Verhör.«

»Haben Sie keine Angst, dass die Inquisition noch einmal über alles nachdenkt und Ihnen auf die Schliche kommt?«, fragte ich.

»Nein. In drei Stunden wird Viteszlav ein Dokument unterschreiben, mit dem diese Untersuchung zu den Akten gelegt wird. Sie werden sich den Fall nicht wieder vornehmen. Sie haben sich sowieso schon bis auf die Knochen blamiert.«

»Viel Glück bei der Remoralisierung von Timur«, wünschte ich ihm. Dann ging ich zur Tür.

»Du hast noch eine Woche Urlaub, verbring ihn mit deiner Familie!«, rief Geser mir hinterher.

Erst wollte ich ihm stolz antworten, dass ich auf seine Almosen verzichten könnte.

Gerade noch rechtzeitig besann ich mich jedoch. Welcher Teufel ritt mich jetzt bloß?

»Zwei Wochen«, entgegnete ich. »Allein schon Überstunden habe ich genug, um mir einen ganzen Monat freizunehmen.«Geser hüllte sich in Schweigen.

Epilog

Ich beschloss, den BMW erst nach dem Urlaub zurückzugeben. Schließlich…

Auf der neu angelegten Schnellstraße - früher gab es hier nur Schlaglöcher, verbunden durch einzelne Abschnitte einer Chaussee, jetzt handelte es sich um eine Chaussee, deren einzelne Abschnitte mitunter durch ein Schlagloch unterbrochen wurden - fuhr der Wagen ruhig mit 120 Stundenkilometern dahin. Nicht schlecht, ein Anderer zu sein.

Ich wusste, dass ich in keinen Stau geraten würde. Ich wusste, dass mir kein Kipplaster mit besoffenem Fahrer entgegenkommen würde. Wenn das Benzin ausging, konnte ich Wasser in den Tank füllen und es in Brennstoff verwandeln.

Wer würde seinem Kind nicht ein solches Schicksal wünschen? Hatte ich wirklich das Recht, Geser und Olga zu verurteilen?

Die Stereoanlage des Autos war neu und verfügte über ein MD-Laufwerk. Erst wollte ich die Kampfprothesen einlegen, dann merkte ich aber, dass mir der Sinn nach etwas Lyrischerem stand. Deshalb legte ich Belaja gwardija ein.

Ich weiß nicht, hast du eine Frau, Und weiß nicht, wie's dir geht; Ein Engel hat mit Fäden blau Den Himmel zugenäht. Vergessen der Verlust, ich geb Dem Bösen seine Ruh, Doch immer, wenn ich ausgeh, streb Ich deiner Wärme zu.

Mein Handy klingelte. Sofort drosselte die kluge Anlage den Ton.

»Sweta?«, fragte ich.

»Ich konnte dich nicht erreichen, Anton.«

Swetlanas Stimme klang ruhig, also war alles in Ordnung.

Nur das zählte.

»Ich konnte dich auch nicht erreichen«, meinte ich.

»Das muss an atmosphärischen Fluktuationen liegen«, amüsierte sich Swetlana. »Was ist vor einer halben Stunde passiert? »

»Nichts Besonderes. Ich habe mit Geser gesprochen. »

»Ist alles in Ordnung? »

»Ja.«

»Ich hatte eine Vorahnung. Dass du dich an einer Grenze bewegst.«

Ich nickte und sah auf die Straße. Klug ist sie, meine Frau, Geser. Auf ihre Vorahnungen kann ich mich verlassen. »Ist jetzt alles in Ordnung?«, hakte ich nach. »Jetzt ja.«

»Sweta…«, fragte ich, während ich das Steuer nur mit einer Hand hielt. »Was würdest du tun, wenn du nicht sicher wärst, ob du dich richtig verhalten hast? Wenn dich die Frage quält, ob du Recht hast oder nicht?«

»Zu den Dunklen gehen«, antwortete Swetlana wie aus der Pistole geschossen. »Die quälen sich nie. »

»Ist das alles, was du mir dazu sagen kannst?«

»Ja, das ist die einzige Antwort, die ich dir geben kann. Das ist der einzige Unterschied zwischen den Lichten und den Dunklen. Man kann ihn Gewissen nennen, man kann ihn moralischen Instinkt nennen. Der Kern ist der gleiche.«

»Ich habe den Eindruck«, gestand ich bedrückt, »als gehe die Zeit der Ordnung zu Ende. Verstehst du, was ich meine? Als begänne… ich weiß nicht, was. Keine dunkle Zeit, keine lichte… und auch nicht die Stunde der Inquisitoren…«

»Das ist die Niemandszeit, Anton«, sagte Swetlana. »Das ist lediglich die Niemandszeit. Du hast Recht, das etwas auf uns zukommt. Dass auf der Welt etwas passiert. Aber noch nicht jetzt.«

»Sprich mit mir, Sweta«, bat ich. »Ich muss noch eine halbe Stunde fahren. Sprich diese halbe Stunde mit mir, ja?«

»Meine Handykarte ist fast alle«, erwiderte Swetlana mit zweifelnder Stimme.

»Ich ruf dich jetzt zurück«, schlug ich vor. »Noch bin ich im Dienst, mein Handy ist von der Firma. Soll doch Geser ruhig dafür zahlen.«

»Und dein Gewissen meldet sich da nicht?«, lachte Swetlana. »Heute ist es gut trainiert.«

»Gut, du brauchst aber trotzdem nicht zurückzurufen, ich verzaubere mein Handy«, meinte Swetlana. Im Spaß oder im Ernst. Nicht immer verstand ich, wann sie einen Scherz machte.

»Dann erzähl mal«, forderte ich sie auf. »Wie es sein wird, wenn ich komme. Was Nadjuschka sagt. Was du sagst. Was deine Mutter sagt. Was wir machen.«

»Alles wird sehr schön werden«, fing Swetlana an. »Ich werde mich freuen, und Nadja auch. Und meine Mutter wird sich freuen…«

Ich fuhr Auto, während ich unter Verletzung all der strengen Vorschriften der Verkehrspolizei das Handy mit einer Hand ans Ohr presste. Auf der Gegenfahrbahn sausten in einem fort Laster an mir vorbei.

Ich lauschte dem, was Swetlana mir erzählte. Aus den Lautsprechern erklang immer noch die leise Frauenstimme:

Kommst du zurück, wird alles anders sein, Wir müssten uns erkennen. Kommst du zurück, kannst du mich nicht mehr Frau, Nicht einmal Freundin nennen. Kommst du zurück zu mir, Die dich so sehr geliebt vor allen, Kommst du zurück, du siehst: Die Würfel sind schon längst gefallen.
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