dessen Nachfolger in der Führung der Brigg zu werden? Das genügte dem klarsehenden Hawkins nicht, auch als Frau Hawkins seinen Einwendungen gelegentlich widersprach.
»Doch die Beweise, sagte sie dann, die greifbaren Beweise. das Geld. die
Вы читаете Die Gebrüder Kip