Warum er mit flehender Stimme bat, war nicht, mit seinem Bruder vereinigt zu werden, nicht mit ihm in derselben Rotte arbeiten zu dürfen, sondern nur die Begünstigung, einige Minuten mit ihm zusammenzutreffen.

Der Kapitän Skirtle ließ Pieter Kip ausreden und betrachtete ihn mit einer Aufmerksamkeit, der sich scheinbar ein gewisses

Interesse für den jungen Mann beimischte. Ob das daher kam, daß Karl und Pieter Kip einer Gesellschaftsklasse angehörten, aus der doch nur selten Insassen des Bagnos hervorgingen, oder hatte vielleicht der Reeder Hawkins mit Zustimmung des Gouverneurs irgendwelche Schritte zu ihren Gunsten unternommen? War der vortreffliche Mann, nachdem er ihnen den Erlaß der Todesstrafe erwirkt hatte, etwa immer noch tätig, ihnen für den Aufenthalt im Bagno gewisse Erleichterungen zu verschaffen?

Skirtle ließ von dem, was er dachte, freilich nichts merken. Die Gebrüder Kip waren für ihn und konnten in seinen Augen nichts anderes sein, als zwei wegen einer Mordtat verurteilte Männer. Es war schon sehr viel, daß die Güte der Königin ihnen die Todesstrafe erlassen hatte. Später konnte er der Bitte Pieter Kips vielleicht stattgeben, jetzt konnte er sie noch auf keinen Fall bewilligen.

Mit seiner Last auf dem Herzen und der von Schluchzen erstickten Stimme, fehlte es Pieter an Kraft, seine Bitte zu wiederholen. Er sah auch ein, daß das nutzlos wäre, und trat tief bekümmert zurück in seine Rotte.

Fast sechs Monate waren seit der Ankunft der beiden Brüder in der Strafanstalt verflossen. Der Winter näherte sich dem Ende. Hart genug war er für die Unglücklichen gewesen, die kaum noch an eine Möglichkeit glaubten, ihre Lage durch irgend ein Ereignis sich bessern zu sehen. Dennoch sollte das geschehen, und zwar unter folgenden Umständen:

Am 15. September hatten Skirtle, seine Gattin, sein Sohn und seine Tochter, von dem schönen Morgen verlockt, eine längere Ausfahrt durch die Wälder unternommen. An der Eagle-Hawk-Neckenge angelangt, waren alle aus dem Wagen gestiegen.

In der Nähe arbeiteten einige Sträflinge an der Aushebung eines Bewässerungskanales, und der Kapitän-Kommandant hatte die Anlage besichtigen wollen.

Die beiden Rotten, denen Karl und Pieter Kip angehörten, waren hier gleichzeitig, doch eine Strecke voneinander getrennt, beschäftigt. Die Brüder hatten nicht einmal den Trost, einander sehen zu können, da ihnen selbst hier dicht stehende Bäume jede Fernsicht raubten.

Nach seiner Besichtigung wollte Skirtle mit der ganzen Familie schon den Wagen wieder besteigen, als von der, die Landenge abschließenden Pfahlreihe her laute Rufe ertönten. Gleichzeitig wurde auch ein wütendes Bellen hörbar, das von den Hunden herrührte, die dort angebunden waren.

Einer davon hatte seine Kette gesprengt und war, von den Rufen der Wachtposten noch wütender gemacht, nach der Seite des Waldes gestürmt, während die übrige Meute ihm laut nachbellte.

Anfänglich hätte man vermuten können, daß die Dogge sich auf die Sträflinge stürzen würde, deren gelbe Tracht dem Tiere ja bekannt war. Durch die Rufe erschreckt, sprang es aber dem Walde zu, ehe die Wachtposten es hatten aufhalten können.

Dem Kapitän kam es nun darauf an, schnell den Wagen zu besteigen und davonzufahren, ehe die Pferde durch die wütende Dogge vielleicht scheu gemacht würden. Leider erschraken diese gar zu schnell, und ohne daß der Kutscher sie bändigen konnte, rasten sie mit dem leeren Wagen in der Richtung auf Port-Arthur davon.

»Hierher!, Hierher!« rief Skirtle seiner Gattin und seinen Kindern zu, die er in ein nahes Dickicht bringen wollte wo er eine Zufluchtsstätte zu finden hoffte.

Plötzlich tauchte da der Hund mit schäumendem Maule und glühenden Augen vor diesen auf. Wie ein Raubtier brüllend, stürzte er sich auf den jungen Skirtle, den er an der Kehle packte und zu Boden warf.

Schon ließen sich wieder die Rufe der Aufseher vernehmen, die vom Strande her herbeieilten.

Als Skirtle die Gefahr erkannte, in der sein Sohn schwebte, wollte er sich auf das Tier stürzen, wurde aber von zwei kräftigen Armen zurückgedrängt.

Einen Augenblick später war der junge Skirtle gerettet und der Hund überfiel seinen Retter, in dessen linken Arm er sich festgebissen hatte und den er wütend zerfleischte.

Der Überfallene hatte aber den eisernen spitzen Teil einer Hacke in der Hand und schlug ihn tief in den Leib des Hundes ein, so daß dieser röchelnd zurücksank.

Frau Skirtle hatte ihr Söhnchen auf den Arm genommen, das sie mit Liebkosungen überschüttete, während der Kapitän sich dem mutigen Helfer - einem Galeerensträfling in gelber Jacke - zuwendete.

Das war Karl Kip. Er hatte zufällig in der Nähe gearbeitet, als er das Rufen der Aufseher vernahm und den losgekommenen Hund nach dem Walde springen sah. Ohne an eine Gefahr zu denken, hatte er die Fährte des Tieres verfolgt.

Der Kapitän Skirtle erkannte den Mann wieder, der aus einer schrecklichen Wunde blutete. Er ging schon auf ihn zu, seinen Dank abzustatten und ihm so viel wie möglich zu helfen, als er von Pieter Kip überholt wurde.

Auf den Lärm vom Strande und aus dem Walde her, waren die Sträflingsrotten gleichzeitig mit den Aufsehern herbeigelaufen.

An Ort und Stelle angelangt, sah Pieter Kip seinen verletzten Bruder neben der getöteten Dogge auf der Erde liegen. Da stürmte er auf ihn zu und rief schmerzerschüttert dessen Namen.

Die Aufseher hatten ihn zurückhalten wollen, doch auf ein Zeichen Skirites, dem seine Gattin die Hände bittend entgegenstreckte und dessen Mitleid für den unerschrockenen Retter in der Not sein kleiner Sohn erflehte, zogen sich die rauhen Männer scheu zurück.

So kam es, daß die beiden Brüder nach sieben Monate langer Trennung, nach so vielen Qualen und stummer Verzweiflung einander zum ersten Male wieder weinend in den Armen lagen.

Neuntes Kapitel.

Vereinigt

Karl Kip, der im Wagen des Kapitän-Kommandanten nach der Anstalt zurückbefördert worden war, wurde hier in einem der Krankensäle untergebracht, wo sein Bruder, den man bei dem Verletzten zu bleiben gestattet hatte, sich sehr bald zu ihm gesellte.

Wie dankbar mußten auch Skirtle und seine Gattin dem opferfreudigen Manne sein! Dank seinem Mute, war ihrem kleinen Sohne ein gräßlicher Tod erspart geblieben. In der ersten Aufwallung des jungen Herzens hatte sich William Skirtle seinem Vater zu Füßen geworfen und von Schluchzen unterbrochen gebeten:

»Gnade für ihn, Vater, Gnade für ihn!«

Frau Skirtle schloß sich ihrem Sohne hierin an, und beide flehten den

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