Skirtle beobachtete sie mit Aufmerksamkeit und innerer Erregung, denn er fühlte sich unwillkürlich ergriffen von der Würde ihres Auftretens und dem Ausdrucke ehrlicher Aufrichtigkeit im Tone ihrer Stimme.
Da barst auch bei Hawkins die Hülle der Zurückhaltung, die er sich zuerst auferlegt hatte und er gab ungescheut dem Flüstern einer Stimme seines Inneren nach. Nein, er glaubte nun einmal nicht an die Schuld der Gebrüder Kip, er hatte auch vorher nie daran glauben können. Leider waren alle bisherigen Nachforschungen in Port-Praslin, in Kerawara und auf den übrigen Inseln des Bismarck-Archipels ergebnislos verlaufen, vergeblich war jede Spur nach den Mördern unter den eingebornen Stämmen verfolgt worden. Dennoch verzweifelte er nicht an einem schließlichen Erfolge, der dann eine Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens herbeiführen mußte.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens! Zum ersten Male war dieses Wort gefallen vor den beiden Verurteilten, die es nie mehr zu hören gehofft hatten, eine Wiederaufnahme, bei der sie vor andere Richter gestellt würden, denen sie dann vielleicht weitere Beweise ihrer Unschuld vorlegen könnten!
Neuen Richtern gegenüber bedurfte es freilich neuer, nicht zu bemängelnder Belege dafür, daß hier ein Justizirrtum vorliege, wenn diese einen anderen Angeklagten vor Gericht ziehen sollten, statt dessen sie, die Unschuldigen, verurteilt worden waren. Doch würde es gelingen, den wirklichen Urheber des Verbrechens zu entdecken und ihn vor den Geschworenen in Hobart-Town den beiden Brüdern Auge in Auge gegenüberzustellen?, Hawkins und die beiden Holländer vergegenwärtigten sich noch einmal die Hauptpunkte der Anklage. Gewiß, der Kapitän Gibson war mit dem Dolche ermordet worden, den man im Zimmer der beiden Brüder gefunden hatte und den diese als ihr Eigentum anerkannten. Sie aber hatten ihn nicht auf dem Wrack der »Wilhelmina« gefunden, ihn nicht an Bord der Brigg mitgenommen. Hatte ihn Jim in ihrer Kabine gesehen, so mußte er von anderer Hand dort hingelegt worden sein, und wenn sich ebenda die Papiere des Kapitäns gefunden hatten, so mußte sie ein anderer dorthin gebracht haben. Dieser »andere« konnte aber nur der sein, der nach der Ermordung Harry Gibsons im Walde von Kerawara auch das Gold gestohlen hatte, das dieser bei sich trug. Ja, das war der tatsächliche Vorgang wenn auch die Beweise dafür fehlten.
Unter diesen Umständen konnte der Verdacht nur auf irgendwelche Matrosen vom »James-Cook« fallen. Einer von ihnen hatte ja recht wohl in der Kabine auf der »Wilhelmina« den Kriß an sich nehmen können, einer von denen, die nach dem Wracke mitgefahren waren.
Da entfuhr Karl Kip die Frage:
»War denn Flig Balt nicht darunter?
- Nein, entgegnete Pieter, der nicht. Ich entsinne mich dessen ganz genau. Flig Balt hat das verunglückte Schiff nicht betreten.
- Ja, ja, ich entsinne mich, bestätigte auch der Reeder, er ist damals nicht von der Brigg weggekommen.
- Wer waren denn die Leute, die im Boote mitfuhren? fragte Karl Kip.
- Das waren Hobbes und Wickley, antwortete der Reeder. Ich habe sie selbst darum befragt, und sie erklären, damals mit Ihnen beiden und mit Nat Gibson im Boote gewesen zu sein.
- Len Cannon war nicht dabei? fragte Pieter Kip.
- Das haben sie mir bestimmt verneint.
- Ich hatte gerade gedacht,
- Hobbes und Wickley können aber nicht in Verdacht kommen, fiel Karl Kip ein.
- Nein, gewiß nicht, antwortete Hawkins, das sind durchweg ehrbare Seeleute. Doch war nicht noch ein Dritter mit ihnen?
- Wer denn, Herr Hawkins?
- Vin Mod.
- Vin Mod! rief Karl Kip. Vin Mod, der heuchlerische Schurke.
- Vin Mod, setzte Pieter Kip noch hinzu, er, den ich von jeher für den bösen Geist Flig Balts angesehen habe.«
Als dieses Gespräch stattfand, war weder der Bootsmann noch Vin Mod mehr in Hobart-Town, und in welchem Lande hätte man jetzt ihrer Fährte nachspüren sollen?
Zehntes Kapitel.
Die Feniers
Im Jahre 1867 war es, wo sich, zum Zwecke der Befreiung Irlands von dem unerträglichen Joche Großbritanniens, der Geheimbund der Feniers gebildet hatte.
Schon zwei Jahrhunderte früher hatten die katholischen Bewohner des Grünen Erin schwere Verfolgungen zu erdulden gehabt, als die ebenso unduldsamen wie wilden Söldnerscharen Cromwells der irischen Bevölkerung die kirchliche Reformation aufzwingen wollten. Treu ihrem Glauben und ihrer politischen Anschauung, wehrten sich die Unterdrückten nach Kräften. So verstrich ein Jahrhundert ohne Verbesserung der Sachlage, und England machte seine brutale Hand nur umso härter fühlbar. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts (1798) kam wieder eine Empörung zum Ausbruche, deren baldiger Niederwerfung die Aufhebung des irischen Parlaments folgte, des natürlichen Schutzwalls der Freiheiten Irlands.
Im Jahre 1829 tauchte da ein Verteidiger der Unterdrückten auf, dessen Name in der ganzen Welt widerhallte. O'Connell nahm einen Sitz im Hause der Gemeinen ein. Hier protestierte er mit mächtiger Stimme gegen die britischen Übergriffe, unter denen sieben Millionen katholischer Einwohner von den damaligen acht Millionen der Gesamtbevölkerung so schwer zu leiden hatten.
Bis zu welcher Stufe der Verarmung und des Elends das unglückliche Land hinabgesunken war, erkennt man an der Tatsache, daß von fünf Millionen Hektaren ertragsfähigen
Bodens fünfzehnhunderttausend Hektare, von den Bebauern aus Mangel an Hilfsmitteln aufgegeben, vollständig brach lagen.
Wir gehen hier auf jene Zeit voller Unruhen, die zu den Vergeltungsmaßregeln des Fenianismus führten, nur soweit ein, als sie zu unserer Erzählung unmittelbar in Beziehung steht.
O'Connell starb im Jahre 1847, ohne sein Werk haben vollenden, ja ohne dessen Erfolg in früherer oder späterer Zeit nur vorausschauen zu können.
Damit war die Bewegung aber nicht erstickt, denn einzelne schürten sie unausgesetzt weiter, so daß das Vereinigte Königreich sich einer erneuten Auflehnung gegenübersah, die aber nicht in einer irischen, sondern in einer englischen Stadt zum Ausbruch kam. Zum ersten Male sah Manchester die Fahne der Feniers sich entrollen, der Feniers, deren Name jedenfalls aus der alten gälischen Sprache stammt, und diese Fahne wehte für die Sache der Unabhängigkeit.
Die Empörung wurde ebenso wie die erste und mit derselben herzlosen Strenge unterdrückt. Die Polizei bemächtigte sich der Hauptanführer Allen, Kelly, Deary, Baskin und Gorld. Erst eingekerkert, dann vor ein Kriminalgericht gestellt, wurden die drei Erstgenannten zum Tode verurteilt und am 23. November in Manchester hingerichtet.
Zu gleicher Zeit flackerte noch ein weiterer Aufruhr auf, dessen Urheber zwei
Вы читаете Die Gebrüder Kip