Tasmanien besaß also einmal, neben dem Bagno von Hobart-Town, eine zweite Strafanstalt, auf deren Lage wir hier etwas näher eingehen müssen.

Die an ihrem südlichen Teile durch die Storm-Bai tief eingeschnittene große Insel wird nach Westen zu von einer sehr zerrissenen Küste begrenzt, durch die der Derwent abfließt, an dessen rechtem Ufer sich Hobart-Town erhebt. Im Osten hat sie als Grenze die Halbinsel Tasman, die an der anderen Seite von den Wogen des Großen Ozeans gepeitscht wird, und diese Halbinsel ist wieder durch eine sehr schmale Landzunge mit der Halbinsel Forrestier verbunden, welche mittels eines Landstreifens selbst mit dem Bezirke Panbroke zusammenhängt. Im Süden springen nach dem offenen Meere hinaus die spitzen Landvorsprünge des Südwestkaps und des Kaps Pillar weit hervor.

Von dem Isthmus, der die Halbinseln Forrestier und Tasman verbindet, rechnet man bis zum Kap Pillar ungefähr sechs Meilen (91/2 km), und in einer kleinen Bai dieser südlichen Küstenstrecke wurde die Strafanstalt Port-Arthur angelegt.

Die Halbinsel Tasman ist mit dichten, düsteren Waldungen bedeckt, die sehr reich an Holzarten sind, welche sich zum Schiffbau eignen, und unter anderen eine harte Holzart aufweisen, die das Aussehen und die Eigenschaften des so geschätzten Teakholzes hat. Viele dieser, schon hundert Jahre alten Bäume erkennt man an ihrem riesigen Stamme, der keinerlei Seitenäste zeigt und dessen Belaubung nur den obersten Wipfel schmückt.

Die kleine Stadt Port-Arthur baut sich amphitheatralisch auf einem Hügel im Hintergrunde der Bai auf, und ihr mit einem Landungskai ausgestatteter und durch die Anhöhen der Umgebung geschützter Hafen bietet volle Sicherheit allen Schiffen, die durch furchtbare Windstöße aus Nordwesten am Einlaufen in die Storm-Bai nicht selten verhindert werden. Übrigens treffen andere als solche, die die Strafanstalt mit allem Notwendigen versorgen, nur selten hier ein. Das erklärt man mit dem noch unentwickelten Handelsverkehr in diesem Hafen, dem jedoch eine gedeihlichere Entwicklung gewiß bevorsteht, wenn er seine jetzige Bestimmung (als Sitz einer Verbrecherkolonie) einmal verliert.

Die Bevölkerung von Port-Arthur zeigt auch eine ganz eigene Zusammensetzung: aus Staatsbeamten, Polizisten und zwei Kompagnien Soldaten. Dieses unter dem Oberbefehl eines Kapitän-Kommandanten stehende Personal hat die Verwaltung und die Bewachung der Strafanstalt zu besorgen. Der oberste Beamte, der Kapitän Skirtle, der in Port-Arthur seinen Sitz hat, wohnte damals in einem hübschen Hause auf einer kleinen Anhöhe am Ufer, die einen weiten Ausblick auf das Meer gestattete.

In jener Zeit umfaßte die Anstalt zwei Abteilungen, die zwei Arten sehr verschiedener Sträflinge enthielten.

Die erste lag von der Einfahrt zum Hafen aus zur Linken. Ihr Name Point-Puer wies schon darauf hin, daß sie für jüngere Sträflinge bestimmt war; sie barg mehrere hundert Kinder und junge Leute zwischen zwölf und achtzehn Jahren. Ost wegen eigentlich ziemlich geringfügiger Vergehen deportiert, bewohnen sie Holzbauten, die als Arbeits- und Schlafsäle errichtet sind. Hier bemüht man sich, sie wieder zu bessern, teils durch geregelte Tätigkeit und teils durch belehrenden und erziehenden Unterricht, dem, soweit es die religiöse Beeinflussung betrifft, ein besonderer Geistlicher vorsteht. Tatsächlich scheiden sie aus der Strafanstalt zuweilen auch als gute Handwerker, meist als Schuhmacher, Tischler, Zimmerleute oder als Vertreter anderer Handwerke, die sich ihr Brot auf ehrlichem Wege zu erwerben imstande sind. Ein hartes Leben hatten sie vorher freilich zu führen, die jungen Verhafteten, denen immer die hier üblichen Strafen drohten, die Einsperrung in eine Zelle, die Verurteilung zu Wasser und Brot, und daneben die Peitsche, die die Hand der Polizisten unerbittlich gegen alle Widerspenstigen zu schwingen wußte.

Von denen, die nach Verbüßung ihrer Strafe die Anstalt verlassen, bleiben die einen dauernd als Handwerker oder Arbeiter in der Kolonie zurück, die anderen begeben sich wieder nach Europa. Im ersten Falle bewahren sie gewöhnlich die Spuren von der hier genossenen strengen Erziehung, im zweiten verfallen sie leider oft wieder in ihre früheren Fehler. Als rückfällige Verbrecher werden sie dann wieder zur Deportation verurteilt - wenn sie nicht gleich am Galgen endigten - und dann kommen sie in die Abteilung für Erwachsene, worin sie, oft für die ganze Lebenszeit, eingeschlossen bleiben und unter der Fuchtel einer eisernen Disziplin stehen.

Die zweite Abteilung von Port-Arthur enthielt gegen achthundert Verurteilte, den »Abschaum der Banditen Englands«, wie man mit Recht sagen kann, lauter Leute, die zur untersten Stufe menschlicher Entartung hinabgesunken waren. Hierzu gehörten auch die Deportierten auf der Insel Norfolk, die später nach Tasmanien übergeführt wurden. Da mochte kaum einer darunter sein, dessen Personalakten ihn nicht mit Raub oder Totschlag belastet hätten, ja die meisten, die schon mit den schwersten Strafen belegt waren, hatten nur noch eine einzige weitere, die Todesstrafe vor sich.

Selbstverständlich war in Port-Arthur nichts unterlassen, jede Entweichung zu verhindern. Nur auf dem Wege des Meeres war hier an eine erfolgreiche Flucht zu denken, wenn es den Flüchtlingen gelang, sich eines Bootes zu bemächtigen, das sie nach einer Uferstelle außerhalb der Halbinsel Tasman brachte. Solche Gelegenheiten bieten sich aber sehr selten, denn die Sträflinge haben keinen Zutritt zum Hafen, und wenn man sie hier ausnahmsweise zu gewissen Arbeiten verwendet, werden sie aufs strengste überwacht.

Doch wenn es so schwierig ist, über das Meer zu entfliehen, ist das nicht auch auf dem Landwege möglich, da sich die Verbrecher hier nicht auf einer so kleinen Insel wie auf Norfolk befinden? Ja, gewiß, und man berichtet auch von Flüchtlingen, denen es gelungen war, aus der Strafanstalt zu entweichen, sich in den Wäldern der Umgebung zu verbergen und jeder Verfolgung zu entziehen, wobei sie freilich einem noch schrecklicheren Leben als dem im Bagno entgegengehen und meist aus Mangel an allem einen traurigen Tod finden. Übrigens blieben sie noch immer bedroht, auch in den Wäldern wieder eingefangen zu werden, die immer von Patrouillen durchstreift und seit jenen Vorfällen noch von mehr Posten als früher bewacht werden.

Mindestens müßten die Flüchtlinge die Halbinsel Tasman verlassen können, das ist aber sogut wie unmöglich.

Die Landenge, die sie mit der (anderen) Halbinsel Forrestier verbindet, die Eagle- Hawk-Neck - die Landenge des Adlersperbers - ist an ihrer schmalsten Stelle nur hundert Schritte breit. Auf dem sandigen Boden hat die Verwaltung eine Reihe nahe beieinander stehender Pfähle errichten lassen. An diesen Pfählen sind Hunde angelegt, deren Ketten sich kreuzen können, etwa fünfzig Doggen, die an Wildheit mit Raubtieren wetteifern. Wer diese Linie zu überschreiten versuchte, würde augenblicklich in Stücke gerissen werden. Käme ein Flüchtling hier doch hindurch, so würden andere Hunde, deren Lager auf höheren Grundpfählen ruhen, seine Gegenwart längs des Strandes hin verraten, wo wieder zahlreiche Wachtposten aufgestellt sind. Unter solchen Umständen müssen die Gefangenen doch wohl auf jeden Fluchtversuch von vornherein verzichten.

Derart ist also die Strafanstalt von Port-Arthur eingerichtet, die für die schlimmsten Verbrecher, für die verhärtetsten Sünder bestimmt ist, und hierher waren Karl und Pieter Kip nach der Umwandlung ihrer Strafe gebracht worden. In der Nacht hatte sie ein Boot am Außenende des Hafens aufgenommen und nach einem kleinen Aviso befördert, der für den Dienst der Strafanstalt hierher verlegt ist. Dieser Aviso durchschnitt die Storm-Bai, umschiffte das Kap des Südwestens, lief dann in den Fluthafen ein und legte an der Mole an. Die beiden Brüder wurden vorläufig eingesperrt, bis sie vor dem Kapitän-Kommandanten von Port-Arthur erscheinen sollten.

Der etwa fünfzigjährige Kapitän Skirtle verfügte über die Energie, die seine oft recht schwierigen Obliegenheiten erheischten: er konnte unerbittlich sein, wo das notwendig war, erwies sich aber gerecht und milde gegen die Armen, die sich seiner Güte verdient machten. Ahndete er auch schwere Vergehen gegen die Anstaltsordnung mit den härtesten Strafen, so duldete er doch keinen Mißbrauch ihrer Gewalt bei den ihm untergebenen Beamten. Das strenge Reglement, das er den Deportierten gegenüber beobachtete, hielt er gegenüber allen Angestellten, denen die

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