Teddy Cooper war Englander, funfundzwanzig und Produkt einer Red Brick University, wie die Briten diese Erziehungseinrichtungen aus dem neunzehnten Jahrhundert etwas snobistisch nannten. Mit seiner frohlichen Cockney-Art wirkte er wie eine Figur aus Me and My Girl. Was ihn in Partridges Augen aber fast zum Genie machte, war seine Fahigkeit, aus gewohnlichen Nachforschungen akribische Detektivarbeit zu machen und sie mit hochst intelligenten Schlu?folgerungen voranzutreiben.

Wahrend eines Einsatzes in Europa hatte Partridge Cooper kennengelernt, der zu dieser Zeit als kleiner Bibliotheksangestellter bei der BBC arbeitete. Partridge war damals sehr beeindruckt von einigen Recherchen, die Cooper fur ihn angestellt hatte. Deshalb hatte er auch darauf gedrangt, da? die Londoner CBA-Redaktion ihn einstellte, und er hatte ihm so zu einer besseren Bezahlung und einer beruflichen Perspektive verholfen.

»Du kriegst ihn«, erwiderte Sloane. »Wir setzen ihn in die nachste Concorde, die England verla?t.«

»Wenn es dir nichts ausmacht«, sagte Partridge nun, »mochte ich dir ein paar Fragen stellen, damit ich auf dem Flug etwas zum Nachdenken habe. Meinst du, da? du das schaffst?«

»Naturlich. Schie? los.«

Was folgte, war mehr oder weniger eine Wiederholung der Fragen, die FBI-Agent Havelock ihm bereits gestellt hatte. Hatte es Drohungen gegeben?... Irgendwelche besonderen Feindschaften?... Ungewohnliche Erlebnisse?... Gab es schon einen Verdacht, irgendeine wenn auch noch so vage Vermutung, wer... ? Gab es Informationen, die in der Sondermeldung nicht erwahnt wurden?

Die Fragen waren notwendig, doch die Antworten fielen immer negativ aus.

»Fallt dir noch irgend etwas ein?« Partridge bohrte beharrlich weiter. »Irgendeine Kleinigkeit, die du bis jetzt noch gar nicht beachtet hast, die aber vielleicht mit der Entfuhrung in Verbindung stehen konnte?«

»Im Augenblick kann ich nur mit nein antworten«, entgegnete Sloane. »Aber ich werde daruber nachdenken.«

Nach dem Ende des Gesprachs nahm Partridge seine Reisevorbereitungen wieder auf. Schon vor Sloanes Anruf hatte er damit begonnen, den Koffer zu packen, den er erst eine Stunde zuvor ausgepackt hatte.

Er rief bei Air Canada an und buchte einen Platz fur den Flug um 14 Uhr 45 von Pearson International Airport nach New York, wo er um 16 Uhr auf dem La Guardia Airport eintreffen wurde. Anschlie?end bestellte er ein Taxi, das ihn in zwanzig Minuten abholen sollte.

Nachdem sein Koffer gepackt war, kritzelte er einen Abschiedsgru? fur Vivien auf einen Zettel. Er wu?te, da? sie uber seine plotzliche Abreise enttauscht sein wurde, aber das war er auch. Zu dem Abschiedsgru? gehorte auch ein gro?zugiger Scheck fur die besprochene Renovierung der Wohnung.

Wahrend er sich noch in der Wohnung nach einem gunstigen Platz fur Zettel und Scheck umsah, klingelte es. Das bestellte Taxi war bereits da.

Das letzte, was er sah, bevor er die Wohnung verlie?, waren die Karten fur das Mozartkonzert auf der Anrichte. Traurig dachte er daruber nach, da? sie - wie schon so viele Karten und Einladungen in der Vergangenheit - mehr als alles andere ein Symbol waren fur das unbestandige Leben eines Fernsehreporters.

Die Maschine der Air Canada war eine Boeing 727 ohne First und Business Class, die nonstop nach New York flog. Da sich nur wenige Passagiere an Bord befanden, hatte Partridge eine ganze Sitzreihe mit drei Platzen fur sich. Er hatte Sloane versprochen, sich schon auf dem Flug Gedanken uber die Entfuhrung zu machen, und wollte nun bereits die Sto?richtung ausarbeiten, die er und das Team einschlagen sollten. Doch er hatte nur sehr sparliche Informationen, und bald wurde ihm klar, da? er damit nicht weiterkam. Also lie? er es sein und hing bei einem Wodka-Tonic seinen Gedanken nach.

Die Beziehung zwischen ihm und Jessica war es, woruber er nachdachte.

In den Jahren, die seit seinem Aufenthalt in Vietnam vergangen waren, hatte er es sich angewohnt, Jessica als Teil seiner Vergangenheit zu betrachten, als eine Frau, die er einmal geliebt hatte, zu der er aber nun keinen Bezug mehr hatte und die er sowieso nicht mehr erreichen konnte. In gewisser Weise, so erkannte Partridge nun, war dieses Denken ein Akt der Selbstdisziplin gewesen, ein Schutz gegen das Selbstmitleid, ein Gefuhl, das er verabscheute.

Aber nun, da Jessica in Gefahr war, mu?te er sich eingestehen, da? seine Gefuhle fur sie noch immer vorhanden, noch nie verschwunden waren. Gib's doch zu, du bist immer noch verliebt in sie. Ja, das bin ich. Und nicht nur in einen Schatten der Erinnerung, sondern in eine lebende, wirklich existierende Person.

Gleichgultig, welche Rolle er in der Suche nach Jessica spielen sollte - und Crawf selbst hatte ihn gebeten, eine fuhrende zu ubernehmen -, Harry Partridge wu?te, da? diese Liebe zu Jessica ihm Kraft geben und ihn vorwartstreiben wurde, obwohl er sie naturlich geheimhielt und nur in seinem Innersten brennen lie?.

Doch plotzlich, aus einer fur ihn charakteristischen Laune heraus, fragte er sich: Bin ich eigentlich untreu?

Untreu wem? Der toten Gemma naturlich!

Ach, liebste Gemma! Noch an diesem Morgen, wahrend er uber seine scheinbare Unfahigkeit zu weinen nachdachte, hatte er sich beinahe von der Erinnerung an sie uberwaltigen lassen. Aber dann hatte er sie beiseite geschoben, es ware einfach zuviel fur ihn gewesen. Nun kam diese Erinnerung an Gemma wieder. Sie wird immer zuruckkommen, dachte er.

Einige Jahre nach seinem Einsatz in Vietnam und einigen anderen gefahrlichen Auftragen schickte CBA Partridge als Korrespondenten nach Rom. Er blieb dort fast funf Jahre.

Ein Einsatz in Rom war fur jeden Fernsehkorrespondenten ein Glucksfall. Der Lebensstandard war hoch, die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen Gro?stadten eher niedrig, und obwohl naturlich ein gewisser Druck von New York heruberkam, war das Leben in Rom eher entspannt und locker.

Neben der Berichterstattung aus der Metropole und dem Umland gehorten auch Reportagen aus dem Vatikan zu Partridges Aufgaben. Deshalb reiste er auch des ofteren in papstlichen Flugzeugen, im Tro? der Journalisten, die Papst Johannes Paul II. auf seinen Pilgerfahrten in die ganze Welt begleiteten.

Auf einer dieser Reisen des Papstes lernte er Gemma kennen.

Partridge hatte es haufig amusiert, wenn Au?enstehende glaubten, auf papstlichen Flugreisen ube man sich in Zuruckhaltung und Anstand. Dem war nicht so. Fur den hinteren Teil des Flugzeugs, wo die Presse untergebracht war, traf sogar das Gegenteil zu. Es wurde standig gefeiert und getrunken - Getranke waren frei -, und auf langen Nachtflugen ging es bisweilen sogar recht frivol zu.

Ein Kollege von Partridge hatte das Flugzeug des Papstes einmal sehr treffend mit einem Ort verglichen, der, gleich Dantes Inferno, alle Ebenen zwischen Himmel und Holle umfa?t. (Obwohl fur die Reisen des Papstes verschiedene Flugzeuge eingesetzt wurden, war die spezielle Aufteilung des Passagierraums immer dieselbe.)

Im vorderen Teil des Flugzeugs befand sich eine geraumige Kabine fur den Papst. Sie enthielt ein Bett und zwei oder drei gro?e, bequeme Sessel.

Dahinter lag die Kabine fur die unmittelbare Entourage des Papstes - Staatssekretar, Kardinale, Leibarzt, personlicher Sekretar und Kammerdiener. Im nachsten Abschnitt waren die Bischofe und weniger hochgestellte Geistliche untergebracht.

Je nach Flugzeugtyp gab es irgendwo zwischen den vorderen Kabinen einen Lagerraum fur die Geschenke, die der Papst wahrend seiner Reise erhielt, und das waren nicht wenige.

Und schlie?lich die letzte Kabine - fur die Presse. Die Sitzaufteilung entsprach hier der Touristenklasse, der Service dagegen war first class. Man wurde von allen Seiten bedient, Speisen und Weine waren exquisit. Auch fur die Journalisten gab es gro?zugige Geschenke von der jeweiligen Fluggesellschaft, meistens Alitalia. Dort war man sich der Werbewirksamkeit solcher Nettigkeiten wohl bewu?t.

Die Gruppe der Journalisten setzte sich aus Vertretern aller Medien zusammen, eine internationale Mischung aus Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehreportern, letztere begleitet von ihren Aufnahmeteams. Alle hatten ganz normale Interessen, der berufsbedingte Skeptizismus wurde bisweilen durch eine gewisse Ehrfurchtslosigkeit erganzt.

Die Fernsehsender, obgleich sie das nie offen zugaben, sahen es durchweg lieber, wenn uber kirchliche Ereignisse, wie die Papstreisen, von Korrespondenten berichtet wurde, die in Glaubensdingen nicht uberma?ig engagiert waren. Religiose Eiferer, gleich welcher Couleur, so furchtete man, wurden nur Unertragliches liefern. Eine gesunde Zuruckhaltung wurde bevorzugt.

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