Auch in der Zeit war man wieder im Gleis. Sechs Tage waren fur sie vergangen, fast vierzehn fur das neue Universum, das nun von einem reparierten, neu programmierten und neu belebten Schacht aufrechterhalten wurde.
Nathan Brazil seufzte und lie? sich auf seine Tentakel zurucksinken. Mavra nahm ein paar letzte Messungen vor und lie? sich ebenfalls niedersinken. Es war vorbei.
»Jedenfalls so lange, bis irgendein neuer Idiot an der markovischen Mathematik herummurkst«, meinte Brazil murrisch. Er griff nach ihr. »Was hast du jetzt fur Plane?«
»Ich brauche eine Ruhepause und mochte uber alles nachdenken«, erwiderte sie.
Und so taten sie am siebten Tag gar nichts.
»Schon einen Entschlu? gefa?t?« fragte er sie fruh am nachsten Tag.
»Ja, ich denke. Vielleicht ist es ein Fehler, ich wei? es nicht, aber ich werde wohl mit dir mitmachen mussen. Vorerst nach deiner Vorstellung. Und du?«
»Ach, jetzt kommt das Feine, das Interessante«, erklarte er. »Hinuntergehen und sich ansehen, wie sie sich entwickeln. Erst wenn sie das hinter sich haben, machen sie dich verruckt.«
Sie lachte.
»Ich glaube, das wird faszinierend sein.«
»Okay«, sagte er. »Also machen wir uns auf den Weg. In der neuen Welt ist noch die Zeit vor der Zivilisation, aber bis wir das alles hinter uns haben, wird die Zeit der sogenannten Zivilisation heraufdammern. Hast du dir schon uberlegt, was du sein willst?«
Sie nickte.
»So ziemlich wie fruher«, erwiderte sie. »Ein bi?chen mehr unserer Austrittspunkt-Kultur angepa?t, aber im Grunde dasselbe. Und du?«
»Ich furchte, ich habe mir das letztemal bewiesen, da? ich nichts anderes sein kann als das, was ich immer gewesen bin. Egal, wie, ich scheine immer gleichzubleiben, mehr oder weniger.«
Er flackerte; das helle markovische Glei?en erlosch. Dort stand Nathan Brazil, fast genau so wie fruher. Die Hautfarbe war dunkler, der Bart ein wenig voller, aber Nathan Brazil war er unverwechselbar.
Und seltsamerweise zeigte sich ihren markovischen Sinnen noch immer etwas von dem Leuchten, je langer sie ihn anstarrte.
Sie flackerte auch, dann stand sie neben ihm. Sie war dunkelhautig, schlank, biegsam und exotisch.
»Noch immer die alte, wie?« scherzte er. »Nicht einmal neugierig darauf, wie es ist, ein Mann zu sein? Die Manner haben es in primitiven Gesellschaften viel leichter, wei?t du.«
Sie grinste, trat auf ihn zu und ku?te ihn, dann zeigte sie ihm ihre Fingernagel. Sie spannte die Muskeln ein wenig an, und unter den scharfen Nagelspitzen quollen winzige Tropfchen Flussigkeit hervor.
»Ich komme schon zurecht«, sagte sie.
Er lachelte sie strahlend an, legte den Arm um sie und zog sie an sich.
»Davon bin ich uberzeugt«, erwiderte er aufrichtig.
Naughkaland, Erde
Sie gingen gemeinsam zum Strand hinunter, der Mann und die Frau, nackt und ohne Scham. Ab und zu buckte sich die Frau, die ein wenig kleiner war als er, um eine Muschel oder einen hubschen, bunten Stein aufzuheben, lachte und warf den Gegenstand ins Meer. Es war ein herrlicher, strahlend heller, warmer Tag, ein Tag, wie man ihn sich wunschte.
»Besser als die letzte«, sagte der Mann in einer Sprache, die dieser hellen neuen Welt vollig fremd war. »Warmer, uppiger, an allem reicher. Ich glaube, diesmal konnte es anders werden, vielleicht sogar besser.«
Sie lachte frohlich.
»Immer Optimist.« Sie schlang die Arme um ihn und ku?te ihn lange und leidenschaftlich.
Er blickte in ihr Gesicht, in ihre gro?en schwarzen Augen.
»Mit der Zeit wirst du mich vielleicht hassen lernen«, warnte er.
»Oder du mich«, gab sie mit verspieltem Schmollen zuruck. »Aber nicht jetzt. Nicht heute. Nicht mit Sonne und See und singenden Vogeln und dem warmen Wind. Ganz gewi? nicht jetzt!«
Das Paar ging am Strand entlang, hielt sich bei den Handen und lie? das warme Wasser der See uber die Fu?e fluten. Sie blieb stehen und zeigte auf den feuchten Sand.
»Schau«, sagte sie staunend.
»Nur eine Sandkrabbe«, gab er zuruck.
Sie fuhr herum und sah ihn ein wenig wutend an.
»Wirst du die nachsten zehntausend Jahre so verdrossen sein?« fragte sie gereizt.
Er lachte.
»Auf keinen Fall. Ich werde schlimmer. Aber nie ganz unertraglich, Schatz. Das nie.«
Er grinste, sie grinste auch, er griff nach ihrer Hand, und sie gingen weiter am Strand entlang.
Es war wirklich ein schoner Tag, sagte er zu sich selbst, und ein schoner Ort, um am Leben zu sein, wenn das schon nicht zu umgehen war. Aber er war trotzdem Nathan Brazil, seit vierzig Milliarden Jahren unterwegs, auf dem Weg nach Nirgendwo, mit einem Frachtraum, der gar nichts enthielt, nicht einmal Kleidung fur seinen Korper.
Immer noch warten.
Immer noch beteiligt.
Aber nicht mehr allein.