Zurechtweisungen ersparen darf, wenn er sie verdient.

- Und wenn er keine verdient?.

- Das wird sich schon zeigen, erklarte Jean lachelnd, denn er ist ein schlechter Rekrut.

- Ein schlechter Rekrut!. Ich dachte doch.

- Und wenn Du ihm vor den Leuten den Kopf zurechtgesetzt hast.

- Werd' ich ihn unter vier Augen um Entschuldigung bitten! rief Martial.

- Ganz nach Belieben, alter Freund, vorausgesetzt, da? uns niemand sieht!«

Der Sergeant Martial umarmte seinen Neffen, nachdem er vorausgeschickt hatte, da? sie hier in dem verschlossenen Hotelzimmer wohl Keiner beobachten konne.

»Und jetzt, lieber Freund, sagte Jean darauf, ist die Zeit gekommen, der Ruhe zu pflegen. Geh' in Dein Zimmer hier nebenan, ich werde mich in dem meinigen einschlie?en.

- Wunschest Du, da? ich die Nacht uber vor Deiner Thur wache? fragte der Sergeant Martial.

- Das ist unnothig. Hier droht keinerlei Gefahr.

- Gewi? nicht; und doch.

- Wenn Du von Anfang an meinen Schutzengel in dieser Weise spielst, wirst Du Deine Rolle als gestrenger Onkel herzlich schlecht spielen.

- Als gestrenger Onkel?. Konnt' ich gegen Dich jemals streng auftreten?

- Es mu? aber sein. um jeden Verdacht abzuwenden.

- Nun, Jean, warum hast Du mit aller Gewalt hierher gewollt?.

- Weil ich mu?te!

- Warum bist Du nicht da unten in unserm Hause geblieben. in Chantenay oder in Nantes?

- Weil es meine Pflicht war, abzureisen!

- Hatte ich diese Reise nicht allein unternehmen konnen?

- Nein!

- Gefahren?. Es ist mein Beruf, Gefahren zu trotzen. Ich hab' in meinem Leben nichts andres gethan! - Obendrein bedeuten sie fur mich nicht so viel, wie fur Dich.

- Ich habe doch darauf bestanden, Dein Neffe zu werden, lieber Onkel!

- Ja, doch wenn mein Oberst darum hatte befragt werden konnen! rief der Sergeant Martial.

- Und wie denn? entgegnete Jean, dessen Stirn sich furchte.

- Freilich, das war ja unmoglich! Erhalten wir aber in San-Fernando zuverlassige Auskunft und ist es uns jemals vergonnt, ihn wieder zu sehen, was wird er dann sagen?

- Er wird es seinem alten Sergeanten Dank wissen, da? dieser meinen Bitten nachgegeben, da? er zugestimmt hat, mich diese Reise unternehmen zu lassen. Er wird Dich in die Arme drucken und erklaren, da? Du ebenso Deine Pflicht gethan hast, wie ich die meine!

- Ich sehe schon, rief der Sergeant Martial, Du machst mit mir eben, was Du willst!

- Das ist ganz in der Ordnung, da Du mein Onkel bist und der Onkel stets dem Neffen gehorchen mu?. naturlich nicht vor den Leuten!

- Nein. nicht vor andern Leuten! So lautet die Ordre.

- Und nun, mein lieber Martial, geh' schlafen und schlafe recht gut. Morgen fruh mussen wir uns beizeiten auf dem Orinoco-Dampfer einschiffen and durfen seine Abfahrt nicht verfehlen.

- Gute Nacht, Jean!

- Gute Nacht, mein Freund, mein einziger Freund!. Morgen, und Gott leihe uns seinen Schutz!«

Der Sergeant Martial ging nach der Thur, offnete sie und druckte sie sorgsam wieder zu, dann aber lauschte er, bis Jean den Schlussel umdrehte und den Riegel an der Innenseite vorschob. Einige Augenblicke stand er still und hatte das Ohr an die Thurfullung gelegt. So horte er, da? Jean, ehe er sich zu Bette begab, sein gewohntes Abendgebet sprach. Erst nach erlangter Gewi?heit, da? der junge Mann sich niedergelegt hatte, begab er sich nach seinem Zimmer, und sein einziges Gebet, wahrend er sich mit der Faust an den Kopf hammerte, lautete:

»Ja. da? der Herr des Himmels uns beschutze, denn was wir vorhaben, ist ja grade schwer genug!«

Wer sind nun diese beiden Franzosen? Woher kommen sie? Welcher Beweggrund fuhrte sie nach Venezuela? Warum sind sie ubereingekommen, hier als Onkel und Neffe aufzutreten? Zu welchem Zwecke wollen sie sich an Bord eines der Orinoco-Dampfer einschiffen und wie weit wollen sie den gro?en Strom hinausgehen?

Auf alle diese Fragen ist es vorlaufig unmoglich, eine erschopfende Antwort zu geben. Das wird die Zukunft thun, und in der That wird es auch nur die Zukunft zu thun im Stande sein.

Aus dem im Vorhergehenden wiedergegebenen Zwiegesprach la?t sich inde? etwa das Folgende ableiten:

Es waren zwei Franzosen, zwei Bretagner aus Nantes. Wenn uber ihre Herkunft kein Zweifel herrscht, so ist das dafur desto mehr der Fall bezuglich der Bande, die sie verknupfen, und nicht leicht zu sagen, welch gegenseitige Stellung sie einnehmen. Unbekannt ist ja auch jener Oberst von Kermor, dessen Namen zwischen ihnen so haufig erwahnt wurde und sie so tief zu erregen schien.

Jedenfalls mochte der junge Mann nicht alter als sechzehn bis siebzehn Jahre sein. Er war mittelgro? und fur sein Alter offenbar recht kraftig entwickelt. Sein Gesicht erschien etwas ernst, selbst traurig, wenn er sich seinen gewohnten Gedanken hingab; seine Zuge machten aber einen bestechenden Eindruck mit dem sanften Blick der Augen, dem lachelnden Munde mit perlwei?en Zahnen, und mit der warmen Rothe seiner Wangen, die durch die viele freie Luft bei der Ueberfahrt hierher jetzt etwas gebraunt waren.

Der andre der beiden Franzosen - er mochte an der Grenze der Funfziger stehen - entsprach vollig dem Typus des Sergeanten, des ehemaligen Soldateneindrillers, der so lange gedient hatte, wie seine Jahre ihm zu dienen erlaubten. Seinen Abschied als Unterofficier nehmend, hatte er unter dem Befehle des Obersten von Kermor gestanden, der ihm in einer Schlacht des blutigen Krieges von 1870/71 mit eigner Gefahr das Leben gerettet hatte. Er war einer der wackern Alten, die, wenn sie auch gelegentlich brummen, im Hause ihres fruhern Vorgesetzten bleiben, zum Factotum der Familie werden, die Kinder derselben erziehen sehen, wenn sie sie nicht selbst erziehen und, was man auch sagen moge, verwohnen, und die ihnen zuerst das Reiten lehren, indem sie die Kleinen auf den Knien schaukeln, und den ersten Gesangunterricht ertheilen, indem sie ihnen die Signale des Regiments beibringen.

Trotz seiner funfzig Jahre ist der Sergeant Martial noch stramm und kraftig. Abgehartet und unempfindlich durch seinen Beruf als Soldat, auf den weder Hitze noch Kalte merkbaren Einflu? haben, wurde er am Senegal nicht sieden und in Ru?land nicht erfrieren. Seine Constitution ist fest, sein Muth jeder Probe gewachsen. Er furchtet sich vor nichts und niemand, hochstens vor sich selbst, denn er mi?traut allem, was er aus eigner Anregung unternimmt. Gro? von Gestalt, dabei ziemlich hager, haben seine Glieder nichts von ihrer fruheren Kraft eingebu?t, und auch in seinem jetzigen Alter hat er sich die ganze militarische Strammheit bewahrt. Er mag ein Brummbar, ein alter Schnauzbart sein, doch im ubrigen, welch gutmuthige Natur, welch vortreffliches Herz, und was wurde er nicht alles fur die thun, die er liebt! Es scheint jedoch, da? diese sich in unsrer niedern Welt auf zwei Personlichkeiten beschranken, auf den Oberst von Kermor und auf Jean, dessen Onkel zu spielen er zugestimmt hat.

Mit welch' angstlicher Sorgfalt behutet er den jungen Mann! Wie sorgt er fur ihn, obgleich er sich entschlossen hat, sich seiner Ansicht nach sehr streng zu erweisen! Man hatte ihn freilich nicht fragen durfen, was diese Strenge fur Zweck habe und warum er uberhaupt diese ihm so widerstrebende Rolle spiele. Da hatte man zornige Blicke zu sehen und recht abschreckend lautende Antworten zu horen bekommen. Ja, er hatte jeden Frager mit Grazie dahin verwunscht, wo der Pfeffer wachst.

Daran hatte es auch wahrend der Fahrt von der Alten nach der Neuen Welt uber den Atlantischen Ocean keineswegs gefehlt. Wie waren da die Passagiere des »Pereire«, die sich Jean hatten nahern, mit ihm gelegentlich plaudern oder ihm kleine, an Bord so alltagliche Dienste erweisen wollen, da sie sich fur den jungen Mann zu interessieren schienen, der von seinem querkopfigen und wenig umganglichen Onkel so hart behandelt wurde - wie waren sie zuruckgescheucht worden mit dem ernstlichen Rathe, so etwas nicht noch einmal zu versuchen!

Wenn der Neffe ein reichlich weites Reisecostum mit flatternder Jacke und Hofe trug, die kurz geschnittenen Haare mit einem wei?en Tropenhelm bedeckte und starksohlige Stiefeln an den Fu?en hatte, so erschien der Onkel im Gegentheil in einen langen Rock eingezwangt. Ohne grade eine Uniform zu sein, erinnerte

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