Stunden vergehen, bis Farnham Nachrichten bekäme.«
In Gedanken versanken, blieben sie noch einen Augenblick stehen.
Da rief sie aber die rauhe Stimme des Oberaufsehers schon wieder zur Arbeit, und um jeden Verdacht abzuschneiden, trieb sie auch Farnham drohend dazu an.
Nach Beendigung seines Tagesdienstes verließ dieser die Strafanstalt und begab sich nach der Stadt. Hier irrte er durch die Straßen und am Hafen umher, immer in der Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit Walter, vergebens. Jedenfalls erwartete Walter die »Illinois« nicht in Port-Arthur, sondern in Hobart-Town, und dann erschien er in der Nähe der Strafanstalt gewiß erst nach dem Eintreffen des Dampfers, um Farnham die letzten Anweisungen zu übermitteln.
Am Nachmittage des heutigen Tages wurden mehrere Arbeiterrotten - darunter auch die, der die Feniers zugeteilt waren - gegen fünf (engl.) Meilen nach Südwesten hinaus geschickt. Dort wurden am Saume des Waldes viele Bäume gefällt, die zur Errichtung einer Farm dienen sollten. Die Verwaltung hatte kurz vorher beschlossen, eine solche, nur eine halbe Meile von der Küste, erbauen zu lassen.
Da es sich jetzt darum handelte, die Grenzen der Farm abzustecken, waren die Gebrüder Kip der Arbeiterschar beigegeben worden. Man hatte sie beauftragt, die Ausführung der von ihnen in den Bureaux bearbeiteten Pläne zu überwachen.
Die Sträflinge - es mochten ihrer gegen hundert sein -marschierten unter der Aufsicht von etwa zwanzig Konstablern und deren Anführer hinaus.
Wie gewöhnlich trug jeder Sträfling seine am Fuße und am Gürtel befestigte Kette. Seit dem Tage ihres Eintrittes in die Bureaux waren Karl und Pieter Kip von dieser unheimlichen Zugabe befreit worden, doch trugen sie noch immer die für Port-Arthur vorgeschriebene gelbe Kleidung.
Nachdem sie damals mit O'Brien und Macarthy einige Worte gewechselt hatten, um ihnen zu danken, waren sie diesen nur sehr selten wieder begegnet. Jetzt, wo sie die Geschichte der beiden Feniers kannten und wußten, daß diese nur aus politischen Gründen deportiert waren, vergaßen sie fast ihr eigenes Unglück vor Rührung über das Los der irischen Patrioten.
Sobald die Menschenherde den Platz der zukünftigen Farm erreicht hatte. nahmen die Arbeiten ihren Anfang. An der
Grenze der Lichtung, die in dem betreffenden Teile des Waldes ausgespart werden sollte, bezeichneten Karl und Pieter Kip, unter Begleitung eines der Aufseher, die nach Maßgabe des Planes niederzulegenden Bäume.
Es war eine ziemlich kühle Witterung. Der Winter nahte heran, und schon lagen inmitten einer Decke von dürren Blättern eine Menge abgestorbener Zweige auf der Erde verstreut. Nur die immergrünen Baumarten, die Steineichen und die Strandsichten, trugen noch ihr Blätterkleid und ihre Nadeln. Der von Westen herkommende Seewind strich pfeifend durch das Gewirr der Äste. Mit dem Dufte der Harzbäume mischte sich der belebende Geruch des Meeres. Man hörte auch das Donnern der Brandung an den Uferfelsen, über denen Schwärme von Nachtvögeln aufflatterten.
O'Brien und Macarthy mußten sich jedenfalls sagen, daß unter den vorliegenden Verhältnissen kein Boot an die Küste stoßen könnte. Farnham, der bis zum Rande des Steilufers hinausgegangen war, hatte sich auch überzeugt, daß auf dem näheren Teile der Storm-Bai kein Fahrzeug lag. Die »Illinois« war also entweder noch nicht eingetroffen oder sie befand sich wenigstens noch auf der Reede.
Mit Rücksicht auf die Arbeiten für die zu errichtende Farm war zwischen Port-Arthur und diesem Teile der Halbinsel schon vorher eine Straße angelegt worden, die vielfach begangen wurde, da sie auch die Verbindung mit mehreren anderen Landgütern bildete. So kam es, daß zuweilen Vorüberkommende stehen blieben, um die Sträflinge bei der Arbeit zu beobachten. Natürlicherweise hielt man diese in angemessener Entfernung, und es war ihnen nicht erlaubt, mit den Gefangenen zu sprechen. Unter den Vorübergehenden fiel nun O'Brien und Macarthy eine Persönlichkeit auf, die auf der Straße wiederholt ein Stück hin- und zurückging.
Ob das Walter war?, Sie kannten diesen ja nicht, doch Farnham erkannte ihn sofort, und mit Vermeidung der geringsten Unklugheit verlor er ihn nicht aus den Augen. Gleichzeitig verständigte ein den Feniers gegebenes Zeichen diese, daß das der erwartete Bote wäre. Was konnte dieser aber hier wollen und warum suchte er sich Farnham zu nähern, wenn es nicht darum geschah, ihn von der Ankunft des Dampfers zu benachrichtigen und ihm Tag und Stelle anzugeben, wo die geplante Flucht bewerkstelligt werden sollte.
Der Oberaufseher der Sträflinge, der die Rotten führte, war ein brutaler, argwöhnischer Mann, der im Dienste mit äußerster Strenge auftrat. Ohne Verdacht zu erwecken, hätte Farnham mit Walter kein Wort wechseln können. Dieser begriff das nach einigen nutzlosen Versuchen bald genug und beschloß, sich so zu verhalten, wie sie es vorher verabredet hatten.
Ein Zettel, den er in der Tasche trug, enthielt alle notwendigen Anweisungen. Diesen ließ er Farnham aus der Ferne einen Augenblick sehen. wandte sich dann den Bäumen an der Straße zu und pflückte fünfzig Schritt weiter hin ein Blatt ab, in das er den Zettel sorgsam einwickelte und das er endlich dicht an einem Baume fallen ließ.
Hierauf gab Walter noch ein Farnham leicht verständliches Zeichen, ging dann schnell die Straße hinunter und verschwand in der Richtung nach Port-Arthur.
Den Feniers war keine der Bewegungen des Mannes entgangen, doch was sollten sie tun?, Den Zettel konnten sie, ohne dabei gesehen zu werden, nicht aufheben.
Das mußte also Farnham unter Beobachtung der größten Vorsicht tun, und auch dazu mußte er noch warten, bis die Sträflinge ihre Arbeit nach jener Seite hin beendigt hatten.
Unglücklicherweise hatte aber der Oberaufseher eben eine der Rotten dahin geschickt, nicht aber die, die Farnham beaufsichtigte.
Ihm und seinen Landsleuten bereitete das selbstverständlich die peinlichste Unruhe. Sie befanden sich gegen zweihundert Schritt weit von der Straße, während an deren Rande andere Sträflinge beschäftigt waren.
Neben diesen fuhren Karl und Pieter Kip fort, die zu fällenden Bäume zu bezeichnen, und darunter war auch der, neben dem Walter einen Augenblick stehen geblieben war. Dazu lag die Befürchtung nahe, daß aus dem als Hülle dienenden Blatte ein wenig Papier hervorstehen könnte, das dann bestimmt aufgehoben und dem Oberaufseher überliefert wurde.
Das wäre das Zeichen zu einem allgemeinen Alarm gewesen. Nach der Rückkehr der Rotten nach Port-Arthur wäre im Innern und außerhalb der Strafanstalt die strengste Aufsicht und Überwachung angeordnet worden. Die Sträflinge hätte man eingeschlossen und sie ihre Arbeiten erst nach mehreren Tagen wieder aufnehmen lassen. Der Fluchtversuch wäre damit vereitelt gewesen. Wenn die »Illinois« ihr Boot ausschickte, die beiden Feniers aufzunehmen, hätte dieses an der bestimmten Stelle keinen Menschen angetroffen, und nach einigen Stunden des Wartens wäre ihm nichts übrig geblieben, als wieder zurückzusteuern.
Jetzt neigte sich die Sonne schon ein wenig dem Untergange zu und am westlichen Horizonte stiegen leichte Dunstmassen empor. Um sechs Uhr gab dann der Oberaufseher das Zeichen zum Rückmarsch, damit die Rotten noch vor einbrechender Dunkelheit in Port-Arthur eintrafen. Für Farnham genügte es aber nicht, sich nur nach jenem Baume begeben zu können, es mußte dazu auch noch hell genug sein, damit er das um den Zettel gewickelte Blatt finden könnte. Hob er es nicht noch heute auf, so war es gewiß bald zu spät. Vom Regen drohte es durchweicht, vom Winde mit den anderen am Boden liegenden Blättern verweht zu werden. Die Irländer folgten Farnham unablässig mit den Augen. »Wer weiß. flüsterte O'Brien seinem Genossen ins Ohr, wer
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