heraus und spring hinterher!« Ich gehorchte gerade noch zur rechten Zeit. Als ich an seiner Seite landete, setzte sich der Zug bereits wieder in Bewegung. »Und nun, Poirot«, sagte ich entrustet, »wirst du vielleicht so freundlich sein und mir sagen, was dies alles zu bedeuten hat.«

»Mir ist ein Licht aufgegangen, mein Freund!«

»Das leuchtet mir auch ein«, sagte ich trocken. »Es sollte dir eigentlich einleuchten«, entgegnete Poirot, »jedoch furchte ich -und zwar sehr -, da? dem doch nicht so ist. Es ware nett von dir, Hastings, wenn du nun zwei meiner Reisetaschen tragen wurdest, den Rest, denke ich, kann ich selbst tragen.«

2

Glucklicherweise hatte der Zug in der Nahe einer Station gehalten, und wir fanden nach kurzer Zeit eine Garage, wo wir einen Wagen mieten konnten. In schneller Fahrt ging es zuruck nach London. Dann erst bequemte sich Poirot dazu, meine Neugier endlich zu befriedigen.

»Ist dir nicht alles klar? Bei mir hat es zwar auch ein Weilchen gedauert, aber jetzt durchschaue ich alles. Hastings, man wollte mich aus dem Wege schaffen!«

»Du meinst, du solltest aus London verschwinden?« fragte ich uberflussigerweise. »Ja, man ist uberaus geschickt zu Werke gegangen. Sowohl der Ort als auch die Methode sind mit voller Absicht und au?erordentlichem Scharfsinn gewahlt worden. Man furchtet mich.«

»Von wem sprichst du?«

»Von jenen vier genialen Verbrechern, die sich zusammenschlossen, um au?erhalb des Gesetzes zu wirken. Ein Chinese, ein Amerikaner, eine Franzosin und - noch ein anderer. Wenn wir blo? London noch rechtzeitig erreichen, Hastings.«

»Meinst du etwa, da? sich unser Besucher in Gefahr befinden konnte?«

»Ich bin dessen ganz sicher.«

Mrs. Pearson begru?te uns, erstaunt uber unsere unerwartete Ruckkehr, und uberschuttete uns mit einem Wortschwall, jedoch Poirot wehrte ab und fragte, ob in unserer Abwesenheit etwas vorgefallen sei. Es hatte sich nichts ereignet, sagte sie; niemand hatte angerufen, und unser Gast hatte noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.

Mit einem Seufzer der Erleichterung eilten wir in unsere Wohnung. Poirot durchquerte sogleich das Wohnzimmer und betrat das Schlafzimmer. Dann rief er plotzlich mit seltsam belegter Stimme. »Hastings, er ist tot!«

Ich sturzte ins Zimmer. Der Mann lag noch genau in derselben Stellung wie wir ihn verlassen hatten, jedoch mu?te der Tod bereit vor einiger Zeit eingetreten sein. Ich eilte zum Telefon, um einen Arzt herbeizurufen, da ich annahm, da? Dr. Ridgeway noch nicht ein zweites Mal gekommen war. Ich erreichte einen anderen Arzt, der sogleich herkam. »Armer Kerl, er ist bereits tot. Sie haben anscheinend die Bekanntschaft eines Landstreichers gemacht, wie?«

»Moglich«, antwortete Poirot ausweichend. »Was war die Todesursache, Doktor?«

»Das ist schwer zu sagen. Es kann verschiedenes zutreffen, aber anscheinend war es ein Starrkrampf. Gasleitungen sind nicht vorhanden?«

»Nein, nur elektrischer Strom - sonst nichts.«

»Und beide Fenster sind weit geoffnet. Ich mochte sagen, er ist bereits seit zwei Stunden tot. Sie werden es wohl selbst ubernehmen, die Angehorigen zu benachrichtigen, nicht wahr?« Damit verabschiedete er sich. Nachdem Poirot einige notwendige Telefongesprache erledigt hatte, rief er zu meiner Uberraschung noch unseren alten Freund Inspektor Japp an und bat ihn, wenn moglich gleich vorbeizukommen. Kaum hatte er eingehangt, als Mrs. Pearson erschien, die Augen weit geoffnet.

»Da drau?en ist ein Mann von der Heilanstalt, wollen Sie ihn empfangen, und soll er heraufkommen?« Wir waren einverstanden, und ein gro?er, stammiger Mann in Uniform betrat das Zimmer.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er freundlich, »ich vermute, da? sich einer meiner Schutzlinge bei Ihnen aufhalt. Gestern abend ist er entwichen.«

»Er ist hier gewesen«, sagte Poirot mit ruhiger Stimme. »Ist er wieder fortgelaufen?« fragte der Aufseher etwas bekummert. »Er ist tot.«

Der Mann zeigte sichtliche Erleichterung bei dieser Erklarung. »Was Sie nicht sagen! Nun, ich meine, das ist wohl das beste fur alle Beteiligten.«

»War er - gefahrlich?«

»Sie meinen wohl gemeingefahrlich? Keineswegs, vollkommen harmlos. Er litt blo? unter Verfolgungswahn. Hat stets von Geheimverbindungen aus China gefaselt, die ihn verfolgen wurden. Wir haben viele von dieser Art.« Ich war erschuttert.

»Wie lange befand er sich schon in Ihrer Obhut?« fragte Poirot.

»Es sind jetzt zwei Jahre.«

»Soso«, bemerkte Poirot ruhig, »es ist wahrend dieser ganzen Zeit wohl niemandem eingefallen, da? er vielleicht doch im Vollbesitz seiner geistigen Krafte gewesen ist?« Der Aufseher lachelte amusiert.

»Warum sollte er denn in einer Heilanstalt gewesen sein, wenn er tatsachlich bei Sinnen gewesen ware? Wissen Sie, sie behaupten alle, da? sie vollig normal sind.« Poirot enthielt sich weiterer Au?erungen und nahm den Mann mit in das Schlafzimmer, wo die Leiche lag. Er identifizierte sie sofort.

»Das ist er, kein Zweifel«, sagte er gefuhllos. »Komischer Kerl, nicht wahr? Nun, meine Herren, am besten gehe ich gleich, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Wir wollen Sie nicht langer als notwendig mit der Leiche belastigen. Ich mochte Sie nur noch darauf aufmerksam machen, da? Sie im Falle einer Leichenschau zu erscheinen haben. Guten Morgen, meine Herren.«

Mit einer ziemlich linkischen Verbeugung und schlenkernden Schrittes verlie? er den Raum.

Einige Minuten spater traf Japp ein. Der Inspektor von Scotland Yard war, wie immer, sehr lebhaft und unternehmungslustig. »Da bin ich, Monsieur Poirot. Was kann ich fur Sie tun? Ich vermutete Sie bereits auf dem Wege zu den Korallenriffen oder sonstwohin.«

»Guter Freund, ich wollte wissen, ob Sie diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen haben.«

Er fuhrte Japp in das anliegende Schlafzimmer. Der Inspektor sah mit verwundertem Gesicht auf den Toten. »Lassen Sie mich einmal nachdenken - kommt mir irgendwie bekannt vor -, kann mich doch meistens auf mein Gedachtnis verlassen. Ja, selbstverstandlich, alle guten Geister, es ist Mayerling!«

»Und wer ist - oder vielmehr, wer war Mayerling?«

»Mitglied eines Geheimdienstes - keiner von unseren Leuten. Ging vor funf Jahren nach Ru?land. Horte nie mehr etwas von ihm. Dachte stets, die Bolschewiken hatten ihn eingesperrt.«

»Es pa?t alles zusammen«, bemerkte Poirot, als Japp uns verlassen hatte, »nur ein Haken ist dabei, namlich der, da? er eines naturlichen Todes gestorben zu sein scheint.« Er stand da und sah finsteren Blickes auf die reglose Gestalt hinunter. Ein Windsto? blahte die Vorhange, und plotzlich blickte er aufmerksam auf.

»Ich nehme an, da? du die Fenster offnetest, als du ihn auf das Bett niederlegtest, Hastings?«

»Nein«, antwortete ich, »soweit ich mich erinnern kann, waren sie geschlossen.« Poirot sah mich aufmerksam an.

»Geschlossen - und jetzt sind sie geoffnet. Was kann das bedeuten?«

»Jemand mu? auf diesem Wege eingestiegen sein«, bemerkte ich.

»Moglich«, stimmte Poirot zu, aber er sagte dieses wie abwesend und nicht ganz uberzeugt.

Nach einer langeren Pause fuhr er fort:

»Das ist es nicht, was mich nachdenklich stimmt, Hastings; wenn nur ein Fenster geoffnet gewesen ware, ware ich nicht so uberrascht. Aber die Tatsache, da? beide Fenster offen sind, gibt mir zu denken.« Darauf eilte er in das Wohnzimmer.

»Dieses Fenster ist gleichfalls geoffnet, es war aber auch geschlossen, als wir den Raum verlie?en. Aha!« Er beugte sich uber den Toten und betrachtete eine Zeitlang dessen Mundwinkel. Dann blickte er auf. »Er wurde geknebelt, Hastings! Geknebelt und dann vergiftet.«

»Gutiger Himmel!« rief ich erschuttert. »Ich denke, wir werden Genaueres bei der Leichenschau erfahren.«

»Wir werden gar nichts erfahren. Er starb durch Einatmen von konzentrierter Blausaure. Diese wurde ihm direkt unter die Nase gehalten. Dann entfernte sich der Morder, nachdem er vorher samtliche Fenster geoffnet hatte. Blausaure verfluchtigt sich au?erordentlich schnell, sie hinterla?t jedoch einen intensiven Geruch von bitteren Mandeln. Das Fehlen dieses Geruchs und anderer Verdachtsmomente wurde die Arzte jederzeit zur Feststellung

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