Aufsicht über diese zufiel, unverändert aufrecht.
Der Kapitän Skirtle wohnte in Port-Arthur schon seit zehn Jahren mit seiner Gattin, einer Vierzigerin, seinem Sohne William und seiner Tochter Belly, die im vierzehnten und im zwölften Jahre standen. In der schon erwähnten Villa weilend, kamen Frau Skirtle und ihre Kinder mit den Strafgefangenen niemals in Berührung. Nur der Kapitän selbst kam jeden Morgen nach der Anstalt, hielt sich hier meist den größten Teil des Tages auf und kehrte erst des Abends in seine Villa zurück.
Jeden Monat unternahm er kurze Inspektionsfahrten ins Innere der Halbinsel und bis zur Landenge des Adlersperbers, wobei er die verschiedenen Wachtposten besichtigte und die mit der Herstellung von Wegen beschäftigten Abteilungen an sich vorüberziehen ließ. Was seine Familie betraf, unternahm diese häufiger Spaziergänge um Port-Arthur, durch die herrlichen Waldungen der Nachbarschaft, oder der Aviso brachte sie, sobald sie es wünschten, nach Hobart-Town, so daß ihre Beziehungen zu der Hauptstadt Tasmaniens nie völlig abgebrochen wurden.
Bei seiner Ankunft in Point-Puer ließ sich der Kommandant die Kinder vorführen, die sich seit seinem letzten Besuche irgendwie vergangen hatten. Er ermahnte sie dann oder belegte sie mit den vorschriftsmäßigen Strafen. Doch welchen Grad der Verworfenheit hatten diese kleinen Ungeheuer zuweilen schon erreicht!
Ein Knabe, der auf einen Aufseher erzürnt war, antwortete, als man ihm den Galgen in nahe Aussicht stellte, wenn er sich nicht bessere: »Meinetwegen! Dann geh' ich nur den Weg, den meine Eltern mir gezeigt haben, doch bevor ich baumle, bring' ich diesen Aufseher noch um die Ecke!«
Nach seinem Besuche in Point-Puer begab sich Skirtle nach der Strafanstalt für Erwachsene, und hier wurden ihm am 5. April Karl und Pieter Kip vorgeführt.
Der Kapitän war vollkommen unterrichtet von dem Prozesse, der in weiten Kreisen ungeheures Aufsehen gemacht hatte, dem Prozesse, der mit einer Verurteilung der Angeklagten zum Tode geendet hatte. Hatte ihnen die Gnade der Königin auch das Leben geschenkt, so ruhte doch noch immer das Verbrechen eines unter den obwaltenden Umständen noch häßlicheren Mordes nicht weniger auf den beiden Brüdern. Sie sollten also mit äußerster Strenge behandelt und auf keinen Fall sollte ihnen eine Erleichterung ihrer Lage gewährt werden.
Immerhin bemerkte der Kapitän Skirtle mit einiger Verwunderung die Haltung, die die beiden Holländer in seiner Gegenwart bewahrten. Nach Beantwortung der gewöhnlichen, ebenso an sie gerichteten Fragen setzte Karl Kip dann noch mit klarer, sicherer Stimme hinzu:
»Die menschliche Rechtsprechung hat uns verurteilt, Herr Kommandant, wir sind aber unschuldig an der Mordtat, der der Kapitän Gibson zum Opfer gefallen ist!«
Noch einmal hatten sie, wie vor dem Kriminalgerichtshofe, die Hände ineinander gelegt, das war aber das letzte Mal, daß sie sich ihrer brüderlichen Liebe und Anhänglichkeit versichern konnten.
Die Aufseher führten sie getrennt hinweg, da der Befehl erteilt war, sie nicht mehr zusammenkommen zu lassen. Jeder einer anderen Abteilung zugewiesen, konnten sie sich -abgesehen von der Unmöglichkeit, miteinander zu sprechen -kaum jemals, wenn auch nur flüchtig wiedersehen.
Hiermit begann für sie dauernd das schreckliche Leben der Verbannten in der gelben Sträflingstracht, die für Port-Arthur vorgeschrieben war. Mit einem anderen Sträfling zusammengekettet, wie das in anderen Ländern Gebrauch ist, wurden sie jedoch hier nicht. Es gereicht Großbritannien zur Ehre, daß diese mehr seelische als körperliche Qual in seinen Kolonien nie zugelassen worden ist. Immerhin umschließt eine etwa drei Fuß lange Kette die Knöchel des Gefangenen, und dieser muß sie beim Gehen bis zum Gürtel emporgehoben tragen.
Kommt eine dauernde Aneinanderkettung in Port-Arthur auch nicht vor, so werden die Zugehörigen einer Rotte doch zuweilen alle aneinander gefesselt, wenn sie vereinigt schwere Lasten fortbewegen sollen.
Die Gebrüder Kip wurden der entsetzlichen Strafe dieses »chain-gang« nicht unterworfen. Lange Monate arbeiteten sie in besonderen Rotten an der Herstellung von Wegen, die die Regierung durch die Halbinsel Tasman anlegen ließ, doch niemals konnten sie dabei auch nur ein paar Worte austauschen. O, wie glücklich hätten sie sich noch bei allem Elend gefühlt, wenn es ihnen vergönnt gewesen wäre, zusammenzukommen, einer neben dem anderen auszuruhen, und wäre es auch an den Werften gewesen, wenn sie da die ganze Nacht unter freiem Himmel lagen. Anderenfalls wurden die Sträflinge nach Schluß ihrer Arbeit den Schlafsälen zugeführt, worin man sie, meist zu je vierzig Mann, einschloß.
Nur einmal in der Woche, am Sonntage, hatten Karl und Pieter Kip die Freude, einander wiederzusehen, dann, wenn die Insassen der Anstalt in deren Kapelle zusammenkamen, wo von einem Methodistenprediger Gottesdienst abgehalten wurde. Was aber sollten sie, die Unschuldigen, von der
Gerechtigkeit der Menschen denken, wenn sie sich mit deren Abschaum vereinigt sahen und die Ketten wie klagend zwischen den Gesängen und Gebeten klirrten?
Was Karl Kip fast das Herz brach und ihn immer zu einer Auflehnung reizte. die doch so schlimme Folgen haben mußte, war der Umstand, daß sein Bruder so unerträglich schweren Arbeiten unterworfen war. Er mit seiner eisernen Gesundheit, seiner außerordentlichen Körperkraft war ja imstande, solche auszuhalten, trotz der kaum zum Leben reichenden, dürftigen Nahrung, die der Bagno lieferte, denn diese bestand nur in dreiviertel (engl.) Pfand (340 g) frischem oder acht Unzen (etwa 226 g) gepökeltem Fleisch, einem halben Pfund Brot oder vier Unzen Mehl und aus einem halben Pfund Kartoffeln. Doch ob sein von Natur schwächerer Bruder dabei nicht zu Grunde ging?, Nach der letzten Hitzeperiode eines fast tropischen Klimas gingen sie jetzt, nur bekleidet mit der gelben Sträflingsjacke, einer stechenden Kälte, eisigen Stürmen und dichtem Schneegestöber entgegen. Die gewöhnliche Arbeit mußte dennoch unter den Drohungen der Beamten und der Knute der Aufseher geleistet werden. Von Ruhe keine Rede, höchstens in den kurzen Minuten gegen Mittag, wenn sie darauf warteten, nach der Anstalt zurückgeführt zu werden. Die geringste Andeutung von Widersetzlichkeit zog dem Schuldigen Disziplinarstrafen zu, wie die Einsperrung in finstere Zellen, die Strafe des chain-gang, endlich - nächst dem Tode, den sie auch zuweilen herbeiführt - die schrecklichste, die Auspeitschung mit der neunschwänzigen Katze, die den Körper des Schuldigen entsetzlich zerfleischt.
Ohne Zweifel mußte eine solche Existenz in den Sträflingen das heißeste, unwiderstehlichste Verlangen aufkommen lassen, dieser Hölle zu entfliehen. Einzelne versuchten das wohl auch trotz der Gefahr, der sie sich damit aussetzten, und trotz der äußerst geringen Aussichten auf ein Gelingen. Wurden die
Flüchtlinge dann in den Wäldern der Halbinsel wieder eingefangen, so wurden sie vor allen Insassen der Anstalt mit der neunschwänzigen Katze schonungslos gezüchtigt. Von kräftiger Hand geschwungen, sauste sie auf die Lendengegend des entblößten Opfers nieder und verwandelte Haut und Fleisch darunter in eine blutige Masse.
Wenn Karl Kip aber zuweilen nahe daran war, sich gegen die Härten der Disziplin zu empören, so unterwarf sich diesen sein Bruder ohne Murren, getragen von der Hoffnung, daß die Wahrheit doch einst an den Tag kommen, daß ein Zufall, eine unerwartete Entdeckung ihre Unschuld beweisen werde. Er fügte sich also, so peinlich, so entwürdigend sie auch sein mochte, dieser Lebensweise im Bagno, und wenn er auch nicht über die Kraftnatur seines Bruders verfügte, so gestattete ihm doch seine moralische Energie und ein unerschütterliches Gottvertrauen, alles zu ertragen. Am meisten beunruhigte ihn nur, daß Karl Kip sich einmal nicht mehr bemeistern und sich zu einer Gewalttätigkeit verleiten lassen könnte. Sicherlich würde sein Bruder keinen Fluchtversuch unternehmen, würde ihn nicht allein in der Strafanstalt zurücklassen wollen, die beide vereinigt zu verlassen hofften. Und doch, könnte sich Karl in einer Stunde der Verzweiflung nicht einmal zu einem falschen Schritte hinreißen lassen, wenn er, Pieter, nicht bei der Hand war, ihn zu beruhigen und zurückzuhalten?
In seiner Besorgnis glaubte Pieter auf ein Hilfsmittel sinnen zu sollen, und eines Tages, bei der Inspektion durch den Kommandanten, nahm er sich ein Herz, einige Worte an diesen zu richten.
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