Höhe der Louisiaden einen Überfall durch Papuas zu erleiden und abzuwehren hatte. Offiziere, Passagiere und Mannschaften, alle beteiligten sich an der Verteidigung der Brigg. Mein Vater stand dabei in der ersten Reihe. Da, während des heftigsten Kampfgewühls, wurde - ich weiß nicht von wem - ein Schuß abgefeuert und eine Kugel streifte fast schon den Kopf des Kapitäns Gibson. Bisher, meine Herren, hab' ich das ja für einen unglücklichen Zufall gehalten, der bei der damals herrschenden Finsternis und in der Hitze des Gefechtes recht leicht möglich sein konnte. Jetzt bin ich anderer Ansicht. Ich habe nicht nur Ursache zu glauben, nein, ich glaube sogar bestimmt, daß es sich dabei um einen überlegten Angriff auf meinen Vater gehandelt hat, dessen Tod beschlossen war, und von wem, wenn nicht von denen, die ihn später ermordeten?«

Unter der Wucht dieser neuen Beschuldigung sprang Karl Kip flammenden Auges noch einmal auf.

»Wir. wir! rief er mit zornbebender Stimme. Nat Gibson. das wagen Sie auszusprechen!«

Der ältere Kip war ganz außer sich. Sein Bruder nahm ihn aber an der Hand, um ihn zu besänftigen, und so setzte er sich schluchzend und mit hochwogender Brust wieder nieder.

Im ganzen Saale war wohl niemand, den dieser ergreifende Zwischenfall nicht tief erschüttert hätte, und aus Hawkins' Auge stahl sich eine Träne hervor.

Vin Mod stieß den Bootsmann heimlich mit dem Knie und sah ihn verstohlen an, als wollte er sagen: »Nun wahrlich. daran hatt' ich gar nicht mehr gedacht. er, der Sohn des Kapitäns, hat es aber noch nicht vergessen!«

Die Aufgabe des Anklägers gestaltete sich also immer leichter. Den Geschworenen wurden die früheren Verhältnisse der Gebrüder Kip bekannt gegeben, ihre jetzige bedrängte Lage, sowie die Liquidation, die das Groninger Handelshaus bedrohte. Alles, was sie noch besaßen, war ihnen bei dem Schiffbruche der »Wilhelmina« verloren gegangen, auch das Geld, das sie noch von Amboine mitbrachten.

Ohne Zweifel hatten sie das auf dem Wrack nicht wiedergefunden, da sie davon gegen niemand gesprochen hatten, wohl aber den Dolch, dessen sie sich einige Wochen später bedienten. Dann hatten sie den bedauernswerten Kapitän um die paar tausend Piaster beraubt, die in ihrem Reisesacke wiedergefunden worden waren. Wer weiß auch, ob sich Karl Kip nicht schon vorher mit dem Gedanken getragen hatte, jenem in der Führung des »James-Cook« zu folgen, was ja später eintraf.

Unter welchen Verhältnissen das Verbrechen begangen worden war, das glaubten die Geschworenen zu wissen. Als Harry Gibson von der Brigg wegging, um sich zu Herrn Hamburg zu begeben, waren die beiden Brüder schon nicht mehr an Bord. Sie erwarteten ihn, spähten ihn aus, folgten ihm durch den Wald von Kerawara, überfielen ihn dann, schleppten ihn vom Fußwege fort und plünderten ihn schließlich aus. Nach ihrer Rückkehr auf den »James-Cook« konnte natürlich noch kein Verdacht gegen sie aufkommen. Auch am nächsten Tage scheuten sie sich nicht, sich dem Trauerzuge anzuschlietzen, der den Kapitän nach seiner letzten Ruhestätte geleitete, und hier weinten sie ihm, wie sein Sohn, sogar noch heiße Tränen nach.

Der Ankläger verlangte von der Jury, solchen Übeltätern gegenüber kein Mitleid walten zu lassen. es gäbe nur ein Urteil, das hier am Platze wäre. ein Todesurteil über Karl und Pieter Kip.

Jetzt ergriff noch der Verteidiger das Wort, der sich seiner Aufgabe reckt geschickt entledigte. Konnte er aber hoffen, daß seine Bemühungen erfolgreich wären?. Empfand er es nicht selbst, daß die Anschauung der Richter und des Volkes ebenso schon festständen?. Was hätte er den vorgebrachten greifbaren Beweisen entgegenhalten können?. Nur moralische Hinweise, die auf der Wage der irdischen Gerechtigkeit kaum ins Gewicht fielen. Er sprach von dem Vorleben seiner Klienten, von ihrem ehrbaren Verhalten, das von allen, die mit ihnen in Beziehung getreten wären, rückhaltlos anerkannt werde. Daß das Groninger Handelshaus in Verlegenheit gekommen sei, daß sie bei dem Schiffbruche der »Wilhelmina« ihre Hilfsmittel eingebüßt hätten, sei ja leider nur zu wahr.

Doch um sich eine so verschwindend kleine Summe, zweioder dreitausend Piaster, anzueignen, sollten sie dem Kapitän Gibson nach dem Leben getrachtet, sollten sie ihren Wohltäter getötet haben?. Nein, das sei unglaublich!. Die Gebrüder Kip seien das Opfer unerklärlicher Vorkommnisse. Es sprächen noch so viele Zweifel zu ihren Gunsten, daß sie für »nicht schuldig« erklärt werden müßten.

Die Verhandlung war hiermit zu Ende und die Geschworenen zogen sich ins Beratungszimmer zurück.

Den Kopf in die Hände gestützt, blieb Nat Gibson auf der Zeugenbank zurück. Der Advokat der Angeschuldigten hatte an seiner Überzeugung freilich nicht zu rütteln vermocht. nein, für ihn waren und blieben Karl und Pieter Kip die Mörder seines Vaters.

Hawkins hielt sich mehr beiseite; ihm wollte das Herz brechen beim Anblick des jetzt leeren Platzes, den die Angeklagten nun wieder einnehmen sollten, ihr Urteil zu vernehmen. Da näherte sich ihm der Schiffsjunge Jim.

»Herr Hawkins, sagte dieser mit zitternder Stimme, ich konnte doch nicht anders sprechen, nicht wahr?

- Nein, mein Kind, das konntest du nicht!« antwortete der Reeder betrübt.

Die Beratung der Geschworenen zog sich etwas in die Länge, als ob diesen die Schuld der Holländer doch nicht ganz bewiesen erschiene. Vielleicht billigte ihnen die Jury mildernde Umstände zu infolge der würdigen Haltung der beiden Brüder im Laufe der Verhandlung, einer Haltung, die ja nicht ohne einigen Eindruck bleiben konnte.

Inzwischen vermochten zwei Männer ihre Ungeduld kaum noch zu zügeln: Flig Balt und Vin Mod, die dicht nebeneinander saßen und nicht einmal ein paar Worte mit leiser Stimme zu sprechen wagten. Sie brauchten aber auch die Sprache gar nicht, sich zu verstehen, ihre Gedanken auszutauschen. Was sie erhofften, was sie brauchten, sich erst völlig sicher zu fühlen, das war ein Todesurteil, war die Hinrichtung der Gebrüder Kip. Erst mit deren Tode war die Sache wirklich zu Ende. So lange sie noch lebten, und wäre es selbst innerhalb der Mauern eines Bagno, würden sie doch ihre Unschuld beteuern, und wer konnte denn wissen, ob nicht ein

Zufall die Behörden noch auf die Spur der wirklichen Schuldigen führte.

Nach einer Beratung von fünfunddreißig Minuten ertönte die Glocke der Jury wieder. Sofort nahmen die Geschworenen ihren Platz im Verhandlungssaale wieder ein, sie hatten sich also über ihren Spruch geeinigt.

Sich drängend, stoßend, hoch erregt und unter großem Lärm stürmten die Zuhörer wieder herein.

Auch die Richter erschienen sogleich wieder an ihrem Tische und der Vorsitzende verkündigte die Fortsetzung der Verhandlung.

Der Obmann der Geschworenen wurde aufgefordert, deren Entscheidung mitzuteilen.

Diese lautete auf »Schuldig« in jeder Hinsicht und ohne Empfehlung mildernder Umstände.

Jetzt wurden auch Karl und Pieter wieder hereingeführt. Sie gingen nach ihrem Platze, vor dem sie stehen blieben.

Der Präsident und die Beisitzer berieten einige Augenblicke über die Auswerfung der Strafe für das Verbrechen des Mordes, d. h. der Tötung mit Überlegung.

Die Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, und bei der Verkündigung dieses

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