nicht mehr.

Das Nähere über O'Brien und Macarthy erfuhren sie aus den Akten, die durch ihre Hände gingen, da sie das Personalverzeichnis der Insassen der Anstalt zu führen hatten. Daraus ersahen sie also die Verurteilung der beiden als Feniers, als rein politische Verbrecher, die hier das Leben mit dein Abschaum der verruchtesten Übeltäter teilen mußten.

Als sie über diesen Punkt Klarheit gewonnen hatten, sagte Karl Kip bezüglich O'Briens und Macarthys zu seinem Bruder:

»Da sehen wir's ja, warum sie sich damals weigerten, uns die Hand zu geben!

- Ach ja, ich begreife ihr Benehmen, antwortete Pieter Kip.

- Jawohl, Bruder, wir sind für sie nur zwei zum Tode Verurteilte, zwei Mörder, denen nur der Strick geschenkt worden ist.

- Die armen Leute! meinte Pieter Kip, wenn man an die beiden Irländer denkt, die in diesem Bagno eingekerkert sind, so,

- Nun, ich dächte, wir säßen doch auch darin! unterbrach ihn Karl Kip in einer Aufwallung inneren Grolls, der ihn noch manchmal übermannte und dessen mögliche Folgen sein Bruder von jeher fürchtete.

- Gewiß, erwiderte Pieter, wir aber, wir sind nur die Opfer eines Justizirrtums, der eines Tages noch aufgedeckt werden wird; jene zwei sind dagegen für ihre ganze Lebenszeit verurteilt, nur weil sie die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes erstrebt haben!«

War die Stellung Farnhams in der Strafanstalt auch eine derartige, daß sie ein Entkommen der Feniers erleichterte, so schien sich die Gelegenheit dazu doch nicht so bald bieten zu wollen. Seit zwei Jahren wußten die beiden Irländer nun schon, daß ihre Freunde in Amerika beschäftigt waren, ihre Flucht vorzubereiten, doch noch immer war keine weitere Benachrichtigung in Port- Arthur eingetroffen. O'Brien und Macarthy verloren auch fast schon jede Hoffnung darauf, als ihnen Farnham am Nachmittage des 20. April folgende Mitteilung machte:

Er befand sich auf dem Rückwege von Port-Arthur nach der Strafanstalt, als ein Mann an ihn herantrat, den Namen des Aufsehers nannte, den seinigen - er hieß Walter - angab und auch das Losungswort nannte, das zwischen den Feniers in San Francisco und ihm selbst früher vereinbart worden war. Dann teilte er ihm mit, daß in nächster Zeit der Flucht- und Entführungsversuch in folgender Weise unternommen werden solle: Vor Ablauf von vierzehn Tagen werde der von San Francisco nach Tasmanien abgegangene Dampfer »Illinois« in Hobart-Town eintreffen und auf der Reede davor beilegen. Dort werde er günstige Verhältnisse abwarten, in die Storm-Bai einzulaufen und sich dem Ufer der Halbinsel zu nähern.

Der Tag und die Stelle, wohin ein Boot des Schiffes gesendet werden würde, sollten noch durch eine letzte kurze Mitteilung angezeigt werden. Diese Mitteilung werde er, Walter, wenn er beim Wiedersehen Farnhams diesen nicht unauffällig sprechen könnte, in ein grünes Blatt wickeln und dieses dicht an einem Baume zur Erde fallen lassen, wo es Farnham ungesehen aufheben könnte. Dann sollten sich die Gefangenen nur streng an die auf dem Zettel verzeichneten Anweisungen halten. Die freudige Erregung der beiden Irländer über diese Mitteilung kann man sich wohl leicht vorstellen. Mit welcher Ungeduld mußten sie das Erscheinen der »Illinois« auf der Reede von Hobart-Town, und in der Hoffnung erwarten, daß der Dampfer durch keinen Unfall auf dem Meere eine Verzögerung erleide! Auf der südlichen Halbkugel der Erde ist der April noch nicht der Monat, wo die überaus heftigen Stürme des Stillen Ozeans loszubrechen pflegen. Noch vierzehn Tage, hatte Walter gesagt, und der Dampfer werde zur Stelle sein, was bedeuteten aber vierzehn Tage neben den acht langen Jahren eines qualvollen Aufenthaltes in Port-Arthur!

Da Walter die Mauern der Strafanstalt natürlich nicht überschreiten konnte, mußte er Farnham außerhalb dieser zu treffen suchen, wenn er ihm noch etwas zuflüstern wollte. Dabei sollte er dem Aufseher den Tag angeben, wo die Flüchtlinge den Bagno zu verlassen hätten, und die Uferstelle bezeichnen, wo ein Boot der »Illinois« sie aufnehmen werde. An dem vorgeschlagenen Tage würden sie ja voraussichtlich in der Stunde, wo ihre mit Arbeiten im Freien beschäftigte Rotte sich zur Rückkehr nach Port-Arthur sammelte, das Ufer erreichen können.

Immerhin werde man sich in allem nach den Umständen richten. Von Wichtigkeit war nur, daß Farnham rechtzeitig Nachricht erhielte, es mochte das nun auf dem einen oder dem anderen Wege geschehen. Obwohl er Walter nur ein einziges Mal gesehen hatte, würde er ihn doch leicht wiedererkennen. Die folgenden Tage mußte er also stets aufmerksam sein, und wenn es Walter nicht gelang, unauffällig ganz in seine Nähe zu kommen, wenigstens immer ein Auge auf ihn haben, um sich auch das leiseste Zeichen nicht entgehen zu lassen. Ließ Walter dann einen Zettel am Stamme eines Baumes fallen, so galt es immer noch die größte Vorsicht, diesen aufzuheben, um seinen Inhalt den beiden Irländern mitteilen zu können.

»Die Sache wird gelingen, schloß er seine Worte, alle Maßnahmen sind aufs beste getroffen. Die Ankunft der 'Illinois' kann keinerlei Verdacht erregen. Der Dampfer wird auf der Reede von Hobart-Town ankern, wie ein Schiff, das um Wasser oder Proviant zu fassen eingelaufen ist, und auch wenn es dann durch die Bai wieder auf die hohe See zu gehen sucht, können die Hafenbehörden darin nichts Besonderes finden. Erst draußen, auf freiem Meere aber,

- Werden wir gerettet sein, Farnham, rief O'Brien, gerettet durch dich, der mit uns nach Amerika zurückkehrt,

- O, liebe Brüder, erwiderte Farnham, dann werd' ich für euch nur getan haben, was auch ihr getan, für Irland getan hättet!«

Eine Woche verging, ohne daß Farnham Walter wiedersah, der jedenfalls in Hobart-Town das Eintreffen des amerikanischen Dampfers abwartete.

Die Gebrüder Kip hörten von Herrn Hawkins zunächst gar nichts mehr. An die Revision ihres Prozesses, von der er ihnen gesprochen hatte, dachten sie freilich ohne Unterlaß, ja sie lebten sozusagen nur noch in dieser Hoffnung, ohne darüber zu grübeln, worauf sich die Revision stützen sollte. Ihre Überzeugung stand jetzt schon fest bezüglich der Rolle, die Flig Balt - und wahrscheinlich Vin Mod, sein Verführer und Anstifter - in dem Trauerspiele von Kerawara gespielt, über den Anteil, den sie an der Ermordung des Kapitäns Harry Gibson gehabt hätten. Die beiden Elenden hatten Hobart-Town aber fast schon seit einem Jahre verlassen, und was aus ihnen geworden sei, konnte kein Mensch sagen.

Wenn Karl Kip sich diese Sachlage vorstellte, an der sich gar nichts ändern zu wollen schien, verfiel er öfters wieder in seine unbesiegbare Ungeduld. Er dachte dann daran, zu entweichen, und schlug seinem Bruder vor, alles zu wagen, um zu entfliehen. Ohne Hilfe von außen war jedoch eine solche Flucht so gut wie unmöglich.

Am 3. Mai waren schon vierzehn Tage verflossen seit der ersten Mitteilung Walters an Farnham. Die beiden Männer hatten sich inzwischen nicht wiedergesehen. Ohne Verzögerungen während der Fahrt, hätte die »Illinois« schon auf der Reede von Hobart-Town aufgetaucht sein müssen, jedenfalls lag sie da aber noch nicht, denn sonst hätten die beiden Irländer wohl schon Nachricht erhalten.

Doch in welcher Herzensangst schwebten sie jetzt immer! Wenn ihre Rotte sich dem Ufer näherte, schweiften ihre Blicke hinaus auf das Wasser, und gierig suchten sie unter den Schiffen vor dem Eingang zur Storm-Bai nach dem, das sie weit von diesem fluchbelasteten Erdenwinkel forttragen sollte.

Jetzt standen sie still und starrten eben nach einem Rauchstreifen, der, vor dem Südostwind dahertreibend, die Annäherung eines Dampfers schon verriet, ehe dieser um die Spitze des Kap Pillar herumkam. Dann erschien der Dampfer und steuerte scharf an der Landspitze vorüber auf die Bai herein.

»Ist er es, ist er es? rief O'Brien wiederholt.

- Vielleicht, antwortete Marcathy, und dann dürften keine achtundvierzig

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