Stiefel. Einen Augenblick lang dachte Ortega, Brazil vor sich zu haben, und ein elektrischer Schlag durchzuckte ihn. Aber nein, sagte er zu sich selbst. Brazil konnte sich auf vielerlei Weise maskieren, aber nicht einen halben Meter oder noch mehr gro?er wirken, wenigstens nicht so uberzeugend.

»Wer, zum Teufel, sind Sie, und wie sind Sie hier hereingekommen?« fragte Ortega.

Der Mann drehte sich herum, verschrankte die Arme hinter dem Kopf und wirkte behaglich und ein wenig belustigt.

»Sagen Sie einfach ›Zigeuner‹ zu mir«, erwiderte er leichthin. »Das tun alle. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«

Seine anma?ende Art argerte Ortega, aber die Neugier uberwand alle anderen Gefuhle.

»Nein, nur zu.«

Zigeuner griff in die Brusttasche und zog eine lange, dunne Zigarette in Kom-Art aus einer Packung, holte ein kleines, silbernes Feuerzeug heraus und zundete sie an. Blaugrauer Rauch krauselte sich, als er paffte.

»Danke«, sagte er, steckte das Feuerzeug wieder ein und machte es sich erneut bequem. »Uble Angewohnheit, ich wei?, aber praktisch. Bei dem Monopol von Ambreza auf Tabak hier, sind sie mehr wert als Gold.«

An Ortegas Ruckgrat lief etwas Kaltes auf und ab.

»Das mussen Sie bei einem Aufnahmegesprach gehort haben, vermutlich bei einem mit Brazil«, riet er. »Die Menschen hier haben nicht viel Ahnlichkeit mit Ihnen. Sie sind gerade hier angekommen. Es wundert mich, da? man Sie nicht erschossen hat.«

Zigeuner lachte leise.

»Man hat mich nicht erschossen, weil ich in Wirklichkeit nicht gerade angekommen bin. Ich bin schon seit Wochen hier. Hergekommen bin ich durch das Zone-Tor.«

»Jetzt wei? ich, da? Sie lugen«, beschuldigte ihn der Ulik. »Die Ambreza wurden zur Zeit keinen Typ 41 durch das Tor lassen.«

»Ich habe nicht das Tor in Ambreza benutzt«, erwiderte Zigeuner ruhig. »Ich benutzte… ah, sagen wir, ein anderes. Ich mochte im Augenblick lieber nicht erwahnen, welches.«

Die Kalte am Rucken stellte sich wieder ein, obwohl Ortega nicht hatte erklaren konnen, warum er diesem Mann glaubte.

»Das ist ausgeschlossen«, erklarte er. »So funktioniert der Schacht nicht.«

»Das wei? ich«, gab der Neuankommling ungeruhrt zuruck. »Wenn Sie es sagen.«

»Vielleicht erklaren Sie das besser alles einmal«, sagte der Botschafter argwohnisch.

Zigeuner lachte.

»Nein, davon halte ich nichts. Jedenfalls nicht gleich. Aber Ihr Gesprach mit dem Czillaner fand ich faszinierend. Sie haben viel langer gebraucht, um dahinterzukommen, als wir dachten, wissen Sie.«

Das war die argerlichste Bemerkung bisher, vor allem deshalb, weil Ortega Zigeuner recht geben mu?te. Er lie? sich nicht gern ubertolpeln. Er zog es vor, die Faden zu ziehen, und das gelang ihm auch meistens.

»Au?erdem bin ich hier, um mit Ihnen zu reden«, fuhr Zigeuner fort. »Nur zu reden. Als Botschafter der Neuzugange, konnte man sagen.«

»Als Botschafter Brazils, meinen Sie.«

»Auch das«, gab Zigeuner zu. »Sie haben inzwischen das meiste richtig erfa?t, und wir wollen wissen, was Sie jetzt zu tun gedenken.«

»Sie sind nicht auch Markovier wie Brazil?« fragte Ortega argwohnisch. »Ich habe mir namlich uberlegt, wenn es einen gibt, dann auch mehrere.«

Zigeuner lachte.

»Nein, kein zweiter Markovier. Ich bin nicht einmal so alt wie Sie, Ortega. Und Brazil — tja, ich bin mir nicht sicher, was er ist, aber fur einen Markovier halte ich ihn nicht.«

»Er behauptet, Gott zu sein«, betonte Ortega.

Wieder lachte Zigeuner.

»Vielleicht ist er es. Ich wei? es nicht. Und wissen Sie was? Es ist mir auch vollig egal. Alles, was ich wei?, alles, was irgend jemand wei?, ist, da? er als einziger mit dem Schacht der Seelen umgehen kann. Das ist eigentlich alles, worauf es ankommt, nicht? Nicht, wer oder was er ist, oder Sie sind, oder wie ich bin. Halt, nein, das ist falsch. Was Sie sind, zahlt ein bi?chen, glaube ich. Deshalb bin ich hier.«

Ortega zog die buschigen Brauen hoch. »Warum?«

»Warum lassen Sie sie nicht hinein, Ortega? Machen Sie es ihnen leicht. Sie wissen, da? er nichts tun wird, um Ihr kleines Reich hier auf den Kopf zu stellen. Es kummert ihn nicht im geringsten.«

»Sie wissen, da? ich das nicht konnte, selbst wenn ich wollte«, gab der Ulik zuruck. »Ich beherrsche diese Welt nicht, gleichgultig, was Sie glauben mogen. Sie wird beherrscht von Eigeninteresse, wie jede andere auch. Er versucht in den Schacht zu gelangen, um ihn abzustellen und instand zu setzen. Hier sitzen zu viele nervose Regierungen, um das erlauben zu konnen.«

»Aber die Sechseck-Welt hangt an einer anderen Maschine«, erklarte Zigeuner. »Wenn er die gro?e Maschine abstellt, wirkt sich das hier gar nicht aus. Soviel sollten doch wenigstens alle wissen.«

Ortega zuckte mit allen sechs Schultern.

»Sie wissen nur, was ich wei?, und glauben nur einen kleinen Teil davon. Wir haben fur diese Dinge nur Brazils Versicherung. Und wenn wir ihn beim Wort nehmen, dann wird dieses neue Universum, das er erschaffen wird, neuen Samen brauchen, neuen Markoviersamen, wie beim letztenmal. Dieser Planet hier ist dafur gebaut worden, den Samen zu liefern. Wenn wir dem glauben wollen, wie nach seiner Behauptung das System funktioniert, wird er bei dieser neuen Aussaat die Sechseck-Welt entvolkern. Die Regierungen in den Hexagons stehen vor dem Untergang, Mr. Zigeuner oder wie Sie hei?en. Da bei?t die Maus keinen Faden ab.«

»Es kame anders, wenn Sie mithelfen wurden«, antwortete der andere. »Sie und ich wissen, da? die Einheimischen in vielen Sechsecken Schwarme von Neuzugangen niedermachen. Es gibt Vorschlage, einfach alles zu toten, was durch den Schacht-Zugang hereinkommt. Dem mussen Sie ein Ende machen, Ortega. So oder so. Begreifen Sie denn nicht? Diese Neuankommlinge sind das Saatgut!«

Das Unterkiefer des Uliks klappte vor Verbluffung herunter.

»Naturlich! Das hat Hand und Fu?! Ich wei? nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist. Das Alter, vermutlich. Aber — das einfach nur zu behaupten, wird nicht genugen. Sie haben Angst, Mister. Das sind kleine Leute voller Angst. Sie werden sich auf nichts einlassen.«

»Aber Sie konnen sie hinhalten. Tun Sie, was Sie konnen. Ihr Einflu? hier ist immer noch gro?. Sie wissen das so gut wie ich. Sie konnen die meisten von diesen kleinen Leuten unter Druck setzen. Wir brauchen Zeit, Ortega. Wir brauchen Sie, damit Sie uns diese Zeit verschaffen.«

Serge Ortega lehnte sich zuruck und seufzte wieder.

»Wie sieht Ihr Plan also aus?«

Zigeuner lachte trocken.

»O nein. Wir trauen Ihnen ungefahr so weit, wie Sie uns. Alles der Reihe nach. Aber Sie kennen Ihre Rolle — falls Sie es tun. Von Ihnen erfordert das nicht wirklich einen Preis, das versichere ich Ihnen. Sie haben Brazils Wort dafur, und Sie wissen, da? es gilt.«

»Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte der Schlangenmann, dem Anschein nach aufrichtig.

Zigeuner stand auf, zertrat seine Zigarette auf dem leuchtenden Boden und schaute sich in dem gro?en Buro um.

»Sagen Sie, Ortega, wie halten Sie das aus — hier standig festzusitzen, Jahr um Jahr, so lange Zeit? Ich glaube, ich wurde den Verstand verlieren und mich umbringen.«

Ortega lachelte schwach.

»Fur mich ist es leicht, wissen Sie. Ich brauche nur zum Zone-Tor zu gehen und bin zu Hause. Ich bin uber zweitausend Jahre alt, wissen Sie. Zu alt. Aber was mich am Leben halt, halt mich hier fest. Das sollten Sie wissen.« Seine Stimme sank zu einem vertraumten Flustern herab, und er schien nicht seinen Besucher oder die Wand anzublicken, sondern etwas hinter der Wand, etwas, das nur er sehen konnte. »Noch einmal Wind und Regen zu spuren und ein letztes Mal die Sterne sehen. O Gott! Wie ich davon traume!«

»Warum tun Sie es dann nicht? Oder wenigstens dann, wenn das alles vorbei ist.«

Der Ulik schnaubte verachtlich.

»Sie begreifen meine Falle gar nicht, wie? Ich bin katholisch, Zigeuner. Kein guter Katholik, vielleicht, aber

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