die Hohe und rief: «Ich hab's doch gewusst! Ich habe gewusst, dass sie etwas Ungeheuerliches ausbruten!»

«Das mussen wir verhindern», sagte ich.

Sie wandte sich um und starrte mich an. «Hexen kannst du nicht aufhalten», antwortete sie. «Denk doch nur an die Zauberkraft, die der Hoch- und Gro?meister-Hexe allein in den Augen steckt! Mit diesen wei? gluhenden Funken konnte sie jederzeit jeden von uns vernichten. Du hast es ja selber gesehen!»

«Trotzdem, Gro?mama, wir mussen sie daran hindern, alle Kinder in England in Mause zu verwandeln.»

«Du bist mit deiner Geschichte noch nicht fertig», sagte sie. «Erzahl mir von Bruno. Wie haben sie ihn erwischt?»

Ich berichtete also, wie Bruno Jenkins hereingekommen war und dass ich wahr und wahrhaftig mit meinen eigenen Augen verfolgt hatte, wie er zu einer Maus zusammengeschrumpft war. Meine Gro?mutter betrachtete Bruno, der immer noch in der Bananenschussel sa? und mit vollen Backen schmatzte.

«Hort er denn nie mit dem Essen auf?», erkundigte sie sich.

«Niemals», antwortete ich. «Kannst du mir etwas erklaren?»

«Ich werde mein Bestes versuchen», sagte sie. Sie streckte die Hand aus, nahm mich vom Tisch und setzte mich auf ihren Scho?. Dann begann sie mir ganz sachte das weiche Fell auf meinem Rucken zu streicheln.

Das war ein schones Gefuhl. «Was willst du denn wissen, mein Schatzelchen?», fragte sie.

«Ich kann nicht begreifen», sagte ich, «wieso Bruno und ich immer noch genauso reden und denken konnen wie vorher.»

«Das ist doch ganz einfach», erwiderte meine Gro?mutter. «Sie haben dich ja nur schrumpfen lassen und dir vier Pfoten und ein Fell gegeben, mehr nicht. Offensichtlich sind sie nicht dazu imstande, dich ganz und gar in eine Maus zu verwandeln. Du bist immer noch du selbst, du steckst nur in einer anderen Hulle. Und du verfugst gottlob immer noch uber einen Verstand und deine Gefuhle und deine Stimme.»

«Dann bin ich also in Wirklichkeit gar keine gewohnliche Maus», sagte ich. «Ich bin eine Art Mausemensch.»

«Vollkommen richtig», erwiderte sie. «Du bist ein Mensch im Mausegewand. Du bist etwas ganz Besonderes.»

Wir sa?en fur ein paar Augenblicke in tiefem Schweigen da, wahrend meine Gro?mutter fortfuhr, mich mit einem Finger sanft zu streicheln, wahrend sie die andere Hand fur ihre Zigarre brauchte. Das einzige Gerausch im Raum stammte von Bruno, der weiter zwischen den Bananen in der Schussel herumfuhrwerkte. Ich war jedoch nicht mu?ig, wahrend ich so friedlich auf ihrem Scho? sa?. Meine Gedanken rasten wie verruckt. Mein Gehirnkasten sauste und drohnte, wie er es noch nie in meinem ganzen Leben getan hatte.

«Gro?mama», sagte ich schlie?lich, «es kann sein, dass ich eine Idee habe.»

«Ja, mein Schatzelchen, was ist es denn?»

«Die Hoch- und Gro?meister-Hexe hat ihnen gesagt, dass sie Zimmernummer 454 hat. Stimmt's?»

«Es stimmt», erwiderte sie.

«Na ja, mein Zimmer hat die Nummer 554. Meins, 554, ist im funften Stock. Dann muss also ihrs, 454, im vierten Stock sein.»

«Das ist sicher richtig», antwortete meine Gro?mutter.

«Glaubst du dann nicht auch, dass dieses Zimmer 454 direkt unter Zimmer Nummer 554 liegen musste?»

«Das ist uberaus wahrscheinlich», erwiderte sie. «Diese modernen Hotels sind alle wie aus dem Baukasten angelegt. Aber was hatten wir davon, wenn das stimmte?»

«Wurdest du mich bitte auf meinen Balkon tragen, damit ich runterschauen kann?», bat ich.

Alle Zimmer im Grandhotel hatten eigene kleine Balkonchen. Meine Gro?mutter trug mich also durch mein Schlafzimmer auf meinen Balkon hinaus. Und dann schauten wir beide sofort auf den Balkon unter uns.

«Also, wenn das wirklich ihr Zimmer ist», sagte ich, «dann geh ich jede Wette ein, dass ich irgendwie runterklettern und reinkommen konnte.»

«Nur damit sie dich abermals erwischen», sagte meine Gro?mutter. «Das werd ich nie und nimmer erlauben.»

«In diesem Augenblick», sagte ich, «sitzen alle Hexen unten auf der Sonnenterrasse und trinken Tee mit dem Hoteldirektor. Die Hoch- und Gro?meister-Hexe kommt bestimmt nicht vor sechs oder kurz vor sechs zuruck. Dann wollte sie namlich die Zutaten fur dieses widerwartige Rezept den Alten geben, die nicht mehr auf die Baume klettern konnen, um Grunzer-Eier zu suchen.»

«Und was denkst du dir, wenn du es wirklich schaffen solltest, in ihr Zimmer zu kommen?», fragte meine Gro?mutter. «Was soll dann passieren?»

«Dann wurde ich versuchen, das Versteck zu finden, wo sie ihren Vorrat an Mausemacher aufhebt, und wenn ich es schaffe, dann wurde ich ein Flaschchen stehlen und hierher bringen.»

«Konntest du das schleppen?»

«Ich glaube schon. Es ist ein sehr kleines Flaschchen.»

«Vor dem Zeug graust mir», murmelte meine Gro?mutter. «Was wurdest du damit anfangen, wenn du es schafftest, es hierher zu bringen?»

«Ein Flaschchen reicht fur funfhundert Leute», erklarte ich. «Damit konnte man allen Hexenweibern da unten mindestens eine doppelte Dosis verpassen. Wir konnten sie alle in Mause verwandeln.»

Meine Gro?mutter sprang mindestens funf Zentimeter hoch in die Luft. Wir standen drau?en auf meinem Balkon, und von da ging es eine Million Meter senkrecht in die Tiefe, und als sie ihren Luftsprung machte, fiel ich ihr fast aus der Hand und ubers Gelander.

«Pass doch auf auf mich, Gro?mama!», keuchte ich.

«Was fur eine Idee!», rief sie. «Das ist phantastisch. Das ist ungeheuerlich! Du bist ein Genie, mein Schatzelchen!»

«Das war doch was, nicht wahr?», sagte ich. «Das war doch wirklich was!»

«Auf einen Schlag waren wir alle Hexen in England los», rief sie. «Und die Hoch- und Gro?meister-Hexe war auch dabei!»

«Wir mussen das einfach versuchen», sagte ich.

«Hor mal», sagte sie und lie? mich vor lauter Aufregung fast wieder uber das Gelander fallen. «Wenn wir das zustande brachten, dann wurde es der gro?te Triumph in der ganzen Geschichte der Hexerei sein!»

«Wir haben dazu aber noch ziemlich viel zu tun», bemerkte ich.

«Naturlich haben wir da noch viel zu tun», sagte sie. «Und damit konnen wir gleich anfangen. Nehmen wir nur mal an, du konntest eins von diesen Flaschchen ergattern. Wie wurdest du das in ihr Essen mischen?»

«Das konnen wir uns spater uberlegen», sagte ich. «Lass uns doch erst einmal versuchen, uberhaupt an den Stoff heranzukommen. Wie konnen wir ganz genau rauskriegen, ob das da unter uns wirklich ihr Zimmer ist?»

«Das werden wir sofort uberprufen!», rief meine Gro?mutter. «Komm mit! Wir durfen keinen Augenblick mehr verlieren!» Wahrend sie mich in der einen Hand trug, eilte sie aus dem Schlafzimmer und durch den Korridor, wobei sie bei jedem Schritt mit ihrem Kruckstock auf den Teppich pochte. Wir gingen die Treppe hinunter, ein Stockwerk tiefer bis zur vierten Etage. Rechts und links waren die Zimmerturen, auf die die Nummern in goldenen Zahlen aufgemalt werden.

«Hier ist es!», sagte meine Gro?mutter. «Nummer 454.» Sie ruttelte an der Tur. Naturlich war sie verschlossen. Meine Gro?mutter schaute sich nach rechts und nach links um und musterte den langen leeren Hotelflur abschatzend. «Ich glaube, du hast Recht», sagte sie. «Dieses Zimmer liegt fast genau unter deinem.»

Sie marschierte den Korridor wieder zuruck, wobei sie die Zimmerturen zahlte, die zwischen dem Zimmer der Hoch- und Gro?meister-Hexe und dem Treppenhaus lagen. Es waren sechs. Sie stieg wieder zum funften Stock hinauf und zahlte dort auch die Turen.

«Sie wohnt direkt unter dir!», rief meine Gro?mutter aus. «Ihr Zimmer liegt genau unter deinem!»

Sie trug mich in mein Schlafzimmer und ging abermals auf den Balkon hinaus. «Das da unten ist ihr Balkon», verkundete sie. «Und was noch besser ist: Die Tur von ihrem Balkon ins Schlafzimmer steht sperrangelweit offen! Wie willst du da runterklettern?»

«Keine Ahnung», antwortete ich. Unsere Zimmer lagen an der Vorderseite des Hotels und schauten zum

Вы читаете Hexen hexen
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату