Doch handelte es sich - um auf Herrn Miguel und seine beiden Collegen zuruckzukommen - jetzt nicht darum, uber den Gebirgsstock der Roraima bis in jene entlegenen Landestheile vorzudringen. Lage das freilich im Interesse der geographischen Wissenschaft, so schreckten sie gewi? nicht davor zuruck, den Orinoco, ebenso wie den Atabapo und den Guaviare bis an ihre Quellen zu verfolgen. Ihre Freunde erwarteten ubrigens, und nicht unberechtigter Weise, da? die Frage, wegen des Ursprungs an der Vereinigung der drei

Wasserlaufe ihre Losung finden werde. Allgemein nahm man an, da? das zu Gunsten des Orinoco geschehen werde, der sich nach der Aufnahme von dreihundert Nebenflussen und nach einem Laufe von zweitausendfunfhundert Kilometern durch funfzig Arme in den Atlantischen Ocean ergie?t.

Zweites Capitel

Der Sergeant Martial und seine Neffe

Die Abfahrt des Geographentrios - eines Trios, dessen Instrumente jedenfalls nie in gleiche Stimmung kommen wurden - war auf den 12. August, mitten in der Regenzeit, angesetzt.

Am Vorabend dieses Tages gegen acht Uhr plauderten zwei im Hotel von Ciudad-Bolivar abgestiegene Reisende in dem Zimmer eines derselben. Ein leichter erfrischender Luftzug strich durch das Fenster herein, das nach der Alameda-Promenade zu lag.

Eben hatte sich der jungere der beiden Fremdlinge aufgerichtet und sagte zu dem andern in franzosischer Sprache:

»Sei achtsam, mein guter Martial, und ehe ich mich zur Ruhe lege, erinnre ich Dich noch einmal an alles, was vor der Abreise zwischen uns vereinbart worden ist.

- Wie Sie wunschen, Jean.

- Sapperment, rief Jean, da fallst Du ja gleich bei den ersten Worten aus der Rolle!

- Aus meiner Rolle.?

- Gewi?. Du duzest mich ja nicht.

- Richtig!. Das vermaledeite Duzen!. Ich bitte Sie. nein, ich bitte Dich. der Mangel an Gewohnheit.

- Der Mangel an Gewohnheit, mein armer Sergeant!. Das meinst Du wirklich?. Seit einem Monat haben wir Frankreich verlassen und Du hast mich doch auf der ganzen Ueberfahrt von Saint-Nazaire bis Caracas Du genannt.

- Das ist freilich wahr! antwortete der Sergeant Martial.

- Und jetzt, wo wir in Bolivar angekommen sind, das hei?t, an dem Punkte, wo unsre Reise anfangt, die uns so viel Freude - vielleicht so gro?e Enttauschungen, so viele Schmerzen bereiten wird.«

Jean hatte diese Worte in tiefer Erregung ausgesprochen. Seine Brust hob sich, seine Augen wurden feucht. Dennoch bemeisterte er sich, als er das Gefuhl von Unruhe sah, das die harten Zuge des Sergeanten Martial widerspiegelten.

Da schlug er lachelnd einen freundlicheren Ton an.

»Jawohl; jetzt, da wir in Bolivar sind, vergi?t Du, da? Du mein Onkel bist und ich Dein Neffe bin.

- Ich alter Dummkopf! rief der Sergeant Martial, der sich einen tuchtigen Klaps an die Stirne gab.

- Nein. doch Du beunruhigst Dich, und statt da? Du mich behutetest, scheint es fast nothig. Sage mir, lieber Martial, pflegt nicht gewohnlich der Onkel den Neffen zu duzen?

- Allerdings wohl immer.

- Und hab' ich Dich nicht seit unsrer Einschiffung daran gewohnt, indem ich stets Du zu Dir sagte?

- Ja. und doch. damit angefangen hast Du nicht so von. von.

- Kleinauf! unterbrach ihn Jean, das Wort besonders betonend.

- Freilich. nicht von kleinauf! wiederholte der Sergeant Martial, dessen Blick, als er sich auf den angeblichen Neffen richtete, einen ganz sanften Ausdruck bekam.

- Und vergi? auch nicht, setzte der junge Mann hinzu, da? »klein« auf Spanisch pequeno hei?t.

- Pequeno, wiederholte der Sergeant Martial. Ein hubsches Wort. Ich kenne es und auch noch gegen funfzig andre. kaum mehr, soviel ich mir auch Muhe gegeben habe!

- O, der Dickschadel! rief Jean. Hab' ich Dir wahrend der Ueberfahrt auf dem »Pereire« nicht Tag fur Tag Deine spanische Aufgabe uberhort?

- Zugegeben, Jean! Es ist aber schrecklich fur einen alten Soldaten in meinen Jahren, der sein Lebtag nur franzosisch gesprochen hat, noch dieses Charabia der Andalusier lernen zu sollen. Wahrhaftig, es fallt mir schwer, mich zu hispanisieren, wie jener Andre sagt.

- Das wird sich schon noch finden, lieber Martial.

- Na ja, fur die funfzig Worter, wovon ich sprach, hat sich's ja schon gefunden. Ich kann zu essen verlangen: »Deme usted algo de comer; zu trinken: Deme usted de beber«; um ein Bett ersuchen: »Deme usted una cama«; nach dem Wagen fragen: »Enseneme usted el camino«; wie viel kostet das?: »Cuanto vale esto« Ich kann auch Danke schon! »Gracias« und Guten Tag!: »Buenos dias« sagen, ebenso wie Guten Abend!: »Buenos noches«, und wie befinden Sie sich?: »Como esta usted?« Daneben versteh ich zu wettern und zu schimpfen wie ein Aragonier oder ein Castilianer: Carambi de carambo de caramba.

- Genug, genug! unterbrach ihn Jean, ein wenig errothend. Diese Schimpfreden hab ich Dir nicht gelehrt, und Du wirst gut thun, sie nicht bei jeder ersten besten Gelegenheit anzuwenden.

- Was denkst Du, Jean?. Die Gewohnheiten eines alten Unterofficiers! Mein Leben lang hab' ich mit lauter Tolpeln und mit manchem Donnerwetter nur so herumgeworfen, und wenn man seine Rede nicht mit ein paar solchen Kraftausdrucken wurzt, kommt sie mir immer recht schal vor. Was mir am meisten gefallt an diesem spanischen Kauderwalsch, das Du wie eine Senora sprichst.

- Nun, das ware, Martial.?

- Ja, wohl zu verstehen, da? dieses Kauderwalsch solche Kraftausdrucke in schwerer Menge. fast mehr als andre Worter hat.

- Und die hast Du Dir naturlich am leichtesten gemerkt.

- Das gesteh' ich, Jean; der Oberst von Kermor war es aber, als ich unter ihm diente, nicht gewesen, der mir wegen meiner Bombendonnerwetter Vorwurfe gemacht hatte!«

Bei Erwahnung des Namens von Kermor veranderte sich der Gesichtsausdruck des jungen Mannes und eine Thrane benetzte die Lider des Sergeanten Martial.

»Siehst Du, Jean,« nahm der Soldat wieder das Wort, »wenn Gott jetzt zu mir sprache: »»Sergeant, in einer Stunde wirst Du Deinem Oberst die Hand drucken, in zwei Stunden werd' ich aber meinen Blitzstrahl auf Dich herabschleudern!««, dann antwortete ich gewi?: »Herr. mach' Deinen Blitzstrahl fertig und ziele mir aufs Herz!«

Jean trat an den alten Vertrauten heran, trocknete ihm die Thranen ab und betrachtete zartlich die gute Seele, diese rauhe und offenherzige jeder Aufopferung fahige Natur. Und als Martial ihn an sich zog und in seine Arme pre?te, sagte der Jungling schmeichelnd: »O, so sehr sollst Du mich nicht lieben, bester Sergeant!«

»Ware mir das moglich?.

- Moglich. und nothwendig. wenigstens vor den Leuten, wenn man uns beobachtet.

- Wenn uns aber niemand sieht.

- Dann steht es Dir frei, Deiner Zartlichkeit - doch mit einiger Vorsicht - Ausdruck zu geben.

- Das wird schwierig werden!

- Schwierig ist gar nichts, was man nicht umgehen kann. Vergi? nie, was ich bin, ein Neffe, der einer strengen Behandlung seitens seines Onkels bedarf.

- Du lieber Gott! Streng!. seufzte der Sergeant Martial, wahrend er die gro?en Hande zum Himmel erhob.

- Gewi?! Ein Neffe, den Du nur hast auf die Reise mitnehmen mussen, weil es unangezeigt war, ihn allein zu Hause zu lassen, wo er Dummheiten begehen konnte.

- Dummheiten!.

- Einen Neffen, aus dem Du nach Deinem Vorbilde einen Soldaten machen mochtest.

- Einen Soldaten!.

- Naturlich. einen Soldaten, der in harter Schule erzogen werden mu? und dem man keine Vorwurfe und

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