Die Tur ging auf, erstaunlich lautlos, wenn man an die rostigen Scharniere dachte. Kalte Luft fegte herein, und Mavra fuhlte, wie die anderen sich regten.

Eine riesige wei?e Pelzgestalt stand dort. Sie war gro? — so gro?, da? sie sich ein wenig bucken mu?te, um den Kopf hereinzustecken. Ein Gesicht sah zu Mavra herein und lachelte schwach. Das Wesen hob eine gro?e, wei?e Pfote und legte einen machtigen Klauenfinger an den Mund.

Gedemondas — auf einem Steig

Antor Trelig fluchte zum tausendstenmal. Eine Schwierigkeit nach der anderen, dachte er murrisch. Vor ihnen Lawinen, der Steig ausgehohlt, beinahe so, als wolle jemand versuchen, sie aufzuhalten oder zu behindern, obwohl sie nichts gesichtet hatten.

Auf der Karte war der Weg viel deutlicher erkennbar als in Wirklichkeit. Er war nicht gut erhalten, manche Schutzhutten verfielen, offenbar schon seit Jahren, und der Pfad verschwand oft spurlos. Ihre Gruppe von ursprunglich vierzehn Mitgliedern — zwolf Agitar, er und seine nicht so treue Frau Burodir — umfa?te noch neun Personen, Burodir leider immer noch eingeschlossen.

Trotzdem hatten sie es auf irgendeine Weise geschafft und waren nicht vom Weg abgekommen. Auf irgendeine Weise wurden sie das Ziel erreichen. Auf jeden Fall er selbst. Was die anderen taten, war ihre Sache.

Heute konnten sie es allerdings nicht mehr schaffen, aber gewi? morgen nachmittag, wenn nichts mehr dazwischenkam.

Auf dem gro?en Bergweg

»Ifrit! Meinen Feldstecher!«rief Ben Yulin.

Die Kuh griff in die Packtasche und reichte ihn ihm.

»Hier, Herr«, sagte sie eifrig.

Er hob das Glas an die Augen.

Es war nicht nur ein Fernglas; es besa? besondere Zusatzlinsen, die seine Kurzsichtigkeit ausglichen.

»Probleme?«knurrte eine Stimme neben ihm.

Er lie? das Glas sinken und starrte das Wesen an. Es sah aus wie ein behaarter wandelnder Busch, so gro? wie er, ohne erkennbare Augen, Ohren oder andere Organe. In Wahrheit war es kein Einzelwesen, sondern eine Kolonie von sechsunddrei?ig Lamotien, dem kalten Wetter und dem Schnee angepa?t.

»Die Hutte dort oben«, sagte Yulin.»Sieht irgendwie verdachtig aus. Ich will nicht noch einmal auf so etwas wie die falsche Spur hereinfallen. Wir haben zwei gute Kuhe dort verloren.«

Nicht von den seinen, aber das sprach er nicht aus.

»Wir haben drei?ig Bruder verloren, vergessen Sie das nicht«, sagte das Lamotien-Wesen.»Wir geben zu, da? es seltsam aussieht. Was sollen wir tun?«

»Warum gehen nicht zwei von euch hinauf? Macht euch wei? oder sonst etwas, und seht euch um.«

Die Lamotien uberlegten.

»Zwei von jedem, meinen wir. Schneehasen.«Das Wesen schien plotzlich zu zerfallen in kleine, gleichgro?e, flauschige Teile. Zwei sanken auf der einen Seite in den Schnee, zwei auf der anderen. Yulin starrte gebannt auf das Gebilde, das sich wieder zusammenfugte. Es wirkte etwas schmaler, aber sonst unverandert.

Die beiden Lamotien im Schnee schienen zu verschmelzen, und das zweite Paar zeigte dieselbe Verwandlung. Nach weniger als zwei Minuten hatten sich zwei Schneehasen gebildet, die zur Hutte hoppelten. Die anderen warteten; nur der Anfuhrer der Kolonie besa? einen Ubersetzer, so da? sie sich neu formen mu?ten, bevor er Bescheid wu?te.

Nach kaum zehn Minuten kehrten die Hasen zuruck, sprangen wieder in den behaarten Klumpen und verschmolzen damit. Nach einer langeren Pause sagte das Gebilde:»Die Hutte ist leer. Aber Sie hatten recht. Es liegen Packtaschen und Vorrate herum. Vor kurzem war da jemand, und man ist fortgegangen — gewi? nicht aus freien Stucken.«

»Glaubt ihr, da? es die Zentauren waren, denen wir gefolgt sind?«

»Vermutlich. Aber jetzt sind sie fort.«

»Spuren?«

»Das ist das Seltsame. Keine. Im Umkreis von einigen hundert Metern nichts.«

»Hier sind sie auf jeden Fall nicht heruntergekommen«, sagte Yulin sorgenvoll.»Wo konnen sie sein?«

Sie schauten sich um.

»Und mit wem?«fragte das Lamotien-Gebilde.

Ein anderer Teil des Gelandes

Es schien, als waren sie seit einer Ewigkeit unterwegs; sie rasteten oft — ihre Bewacher schienen zu begreifen, da? sie mehr Sauerstoff brauchten, als die Atmosphare jetzt zu bieten hatte —, aber es gab kein Gesprach. Ein paar Brummlaute und Gesten, nichts sonst.

Sie waren aber auf keinem Weg mehr, den Tael kannte. Manchmal wurde die Fahrte so undeutlich, da? sich selbst die riesengro?en Gedemondas nicht mehr zurechtzufinden schienen, aber das tauschte.

Doma, die Mavra und Renard trug, wurde von Tael gefuhrt, auf der die beiden Lata sa?en. Voraus gingen vier der riesigen Schneewesen, hinter ihnen noch einmal vier andere. Hier und dort sah man ihre Genossen, manchmal eine gro?e Anzahl, manchmal einen oder zwei, deren Wege sich kreuzten, Mavra war immer noch nicht sicher, was sie waren. Sie erinnerten sie eigentlich an gar nichts. Rundum waren sie schneewei?, zeigten nichts von dem Schmutz, den derart dichtes Haar gewohnlich aufweist. Gro? — Tael war uber zwei Meter gro?, und sie uberragten sie fast um einen Kopf — und sehr schlank. Humanoid, aber ihre Gesichter wirkten hundeahnlich, schneewei? mit langen, sehr schmalen Schnauzen und schwarzer Nase. Die Augen waren zuruckgesetzt, gro?, sahen aber sehr menschlich aus und waren von leuchtendem Hellblau. Ihre Hande und Fu?e bildeten geschlossene, gro?e, runde Platten, Handflachen und Sohlen waren aus einem festen, wei?en, pfotenartigen Stoff. Aber wenn sie die Finger spreizten, ihre langen, dunnen Finger, hatten sie drei und einen Daumen, obschon ihre Hande fast ohne Knochen zu sein schienen. Sie konnten sie in jeder Richtung biegen, auch die ganze Hand, als ware sie aus einer Art Kitt. Finger und Zehen besa?en lange, rosige Krallen, die das einzige — au?er der Nase — waren, was nicht wei? an ihnen war. Selbst das Innere ihrer flachen, gro?en Ohren war auch wei?.

Sie verwischten die Spuren auf sehr einfache Weise. Sie trugen flie?ende wei?e Umhange aus irgendeinem Tierfell und schleppten sie beim Gehen hinter sich her, so da? der leichte Pulverschnee schnell wieder geglattet wurde. Sie versanken bei weitem nicht so tief im Schnee, wie man nach ihrem Gewicht hatte vermuten mogen; die Plattensohlen wirkten wie Schneeschuhe.

Spuren spielten hier keine Rolle; sie wu?ten, da? sie in den Mittelpunkt des Lebens von Gedemondas gefuhrt wurden, was immer das sein mochte.

Das war der Teil, der allen Besuchern verborgen blieb, den sie nie zeigten.

Und das wunderte sie. Warum gerade sie? Wu?ten die Gedemondas, da? sie kamen? Wollte man ihnen helfen? Oder waren sie Gefangene, die man befragten wollte, bevor man sie uber eine Felswand warf? Es gab keine Antworten, es wurde nur marschiert.

Gelegentlich schnellten die gro?en Schneewesen einfach aus dem Boden herauf. Das beunruhigte sie zunachst, bis sie begriffen, da? es im Schnee Fallturen geben mu?te — ob uber Eishohlen, naturlichen oder ausgeschachteten, oder Felshohlen oder sogar kunstlichen Bauwerken, die mit Schnee bedeckt waren, wu?ten sie nicht. Es war aber klar, da? man die Bevolkerung deshalb nicht sah, weil sie unter der Schneedecke lebte.

Die Nacht kam und sturzte diese Winterwelt in eine unheimlich leuchtende Dunkelheit. Der Nachthimmel der

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