„Nicht einmal, wenn Sie es wollten! Nicht einmal, wenn wir alle Ihretwegen umkommen!“ Nakamores Stimme brannte anklagend, sein bisher ruhiges Gesicht anderte seinen Ausdruck urplotzlich, als hielte er eine Rede. Bertha erkannte plotzlich, da? er ganz genau wu?te, es gab ein Publikum, das seine Worte empfangen wurde. Wadie begann verwundert zu lacheln. „Marionette! Sie bezeichnen die Harmonie als eine ,Diktatur’, dabei gewahren wir unserem Volk mehr Freiheit, als Ihre Pobelherrschaft das jemals kann oder konnte. Ich habe die Macht und die Entscheidungsfreiheit, diesem Unsinn ein Ende zu setzen. Aber Sie nicht. Ihre Leute vertrauen nicht darauf, da? ein Mann seine gesunde Entscheidungsfahigkeit einsetzen kann, mit der er geboren wurde. Wenn Sie den Mund offnen, dann nur, um ihnen gefallig zu sein.

Aber wie sollen sie Ihnen dieses Mal sagen, was zu tun ist, MacWong? Sie hatten sich niemals vorgestellt, einmal eine Direktverbindung uber Hunderte Millionen von Kilometern zu benotigen. Wenn das Demarchy das hier hort und diskutiert und abstimmt, wird fur uns schon alles vorbei sein, und der Volkswille wird keinen von uns mehr retten konnen… Aber Sie wollen die Entscheidung nicht in Ihre Hande nehmen, weil Sie sich zu sehr vor dem System furchten, wie auch vor diesen hubschen Anarchistenbengeln hinter Ihnen. Die grundlegenden Schwachen der Pobelherrschaft werden das Demarchy dazu bringen, seine eigenen Schiffe zu zerstoren und meine dazu, und damit die Hoffnung fur das ganze System. Ich wu?te immer schon, da? Ihre Regierung eine Farce ist… und nicht mal Sie konnen das jetzt noch verleugnen. Wenn es nicht so eine Tragodie ware, wurde ich jetzt lachen. Denn das ist es — eine Tragodie!“

Bertha sah, wie MacWongs ausdrucksloses Gesicht sich zu einer Fratze ohnmachtiger Wut verzerrte. Erstmals sah sie auch echte Gefuhle in den Gesichtern der hinter ihm wartenden Demarchos… und die Medienmanner ubermittelten alles, damit das Demarchy Zeuge ihrer Beschamung werden konnte. MacWong verbarg seinen Zorn. „Kapitan Torgussen, unsere Schiffe werden in sechsunddrei?igtausend Sekunden an Ihnen vorbeiziehen. Wenn Sie unseren Vorschlagen folgen wollen, sollten Sie baldmoglichst mit uns Kontakt aufnehmen.“ Sein Bild verschwand abrupt vom Schirm.

„Versuche MacWongs Unterhaltung mit dem Demarchy hereinzubekommen, Pappy. Ich wu?te gerne, in welchem Ma?e der Ausbruch die Lage verschlimmert hat.“

Nakamore loste den steifen Kragen seiner Jacke. Seine Augen wie auch seine Stimme druckten flammenden Zorn aus. „Er wird sich wieder melden, nehme ich an.“

„Meinen Gluckwunsch zu deiner… Beforderung zur Hand, Raul.“ Bertha sah, wie Abdhiamal sich leicht verbeugte.

„Meine Pflicht zu akzeptieren, mein Wunsch zu dienen.“ Nakamore wischte den Gluckwunsch mit einer verlegenen Geste beiseite. „Ich wollte, ich konnte dir etwas Ahnliches sagen, Wadie. Aber ich wei? nicht, welchen Titel das Demarchy seinen Verratern verleiht.“

Wadie lachelte nichtssagend. „Keinen.“

„Du bist der einzige vernunftige Demarchos, den ich jemals kennengelernt habe, und daher ist der Mob jetzt wahrscheinlich hinter dir her. Ich kann deinen Akt der Piraterie gegen die Harmonie nicht guthei?en — aber so langsam beginne ich deine Grunde dafur zu verstehen, weshalb du diesen Leuten helfen wolltest. Ich bezweifle, ob Djem das jemals verstehen wird…“

„Ich wei?… und es tut mir leid. Es gab keine andere Moglichkeit… Es ware nie soweit gekommen, wenn…“

„Wenn wir das Sternenschiff bei seiner ersten Annaherung nicht angegriffen hatten? Du hast recht. Das war dumm von uns. Wenn wir statt dessen vernunftig genug gewesen waren, sie in eine unserer Basen zu bringen, dann hatte die Gro?e Harmonie jetzt ihr eigenes Sternenschiff. Aber wir haben es nicht getan, und daher ernteten wir nur den Tod. Aber wir wu?ten, da? es beschadigt war, und die Zentrale Harmonie hielt es fur lohnend, es zu verfolgen, da immer noch eine kleine Chance bestand, es hier zu erwischen.“

„Ein beachtliches Opfer“, sagte Wadie. „Ihr habt eine lange Heimreise vor euch, wenn diese Schiffe das einzige sind, was euch noch zur Verfugung steht.“

„Ich wei?. Auch ohne Kampf wurden wir zwanzig Megaseks benotigen, um Au?enposten zu erreichen — wenn unsere Lebenserhaltungssysteme durchhalten. Und dann mussen wir uns auf diesem Schneeball den Hintern abfrieren, bis ein Treibstofftanker uns zur inneren Harmonie bringen kann.“ Nakamore kratzte sich mude am Kinn. „Immerhin haben wir von Lansing Nahrung und Luft mitgenommen.“

Shadow Jack stie? sich an Bertha vorbei vor den Bildschirm. „Warum haben Sie nicht einfach das Zelt aufgeschlitzt und sie alle umgebracht, Sie Bastard?“

Nakamore zuckte die Achseln. „Junge, fur mich seid ihr alle Piraten. Aber wir haben nicht viel genommen. Betrachte es als Tausch fur den Wasserstoff, den ihr der Harmonie gestohlen habt.“

„Wo ist meine Mutter?“ schrie Bird Alyn plotzlich mit vor Wut uberschnappender Stimme. „Was habt ihr mit meiner Mutter gemacht?“

Nakamore sah sie ausdruckslos an. Dann erst verstand er. „Ach so… deine Mutter wird die nachsten hundert Kiloseks einen schmerzenden Kiefer haben. Davon abgesehen ist sie augenblicklich besser dran als du — oder wir. Und da wir gerade dabei sind: Kapitan Torgussen, Sie haben meine Erlaubnis, die Gascontainer in eine niedere Kreisbahn um Lansing zu bringen. Und dann wurde ich vorschlagen, unsere Schiffe entfernen sich ein paar hundert Kilometer in den Weltraum. Wenn die Schiffe des Demarchy kommen, werden die Strahlen uber eine gro?e Distanz todlich sein — und es besteht kein Grund, weshalb Lansing auch mitbetroffen sein sollte. Auf diese Weise kommt wenigstens einer ungeschoren davon.“ Er wandte sich ab und gab lautlos einige Befehle.

„Danke“, sagte Bertha. Sie sah immer noch Wadies merkwurdiges Lacheln, mit dem er den Schirm betrachtete. „Was ist das fur ein Mann? Ich verstehe ihn nicht.“

Wadie wandte sich ihr zu, sein Lacheln wurde sanft. „Die Vernunft ist noch nicht ganz von Himmel gewichen, Bertha. Auch nicht von den Ringbewohnern… Raul ist ein aufrichtiger Mann, ganz davon abgesehen, da? er kein Dummkopf ist. Ich sagte schon, sein Bruder gewann kein einziges Schachspiel gegen mich, aber wahrend der ganzen Zeit, die ich in den Ringen verbrachte, gewann ich nur zwei gegen ihn. Vielleicht hat er immer noch ein paar Uberraschungen in der Hinterhand.“

Bertha rieb ihre Arme. „Ich kann nur eines sagen, er hat das Demarchy so sehr erzurnt, da? sie erst zufrieden sein werden, wenn sie uns alle in der Holle schmoren sehen. Was auch immer er vorhat, es gefallt mir uberhaupt nicht, nur sein Spielstein zu sein.“

Die Ranger bewegte sich gerauschlos von Lansing fort. Bertha sah zu, wie die elfenhaft schone Welt unter ihnen kleiner wurde, wie der transparente Plastikfilm des Zeltes sich langsam entfernte. Baume streckten sich grungesprenkelt dem Zelt entgegen, zerbrechliche, grune Blatterfontanen ergossen sich uber goldgelbes Getreide… und Felder mit sterbendem Gras. Sie sah das samtene Grun von Parkanlagen, die immer noch ordentlich bewassert wurden… und den trockenen Schlamm wasserloser Marschen. Die Leute dort unten bewegten sich wie in einem Traumballett zwischen Minaretten und Gebauden auf einer Welt, die einst das Symbol fur Himmels wohlhabende Extravaganz gewesen war. Die letzte Welt, die sie jemals sehen wurde… Sie betrachtete Clewells ruhiges Gesicht. Der alte Mann lag in seinem Sessel und lauschte mit geschlossenen Augen dem Funkverkehr zwischen dem Demarchy und MacWong. Die Stille angstigte sie, und daher wandte sie sich rasch ab, streichelte die schnurrende Rusty, die sich an sie klammerte, wahrend sie sich all die geliebten Gesichter und die Heimatwelt, die keiner von Ihnen mehr wiedersehen wurde, vorzustellen versuchte. Der Gedanke an die letztendliche Rache, die Himmel als Vergeltung fur den Mord an ihnen sich selbst auferlegen wurde, brachte keine Befriedigung mit sich. Eine schreckliche Schwache uberkam sie, die ganze Last der Vergeblichkeit der vergangenen Wochen, der vergangenen Jahre…

„Bertha…“ Wadie wandte den Blick nicht vom Schirm ab. „Ich habe keine Ahnung, wie ich dieses Schiff retten kann. Aber ich kenne einen Weg, uns selbst zu retten. Wir konnen die Ranger verlassen und mit der Lansing 04 auf Lansing landen. Nakamore will nur, da? dieses Schiff vernichtet wird, er will nicht unser Leben. Wenn wir unsere Anzuge anlegen, konnen wir es alle schaffen.“

„Nein.“ Bertha pre?te die Arme gegen die schmerzenden Muskeln ihres Magens. „Ich werde die Ranger nicht verlassen. Aber ihr anderen konnt gehen. Ihr habt keinen Grund zu bleiben. Rettet euch.“

„Was meinen Sie damit. Sie wollen dieses Schiff nicht verlassen?“ Wadie wandle sich vom Schirm ab und umklammerte die Lehne ihres Stuhls. „Es ist nur ein Schiff, Bertha, es kann nicht Ihr Leben kontrollieren. Sie sind nicht daran gekettet.“

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