Auf der Nachtseite der Sechseck-Welt wurden die Bewohner zu den Sternen hinaufblicken und etwas Wundersames erleben. Das gigantische, funkelnde, herrliche Sternenfeld des Nachthimmels flackerte und erlosch. Es war nur Schwarze, wo es gewesen, eine Schwarze, so absolut, wie noch keiner sie gesehen.
Es wurde von einem Ende der Sechseck-Welt bis zum anderen berichtet, erzahlt und wiedererzahlt, und die nervose Panik begann.
Brazil ist im Schacht der Seelen. Die Sterne sind erloschen.
Manche starben von eigener Hand, andere verloren den Verstand, aber die meisten schauten nur hinauf und warteten, starrten auf den grauenhaft leeren Himmel, auf das einsame, trostlose Nichts, das sie umgab und sie fast zu zermalmen schien.
In Nord- und Sud-Zone horte das Schacht-Tor auf zu arbeiten. Siegel, die noch keiner gekannt hatte, gelangten automatisch an ihre Platze, schlagartig und ohne Vorwarnung. Viele sa?en im Inneren fest und hatten keine andere Wahl, als abzuwarten. Diejenigen, die sich auskannten, sperrten blitzschnell die Zone-Tore in ihren Sechsecken ab, damit niemand verlorenging, denn durch diese Tore gelangte man nicht nach Zone, nicht, solange der Schacht mit seinen Toren geschlossen war. Sie wurden umgelenkt, das Tor im Schacht umgestulpt. Jeder, der jetzt durch ein Zone-Tor ging, wurde die Sechseck-Welt nie wiedersehen.
Aber in den verschiedenen Sechsecken in Nord und Sud wu?ten die Leute, vor allem die Machthaber, da? sie eine Frist gesetzt bekommen hatten, da? sie ungefahr die Halfte ihrer Bevolkerung fur das Tor aufbieten mu?ten, und da? die Tore, wenn sie das nicht taten, sich in Bewegung setzen und es selbst ubernehmen wurden, ohne Uberlegung. Die Nachricht ging automatisch an alle Wesen der Sechseck-Welt, die Nachricht, die sie bis zu diesem Tag fur einen bedeutungslosen, mythischen oder veralteten Ausdruck gehalten hatten, die nun aber von allen begriffen wurde.
Es war Mitternacht im Schacht der Seelen.
Der Schacht
»Es wundert mich, da? es hier noch Luft und Licht gibt«, meinte Mavra.
»Was hast du gedacht — da? man das in ein Vakuum hineingebaut hat?« gab er zuruck. »Um den Schacht zu errichten, brauchte man Licht und Warme und Luft. Das gehort mit zum Rest des Planeten. Aber der Computer ist jetzt eindeutig abgeschaltet, und die Schacht-Tore sind es auch. Niemand geht hinein oder hinaus. Die Zone- Tore bringen dich jetzt direkt zum Schacht-Tor, ohne Ruckkehr.«
»Was glaubst du, wie viele Leute wir da festhalten?«
Er lachte.
»Die meisten sind Olympierinnen, wurde ich sagen, die wissen, was vorgeht, und vielleicht ein paar Wachter, Aufseher, Streifen. Moglicherweise sogar der eine oder andere Botschafter, was? Im Augenblick werden sie die Hosen voll haben.«
»Wird es da nicht sehr eng werden, wenn die anderen durch die Zone-Tore gehen?« fragte sie. »Ich meine, die Schacht-Tore sind ja gro?, aber die enormen Massen, die kommen, konnen sie nicht aufnehmen.«
»Das brauchen sie nicht«, versicherte er. »Sie werden unterbrochen sein, werden wie bei den Milliarden, die wir vorhin entfuhrt haben, warten, bis Durchla? ist. Es ist sehr verwirrend, das gebe ich zu, aber das System war ja darauf eingerichtet, jeweils eine Welt zu bevolkern. Es war nie vorgesehen, da? das geschieht, was wir jetzt machen. Deshalb bekommen wir in erster Linie die Bevolkerung, die wir wollen, auf die Welt, die wir vorgesehen haben, aber es rutschen auch andere mit durch. So ist die Halfte der mythologischen Wesen der Alten Erde hingelangt. Keine Sorge. Sie sind nicht fur diese Welten gedacht und werden auf die eine oder andere Weise beseitigt — die meisten jedenfalls. Gewi?heit hat man da nie. Wir haben ganz sicher viel Arbeit vor uns. Alles mit der Ruhe, damit wir es so gut wie moglich machen.«
Sie blickte auf die Steuerkonsolen, die Me?gerate, sah sich in den riesigen Kammern mit den zahllosen Relais aus schwarzen Punkten um. Da war keine Energie, kein Strom. Alles verschwunden, bis auf das System der Sechseck-Welt, das seinen Bestand erhielt, indem es die Energie aus einem Schwarzen Loch in einem anderen Universum bezog, einem ganz winzigen Schwarzen Loch, stellte sie fest.
Sie machte sich oft Gedanken uber das andere Universum. Besa? es Lebensformen, die sich auf naturliche Weise entwickelt hatten? Besa? es seine eigenen Markovier und eine Entsprechung zum Schacht der Seelen? Man konnte es nicht wissen, dachte sie. Niemals wurde man das wissen. Jeder, der hier in ein Schwarzes Loch fiel — sobald es wieder Schwarze Locher gab —, wurde dort naturlich herauskommen, aber kaum in der notigen korperlichen Verfassung sein, um zu sehen, was dort vorging.
Es war eigentlich bedauerlich, aber erfahren wurde man es nie. Bei all der neuen Macht und den Erkenntnissen blieben die beiden einzigen Geheimnisse fur sie Parallel-Welten und Nathan Brazil. Aber es sollte auch weiterhin Geheimnisse geben, dachte sie.
»Wie lange wird es dauern, bis alles abgeschlossen ist?« fragte sie.
»Sechs Tage. Sechseck-Welt-Zeit, versteht sich, die einzige Zeit, die wir jetzt noch haben.«
Sie dachte an das, was sich vorher zugetragen hatte.
»Ortega… Zigeuner… Marquoz… ob noch einer von ihnen am Leben ist?«
»Wir werden es nie wissen«, sagte er. »Wie dir die Erfahrung der letzten Monate verraten sollte, ist es nicht gut, sich auf der Sechseck-Welt aufzuhalten und bekannt zu sein. Man mu? sie ein paar hunderttausend Jahrchen in Ruhe lassen, damit sie vergessen, wer und was du bist, was sie sind und so weiter. Dann kennen sie dich nicht, wenn du wieder auftauchst. Nein, du begibst dich hinaus in das neue Universum, la?t dich nieder und machst es dir schon — bis sie dich wieder brauchen. Und nach einer Weile vergi?t du selbst. Das markovische Gehirn erinnert sich an alles, aber das geschieht nur hier im Schacht. Anderswo besitzt du die Fahigkeit dazu nicht, es sei denn, das entwickelt sich oder wird eingebaut. Eigentlich eine Gnade, wie du sehen wirst.«
Sie dachte nach.
»Wir sind zu zweit, wei?t du. Wir konnten diesmal Markovier bleiben.«
»Das hilft nichts«, sagte er. »Weder uns noch irgend jemand anderem. Ein Gott langweilt und entfremdet sich noch mehr als ein menschliches Wesen. Und wir konnten uns nicht fortpflanzen, so da? es nur uns zwei gabe. Wir wurden eine Art monstroses Gotterspiel treiben oder auf einer markovischen Welt leben, uns neue Spielchen fur unsere Gehirne ausdenken und verruckt werden. Wenn du wirklich willst, gut, aber der andere Weg ist viel interessanter. Du hast jedoch die Wahl. Du kannst dich loschen, dich in jeden Korper auf jeder Welt, die dir beliebt, verfugen, entweder als markovischer Prototyp oder, indem du durch das Schacht-Tor gehst, als einer von diesen Sterblichen. Ich bleibe bei unseren Leuten. Die haben noch so viele ungenutzte
»Diejenigen, die wir von hier aus hinausschicken, werden in erster Linie unsere Leute sein, Freiwillige oder Olympierinnen, die wissen, worauf sie sich einlassen. Aber die anderen, die wir von diesen Welten entfuhrt haben, kurz bevor abgeschaltet wurde, die jetzt im Schwebezustand sind, sie werden plotzlich auf einer primitiven fremden Welt erwachen, die kalt und geheimnisvoll ist, sie werden nackt und ohne Werkzeuge und Waffen sein.«
»Sie werden es schaffen«, versicherte er. »Jedenfalls die meisten. Sie haben es schon einmal geschafft und werden es wieder schaffen. Die Rassen, die von den Markoviern gezuchtet wurden, halten allerhand aus. Nach all der Zeit stelle ich fest, da? ich sie immer noch mag, jedenfalls die meisten.«
»Sogar die Dahbi?«
»Gunit Sangh war die reine dunkle Seite, die in uns allen lebt«, sagte er. »Aber er war nicht
»Ja«, sagte sie ernst. »Ich begreife aber immer noch nicht, wie das in sechs Tagen geschehen kann. Ich gebe zu, ich habe nicht studiert, aber ich wei? doch wenigstens, da? es Milliarden Jahre dauert, um das zu leisten, was wir tun.«
»Milliarden Jahre fur