er an eine solche doch durch den militarischen Zuschnitt. Es fehlten nur die Schnure und die Achselstucke daran. Unmoglich konnte man den Sergeanten Martial uberzeugen, da? es rathsamer sei, eine dem venezuolanischen Klima mehr angepa?te Kleidung zu wahlen, die er folglich hatte anlegen sollen. Wenn er keine Dienstmutze trug, kam das nur daher, da? Jean ihn genothigt hatte, auch einen Tropenhelm aus wei?em Stoff aufzusetzen, der besser als jede andre Kopfbedeckung gegen die Gluthstrahlen der Sonne schutzt.

Der Sergeant Martial war dem Befehle nachgekommen. Doch, »was kummerte er sich denn um das bischen Sonne!« -er mit seinem Felle von kurzen, starren Haaren und einem Schadel aus Stahl!

Selbstverstandlich enthielten die, wenn auch nicht gar so umfanglichen Reisesacke des Onkels und des Neffen, was Kleidung zum Wechseln, Leibwasche, Toilettenbedurfnisse, Schuhwerk u. dgl. betraf, alles, was eine solche Reise erforderte, da sich solche Dinge unterwegs ja nicht neu beschaffen lie?en. Darunter befanden sich Schlafdecken und auch Waffen und Munition in ausreichender Menge, ein Paar Revolver fur den jungen Mann und ein zweites Paar fur den Sergeanten Martial - ohne ein kurzes Gewehr zu zahlen, von dem letzterer, ein sehr sichrer Schutze, bei Gelegenheit guten Gebrauch zu machen hoffte.

Bei Gelegenheit?. Sind die Gefahren im Gebiete des Orinocobeckens denn gar so gro?, da? man wie im Innern Afrikas jeden Augenblick zur Vertheidigung bereit sein mu?? Streifen wohl so viele Banden rauberischer, blutdurstiger Indianer, die zum Theil noch Menschenfresser sein sollen, an den Ufern und in der Nachbarschaft des Stromes umher?

Ja und nein.

Wie es schon aus dem Gesprache der Herren Miguel, Felipe und Varinas hervorging, bietet der untere Orinoco von Ciudad-Bolivar bis zur Einmundung des Apure keinerlei Gefahr. Sein Mittellauf, zwischen dieser Flu?mundung und San Fernando de Atabapo, erheischt schon einige Vorsicht, besonders wegen der ubel beleumundeten Quivas-Indianer. Der Oberlauf des Stromes aber ist nichts weniger als sicher; die Stamme, die hier hausen, haben noch ihre vollige Wildheit bewahrt.

Wie der Leser wei?, lag es nicht in der Absicht des Herrn Miguel und seiner beiden Collegen, uber den Flecken San-Fernando hinauszugehen. Ob der Sergeant Martial und sein Neffe sich noch weiter hinauswagen wurden, ob unvorhergesehene Zwischenfalle sie vielleicht bis zu den Quellen des Orinoco hinauf fuhren sollten, das konnte niemand wissen und wu?ten sie vorher selbst nicht.

Unzweifelhaft war nur, da? der Oberst von Kermor Frankreich vor vierzehn Jahren verlassen hatte, um sich nach Venezuela zu begeben. Was er daselbst machte, was aus ihm geworden war, infolge welcher Umstande er sich zu einer so ubersturzten Auswanderung entschlossen hatte, da? er nicht einmal seinen alten Waffengefahrten davon unterrichtete - das wird vielleicht der Verlauf dieser Erzahlung lehren. Aus der Unterhaltung des Sergeanten Martial und des jungen Mannes hatte sich in Bezug hierauf nichts Bestimmtes entnehmen lassen.

Was diese Zwei selbst anging, ware etwa Folgendes zu berichten:

Vor drei Wochen hatten sie ihre Wohnung in Chantenay bei Nantes verlassen und sich in Saint-Nazaire auf dem »Pereire«, einem Packetboot der Transatlantischen Gesellschaft eingeschifft, das nach den Antillen bestimmt war. Von da hatte ein andres Schiff sie nach La Guayra, dem Hafen von Caracas, ubergefuhrt und eine kurze Eisenbahnfahrt sie endlich nach der Hauptstadt Venezuelas gebracht.

Ihr Aufenthalt in Caracas wahrte nur eine Woche. Sie verwandten auch gar keine Zeit auf den Besuch der, wenn nicht merkwurdigen, so doch recht hubschen Stadt, in der der Hohenunterschied zwischen dem obern und dem untern Theile uber tausend Meter betragt. Ja sie bestiegen kaum den Calvarienberg mit seiner umfassenden Aussicht auf die ganze Ortschaft mit ihren meist leicht gebauten Hausern - leicht, weil sie so weniger Gefahr bei Erdbeben bieten - wie dem von 1812, bei dem zwolftausend Menschen umkamen. Uebrigens giebt es in Caracas auch recht schone Parkanlagen mit vielen immergrunen Baumen, einige sehenswerthe offentliche Gebaude, wie den Palast des Prasidenten, eine Kathedrale von herrlicher Architektur, und Terrassen, die das prachtige Antillenmeer zu beherrschen scheinen; ubrigens wogt hier das bunte Leben einer gro?en Stadt, denn Caracas zahlt schon uber hunderttausend Einwohner.

Alles das vermochte den Sergeanten Martial und seinen Neffen aber keinen Augenblick von dem abzuziehen, was sie hier vor allem beabsichtigten. Sie benutzten die acht Tage fast ausschlie?lich zur Einziehung von Erkundigungen bezuglich der Reise, die sie vorhatten und die sie vielleicht bis in die fernsten und fast unbekannten Theile der Republik Venezuela fuhren sollte. Was sie hier erfuhren, war freilich nicht viel und meist recht unbestimmt, sie hofften sich aber in San-Fernando ausfuhrlicher und besser unterrichten zu konnen. Von da aus wollte Jean seine Nachsuchungen, soweit wie es irgend nothig erschien, ausdehnen und wenn es sein mu?te, bis nach den gefahrlichen Gebieten des obern Orinoco vordringen.

Wenn der Sergeant Martial dann etwa seine Autoritat geltend machen wollte, wenn er Einspruch erhob, da? Jean sich den Gefahren einer solchen Reise aussetzte, so stie? er allemal -der alte Soldat wu?te das ja gar zu gut - auf einen so zahen Widerstand bei dem jungen Manne - eigentlich Knaben dieses Alters, auf einen so unbeugsamen Willen, da? er schlie?lich nachgab, weil er eben nachgeben mu?te.

Deshalb wollten also die beiden Franzosen, die erst am Abend vorher in Ciudad-Bolivar eingetroffen waren, schon am nachsten Morgen an Bord des Dampfers weiter fahren, der den Dienst auf dem untern Orinoco versieht.

»Gott leihe uns seinen Schutz, hatte Jean gesagt. ja, er beschutze uns bei der Hinreise wie bei der Wiederkehr!«

Drittes Capitel

An Bord des »Simon Bolivar«

»Der Orinoco entstammt dem irdischen Paradiese«, so hei?t es in einem der Berichte des Columbus. Als Jean diese Anschauung des gro?en genuesischen Seefahrers zum erstenmale vor dem Sergeanten Martial aussprach, meinte dieser nur:

»Na, das werden wir ja sehen!«

Vielleicht hatte er nicht unrecht, das Urtheil des beruhmten Entdeckers Amerikas anzuzweifeln.

Ebenso war es wohl richtiger, in den Bereich reiner Legenden die Behauptungen zu verweisen, nach denen der gro?e Strom aus dem Lande El Dorado herkommen sollte, wie es die ersten Erforscher dieser Gegenden - ein Hajeda, Pinzon, Cabral, Magelhaens, Valdivia, Sarmiento und viele Andre zu glauben schienen, die nicht die Gebiete Sudamerikas durchzogen.

Jedenfalls beschreibt der Orinoco in der Republik einen ungeheuern Halbkreis zwischen dem dritten und dem achten Grade nordlicher Breite, dessen Bogenende bis zum siebzigsten Grade westlicher Lange von Paris hinreicht. Die Venezuolaner sind stolz auf ihren Strom, und naturlich standen die Herren Miguel, Felipe und Varinas in dieser Hinsicht ihren Landsleuten in keiner Weise nach.

Vielleicht hatten sie sogar die Absicht, offentlich gegen Elisee Reclus aufzutreten, der im zehnten Band seiner neuen »Allgemeinen Geographie« dem Orinoco nur den neunten

Rang unter den Stromen der Erde zuertheilt, namlich nach dem Amazonenstrome, dem Congo, dem Parana-Uruguay, dem Niger, Yang-tse-Kiang, dem Brahmaputra, dem Mississippi und dem Sanct-Lorenzo. Sie hatten ja nach Diego Ordaz, einem Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts, dagegen anfuhren konnen, da? die Indianer ihn »Paragua«, das hei?t »Das gro?e Wasser«, genannt hatten. Trotz eines so schwerwiegenden Beweismittels unterdruckten sie jedoch ihren Widerspruch, und vielleicht thaten sie gut daran, denn das Werk des franzosischen Geographen stutzt sich auf gar zu verla?liche Quellen.

Am 12. August fruh sechs Uhr war der »Simon Bolivar« -dieser Name wird ja niemand wundernehmen - zur Abfahrt bereit. Der Dampferverkehr zwischen Ciudad-Bolivar und den Ortschaften an dem untern Laufe des Orinoco besteht erst seit einigen Jahren und reicht uber die Mundung des Apure nicht hinaus. Unter Weiterbenutzung dieses Flusses konnen Passagiere und Waaren aber bis nach San-Fernando (de Apure, nicht zu verwechseln mit San-Fernando am Orinoco) hinauf gelangen, Dank der venezuolanischen Gesellschaft, die diesen zweimonatlichen Dienst eingerichtet hat.

An der Mundung des Apure oder vielmehr einige Meilen stromabwarts, bei dem Flecken Caicara, mu?ten die Passagiere, die auf dem Orinoco weiter hinauf wollten, den »Simon Bolivar« verlassen und sich den nothdurftig ausgestatteten Indianerbooten anvertrauen.

Der Dampfer war berechnet zur Fahrt auf diesen Flussen, deren Wasserstand zwischen der trocknen

Вы читаете Der stolze Orinoco
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату