schätzen gelernt, sowie daß diese sich dessen immer würdig erwiesen haben.
- Ich betrachtete sie, und betrachte sie noch heute als sehr ehrenwerte Männer, Herr Gouverneur, fiel Hawkins überzeugten Tones ein. Zur Bekräftigung meiner Überzeugung kann ich Ihnen zwar keine handgreiflichen Beweise liefern, da mir solche bisher noch fehlen und leider wohl auch immer fehlen werden. doch nichts von dem, was bei den Verhandlungen vorgebracht, nichts, was von den Zeugen ausgesagt worden ist, hat in mir die Gewißheit abschwächen können, daß die beiden Unglücklichen unschuldig sind. Möge
Eure Exzellenz auch nicht übersehen, daß sich jene Zeugenaussagen eigentlich auf eine einzige, auf die des Bootsmannes beschränken, und gerade diese erscheint mir jetzt mehr und mehr verdächtig. In ihm gärt der Haß; nur aus Rachsucht bezichtigt er die Gebrüder Kip eines Verbrechens dessen sie nicht schuldig sind, und das ich irgend einem Eingebornen von Kerawara zuschreibe.
- Es gibt aber auch noch ein anderes Zeugnis als das Flig Balts, lieber Herr Hawkins.
- Das des Schiffsjungen Jim, Herr Gouverneur, und das erkenn' ich ganz so an, wie es abgegeben worden ist, denn dieser junge Mensch ist unfähig zu lügen. Gewiß, Jim wird in der Kabine Karl und Pieter Kips jenen Dolch gesehen haben, der zwar ihr Eigentum war, von dem sie aber nicht wußten, daß er sich in ihrem Besitze befand. Ist das aber wirklich die Waffe, womit der Mord ausgeführt worden ist, und beruht der Umstand, daß die eingesendete Zwinge daran paßt, nicht auf einem reinen Zufall?
- Immerhin ist gerade das nicht ohne Bedeutung, oder meinen Sie, lieber Hawkins, daß ein so auffälliger Umstand hätte ganz unbeachtet bleiben sollen?
- O, gewiß nicht, Herr Gouverneur, er wird auch bei dem Wahrspruch der Geschworenen entscheidend gewesen sein. Und dennoch, ich wiederhole es, dennoch spricht die ganze Vergangenheit der Gebrüder Kip zu deren Gunsten. In dieser Weise zu Ihnen reden zu können, muß ich den Schmerz vergessen, den mir der Tod meines Freundes Harry Gibson bereitet hat, und der mir den klaren Blick wohl ganz ebenso hätte trüben können, wie seinem Sohne, den ich deswegen bedaure, doch auch entschuldige. Ich aber, ich erkenne, oder ich fühle die Wahrheit trotz des Dunkels, das über der Sache schwebt, die Wahrheit, von der ich überzeugt bin, daß sie einst an den Tag kommen wird!«
Der Gouverneur fühlte sich sehr ergriffen von den Darlegungen des Reeders, dessen rechtschaffenen, geraden Charakter er ja von lange her kannte. Seine Widersprüche gegen das Urteil beruhten zwar nur auf moralischen Gründen, doch sind ja in Fällen wie dem vorliegenden die materiellen Beweise noch nicht alles, sondern auch alle anderen dürfen daneben nicht unberücksichtigt bleiben.
»Ich verstehe, antwortete Assy Carrigan nach kurzem Überlegen, ich würdige das ganze Gewicht Ihrer Anschauung, mein lieber Hawkins. Doch muß ich Sie fragen, was erwarten Sie eigentlich von mir?
- Daß Sie die Güte haben, hier einzuschreiten; wenigstens um jenen Unglücklichen das Leben zu retten.
- Einschreiten? entgegnete der Gouverneur. Wissen Sie denn nicht, daß der hier einzig mögliche Schritt die Einlegung der Berufung gegen das Endurteil ist? Diese Berufung ist, wie Ihnen ja bekannt sein muß, rechtzeitig angemeldet worden, nun können wir nur hoffen, daß sie, und zwar binnen kurzem, als begründet erkannt werde.«
Bei diesen Worten Sr. Exzellenz konnte Hawkins einige Zeichen seines Unglaubens nicht ganz unterdrücken.
»Herr Gouverneur, warf er deshalb ein, ich gebe mich über den Erfolg der Berufung keinerlei Täuschung hin. Den Vorschriften der Rechtspflege war bei dieser Angelegenheit nach allen Seiten Genüge getan; es liegt keine Veranlassung vor, das Urteil umzustoßen, und die Berufung wird also verworfen werden.«
Der Gouverneur schwieg; er wußte recht wohl, daß Hawkins recht hatte.
»Sie wird verworfen werden, fuhr dieser fort, ich versichere es Ihnen, und darum sind Sie, Herr Gouverneur, der einzige, der einen letzten Versuch unternehmen kann, den Kopf der Verurteilten zu retten.
- Wollen Sie, daß ich ein Gnadengesuch einreiche?
- Ja, ein Begnadigungsgesuch bei der Königin. dazu vielleicht eine Depesche von Ihnen an den Lord chief-justice um eine Strafumwandlung, die uns die Hoffnung auf die Zukunft nicht gänzlich raubt, oder mindestens um einen Aufschub der Strafvollziehung, der es mir ermöglichte, noch weitere Schritte zu tun. Ich würde, wenn nötig, nach Port-Praslin. nach Kerawara zurückkehren. würde Herrn Hamburg und Herrn Zieger unterstützen, dann dürfte es uns wohl gelingen, die wirklichen Schuldigen zu ermitteln, wenn wir weder Kosten noch Mühe schonen. Wenn ich hier so dringlich auftrete, Herr Gouverneur, kommt das daher, daß mich ein unwiderstehliches Etwas dazu treibt, damit nach Entschleierung der Wahrheit die Justiz sich später nicht den Tod zweier Unschuldigen vorzuwerfen habe.«
Hawkins verabschiedete sich hiermit von Assy Carrigan, und dieser ersuchte ihn, im Interesse der Sache im Gouvernementsgebäude wieder vorzusprechen; eine Einladung, der der vortreffliche Mann mit Freuden nachkam. Dank seiner Hingebung, gewann die Angelegenheit in den Augen des Gouverneurs schon ein anderes Aussehen, und dieser entschloß sich, mit dem Gewichte seiner Persönlichkeit für eine Aufhebung des Todesurteils einzutreten. Die hierzu gewählten Schritte blieben vorläufig das Geheimnis des Gouverneurs und des Herrn Hawkins. Niemand wußte, daß der Gouverneur, ohne den Bescheid auf die Berufung abzuwarten, mittels amtlichen Telegramms in England bei Ihrer Majestät um die Begnadigung der Verurteilten nachgesucht hatte.
Am 7. März verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß die von den Gebrüdern Kip angemeldete Berufung verworfen worden sei. Diese Nachricht bestätigte sich auch in vollem Umfange; sie rief aber nirgends das Gefühl von Verwunderung hervor. Von der ersten Verhandlung in der Sache an hatte man eine Verurteilung, ja ein Todesurteil erwartet, und niemand zweifelte daran, daß diesem eine Hinrichtung folgen werde.
Kein Mensch dachte natürlich daran. daß der Gouverneur in der scheinbar so klar liegenden Angelegenheit an die Königin gehen, noch daran, daß Hawkins zu diesem Zwecke so drängende Schritte bei jenem getan haben könnte.
Die Einwohnerschaft Hobart-Towns rechnete also darauf, daß die Vollziehung des Urteils demnächst stattfinden werde, und es ist von der angelsächsischen, wie von der lateinischen Rasse bekannt, daß solch aufregende Ereignisse bei beiden eine unwiderstehliche, ungesunde Neugier entfesseln.
Erfolgt nach englischem Gesetze das Henken Verurteilter jetzt nicht mehr auf einem öffentlichen Platze, sondern nur in Gegenwart dazu berufener Zeugen, so ist das als ein Fortschritt zu bezeichnen. Die Menschenmenge sammelt sich bei solchen Gelegenheiten aber nichtsdestoweniger in der Nähe des betreffenden Gefängnisses.
So strömten auch vom 7. März an, noch vor dem Aufgange der Sonne, ja meist schon in den ersten Stunden nach Mitternacht, hier zahllose Neugierige zusammen, um die schwarze Flagge, das Zeichen einer vor sich gehenden Hinrichtung, hissen zu sehen.
Natürlich befanden sich darunter Flig Balt und Vin Mod, doch auch Len Cannon und seine Kameraden, die alle Hobart-Town noch nicht verlassen hatten. Der Bootsmann und sein Spießgeselle wollten die schwarze Flagge nach Vollstreckung des Urteils mit eigenen Augen niederholen sehen. Dann erst waren sie ja sicher, daß andere für ihr Verbrechen gebüßt hatten. Dann war an eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr zu denken, und die Elenden kehrten mit ihren Gefährten nach der Schankstube in den »Fresh-Fishs« zurück, die gestohlenen Piaster in Whisky und Gin umzusetzen.
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