wohl wissen können, daß der Kapitän Gibson bei seinem letzten Gange nach der Wohnstätte Hamburgs nicht nur die Schiffspapiere, sondern auch eine
Summe von mehreren tausend Piastern bei sich trug. Eben an jenem Nachmittage wären Len Cannon und seine Kameraden ans Land gegangen. Konnten sie da nicht Harry Gibson aufpassen und in den Wald von Kerawara folgen, um ihn hier zu überfallen, zu ermorden und zu berauben?
Karl hörte seinem Bruder mit ängstlicher und verzehrender Spannung zu. Ihm schien es, als sei eine wirkliche Offenbarung über ihn gekommen. Noch nie war es ihm auch nur eingefallen, den Mord mit anderen als mit Eingebornen in Beziehung zu bringen. Jetzt deutete Pieter auf eine andere Fährte hin, wo die Schuldigen zu suchen sein könnten, auf Len Cannon und die übrigen neueren Mannschaften des Schiffes.
Nach kurzer Überlegung äußerte er dann:
»Selbst zugegeben, daß die Mörder unter diesen Leuten zu suchen wären, so ist es doch nicht minder gewiß, daß der Kapitän mit einem malaiischen Dolche erstochen worden ist.
- Jawohl, Karl, und dazu mit dem unsrigen,
- Dem unsrigen?,
- Das ist gar nicht zu bestreiten, versicherte Pieter Kip, und die im Walde von Kerawara gefundene Zwinge gehört eben an unseren Kriß.
- Wie hätte dieser aber in Besitz der Mörder kommen können?
- O, der ist einfach gestohlen worden, Karl.
- Gestohlen?
- Ja, vom Wrack der 'Wilhelmina', als wir es durchsuchten.
- Gestohlen?, Von wem aber?
- Von einem der Matrosen, die damals mit im Boote waren, und die mit uns das Wrack betreten haben.
- Welche Matrosen waren das?, Erinnerst du dich ihrer, Pieter, ihrer Namen?
- Nicht mehr zuverlässig, Karl. Da war zunächst Nat Gibson, der uns begleiten wollte. Der Mannschaften, die vom Kapitän dazu befohlen wurden, entsinne ich mich nicht mehr.
- War der Bootsmann nicht mit darunter? fragte Karl Kip.
- Nein, Bruder, ich glaube versichern zu können, daß Flig Balt damals an Bord zurückblieb.
- Aber Len Cannon?
- Ja, das glaub' ich. Mir ist's, als ob ich ihn auf dem Wrack noch sähe. Vielleicht also dieser, doch gewiß bin ich meiner Sache nicht. Jedenfalls hat aber einer oder der andere in unsere Kabine gelangen und dort, selbst erst nach uns, den Kriß finden können, den wir nicht gleich gesehen hatten. Später, als die Elenden das Verbrechen vereinbart hatten, haben sie sich zur Ausführung dieser Waffe bedient und sie dann wieder in unseren Reisesack gesteckt,
- Dann hätten wir sie aber darin gefunden, Pieter!
- Nein, wenn sie nur im letzten Augenblick darin versteckt worden ist!«
Dieses Zwiegespräch zeigte, wie nahe Pieter Kip an die Wahrheit streifte. Er irrte sich nur bezüglich der Persönlichkeiten der Mörder. Wenn sein Verdacht auf Len Cannon oder einen anderen der Neuangeworbenen fiel, die einen solchen ja gewiß rechtfertigten, so dachte er doch weder an Flig Balt noch an Vin Mod.
Sicher war übrigens, daß der Bootsmann sich nicht mit in der Schaluppe eingeschifft hatte, die nach dem Wracke fuhr, ebenso sicher freilich, daß sich Vin Mod unter den Mitfahrenden befunden hatte, nur erinnerten sich Karl und Pieter Kip dessen nicht mehr. Der Leser weiß, wie der Schurke zu Werke gegangen war und welche Gewandtheit und Schlauheit er an den Tag gelegt hatte, auf sich keinen Verdacht fallen zu lassen.
So verlief also das Gespräch, das die beiden Brüder jedenfalls in gleicher Weise schon weit früher geführt hätten, wenn sie nicht, anfänglich im Gefängnis von Hobart-Town und dann in der Strafanstalt von Port-Arthur, immer von einander getrennt gewesen wären. Was für sie freilich außer Zweifel stand, da sie ja die Urheber des Verbrechens nicht waren, das konnte für jeden anderen nur den Wert einer Vermutung haben. Wie hätten sie denn unwiderlegbare Beweise dafür beibringen können, daß der Kriß von einem der Matrosen des »JamesCook« weggenommen und dann von diesem zur Ermordung des Kapitäns Gibson benutzt worden wäre?, Sie sahen recht wohl ein, daß der Schein gar zu sehr gegen sie sprach. Zugegeben auch, daß die Annahmen Pieter Kips ganz logisch waren, konnten sie doch entscheidend nur für die sein, die sich unschuldig fühlten. Gerade das aber trieb sie - und vor allem Karl Kip - zur Verzweiflung, zu einer Verzweiflung, wogegen Pieter mit seinem unerschütterten Glauben an die göttliche Gerechtigkeit doch nur mit Mühe ankämpfte.
Auf die vom Kapitän Skirtle unternommenen Schritte hin hatten der Gouverneur und die Strafanstaltsverwaltung des Vereinigten Königreiches inzwischen die Genehmigung erteilt, die Gebrüder Kip. in den Bureaux von Port-Arthur zu beschäftigen. Das war gegenüber der Lage, in der sie sich bisher befanden, eine große Erleichterung, sie gehörten damit ja nicht mehr zu einer der Rotten, die Wege bauen oder Kanäle ausheben mußten, sondern wurden jetzt mit einem Teile der Buchführung der Anstalt oder auch, unter der Aufsicht anderer Beamter, mit der Entwerfung von Arbeiten an verschiedenen Punkten der Halbinsel beschäftigt.
Dabei blieb für sie aber noch immer der schlimme Übelstand bestehen, daß sie mit einbrechender Nacht in einen gemeinschaftlichen Schlafsaal zurückkehren mußten, und sich also von den Sträflingen des Bagnos kaum absondern konnten.
Die ihnen gewährte Vergünstigung erregte bei vielen von diesen auch die tollste Eifersucht. Zwei erst zum Tode verurteilte Mörder, deren Strafe nur umgewandelt worden war, erfreuten sich einer solchen Bevorzugung! War denn der Dienst, den Karl Kip der Familie des Kapitän- Kommandanten geleistet hatte, wirklich so viel wert?, Sich auf die Gefahr hin, ein wenig gebissen zu werden, auf einen Hund zu stürzen, das hätte wohl auch jeder andere fertig gebracht. Die beiden Brüder hatten sich also oft genug gegen rohe Gesellen zu verteidigen, und es bedurfte nicht selten der überlegenen Körperkraft Karl Kips, diese einigermaßen im Zaume zu halten.
Mitten unter der wilden Rotte von Galeerensträflingen, mit denen sie in den gemeinsamen Sälen zusammentrafen, gab es jedoch zwei Verurteilte, die ihre Partei nahmen und sie gegen die Roheiten der anderen verteidigen halfen.
Das waren zwei Männer von fünfunddreißig und von vierzig Jahren, zwei Irländer, namens O'Brien und Macarthy. Wegen welchen Verbrechens sie verurteilt waren, darüber hatten sie nie etwas verlauten lassen. Auch sie hielten sich so viel wie möglich beiseite und hatten sich infolge ihrer außergewöhnlichen Körperkraft einen gewissen Respekt zu schaffen gewußt. Offenbar waren es keine gewöhnlichen Verurteilten, und sie hatten gewiß eine bessere Ausbildung genossen als die gewöhnlichen Insassen des Bagnos. Ohne Zweifel empört, manchmal etwa zwanzig Taugenichtse gegen die Gebrüder Kip vorgehen zu sehen, waren sie den beiden Holländern beigesprungen, die rohen Gesellen abzuwehren.
Es lag hiermit ziemlich nahe, daß sich zwischen ihnen und den Gebrüdern Kip eine gewisse Vertraulichkeit entwickelte, obgleich die Irländer sehr düster und heftiger, wenig mitteilsamer Natur waren. Da raubte den Holländern aber eine weitere Verfügung der Verwaltung die Gelegenheit, mit jenen wie bisher öfters zusammenzutreffen.
Dem Kapitän Skirtle, der sich auch weiter für die Gebrüder Kip interessierte, war das Verhalten einiger, und gerade der unlenksamsten Sträflinge nicht verborgen geblieben. Er wußte, daß Karl und Pieter rohen, persönlichen Angriffen ausgesetzt waren.
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