sie es, den linken Arm loszurei?en.

Die drei Verschworer wirbelten herum, als sie den Schrei horten. Einen Augenblick lang war Baudelio, der sofort hatte reagieren mussen, zu uberrascht, um sich zu bewegen. Inzwischen hatte Jessica alle drei gesehen.

Sie ri? noch immer wie rasend an ihren Fesseln und tastete verzweifelt mit der Linken nach etwas, das sie als Waffe benutzen konnte, um sich und Nicky zu beschutzen. Der Tisch mit den Instrumenten stand neben ihr. Unter ihren suchenden Fingern spurte sie plotzlich etwas, das sich anfuhlte wie ein Schalmesser. Es war ein Skalpell.

Baudelio hatte sich inzwischen wieder gefangen und lief zu ihr hin. Er sah, da? Jessicas Arm frei war, und versuchte, ihn mit Socorros Hilfe wieder festzubinden.

Aber Jessica war schneller. In ihrer Verzweiflung holte sie mit dem Metallgegenstand in ihrer Hand weit aus und traf zuerst Baudelios Gesicht, dann Socorros Hand. Zuerst waren nur dunne rote Linien zu sehen. Sekunden spater quoll Blut hervor.

Baudelio ignorierte den Schmerz und versuchte, den wild um sich schlagenden Arm festzuhalten. Miguel sturzte hinzu, schlug Jessica brutal mit der Faust ins Gesicht und half Baudelio. Wahrend Blut aus Baudelios Wunde auf Jessica tropfte, schafften sie es, Jessicas Arm wieder an das Bett zu fesseln.

Miguel ri? Jessica das Skalpell aus der Hand. Sie wehrte sich noch immer, doch es nutzte nichts. Tranen der Wut und der Verzweiflung liefen ihr uber die Wangen.

Doch noch war die Situation nicht bereinigt. Auch bei Nicky lie? die Wirkung des Betaubungsmittels nach. Die Schreie und die Erkenntnis, da? seine Mutter neben ihm lag, lie?en ihn schneller zu Bewu?tsein kommen. Er begann ebenfalls zu schreien und an seinen Fesseln zu zerren, doch er konnte sich nicht befreien.

Angus, der seine Spritze spater als die beiden anderen bekommen hatte, ruhrte sich nicht.

Der Larm und die Verwirrung waren inzwischen fast unertraglich, doch Baudelio und Socorro wu?ten, da? sie jetzt vor allem anderen ihre eigenen Wunden behandeln mu?ten. Socorro, die weniger schlimm verletzt war, klebte sich ein Pflaster auf die Hand und wandte sich Baudelio zu. Sie legte ihm einen Verband aus Gazekompressen an, doch der war in kurzester Zeit blutdurchtrankt.

Baudelio hatte inzwischen den ersten Schock uberwunden; er nickte ihr dankend zu, deutete dann auf den Tisch mit seinen Instrumenten und murmelte: »Hilf mir.«

Socorro zog den Gurt an Jessicas linkem Oberarm fester. Baudelio hatte bereits eine Propofol-Injektion vorbereitet, die er ihr nun in die Vene spritzte. Jessica konnte nur entsetzt zusehen, sie schrie und kampfte gegen die Wirkung des Mittels an, bis ihr die Augen zufielen und sie wieder ohnmachtig wurde.

Bei Nicky wiederholten die beiden den Vorgang. Auch er horte auf zu schreien und fiel in die Kissen zuruck.

Weil sie nicht riskieren wollten, da? auch der alte Mann aufwachte und Schwierigkeiten machte, gaben sie Angus ebenfalls eine Injektion.

Miguel hatte die ganze Zeit schaumend vor Wut, aber ohne etwas zu sagen, im Hintergrund gestanden. Nun schrie er Baudelio mit zornig blitzenden Augen an: »Du unfahiger Idiot! Pinche cabron! Du hattest beinahe alles vermasselt! Wei?t du uberhaupt, was du tust?«

»Ja, das wei? ich«, antwortete Baudelio. Trotz der Gazekompressen lief ihm Blut uber das Gesicht. »Ich habe mich verschatzt. Es wird nicht wieder vorkommen.«

Ohne etwas zu antworten, sturmte Miguel mit hochrotem Kopf aus dem Zimmer.

Sobald er verschwunden war, untersuchte Baudelio in einem Handspiegel seine Wunde. Zwei Dinge waren ihm sofort klar. Zum einen wurde ihm fur den Rest seines Lebens eine von der Schlafe bis zum Kinn reichende Narbe bleiben. Zum zweiten, und das war wichtiger, mu?te die tiefe Wunde sofort genaht werden. Doch unter den gegebenen Umstanden konnte er weder ins Krankenhaus noch zu einem Arzt gehen. Er hatte keine andere Wahl, als sich selbst zu nahen, gleichgultig, wie schwierig und wie schmerzhaft es wurde. Socorro mu?te ihm helfen, so gut sie eben konnte.

Zu Beginn seines Studiums hatte Baudelio wie jeder angehende Mediziner gelernt, wie man kleine Wunden naht. Spater konnte er als Narkosearzt bei Hunderten solcher Operationen zusehen. Wahrend seiner Arbeit fur Medellin hatte er selbst des ofteren genaht und wu?te inzwischen sehr gut, was zu tun war.

Mit zitternden Knien setzte er sich vor den Spiegel und sagte Socorro, sie solle ihm seine Arzttasche bringen. Er suchte sich medizinische Nadeln, Seidenfaden und Lidocain, ein ortliches Betaubungsmittel, heraus.

Dann erklarte er Socorro, was zu tun war. Wie gewohnlich sagte sie au?er einem gelegentlichen »Si!« oder »Esta bien!« kaum etwas. Auch Baudelio verlor nicht viele Worte, sondern begann, sich an den Randern der Wunde Lidocain zu injizieren.

Die ganze Prozedur dauerte fast zwei Stunden, und trotz der ortlichen Betaubung war der Schmerz fast unertraglich. Einige Male hatte Baudelio beinahe das Bewu?tsein verloren. Sein Hand zitterte haufig, und das machte die Stiche unregelma?ig. Erschwerend kam noch hinzu, da? er spiegelverkehrt arbeiten mu?te. Socorro gab ihm, was er verlangte, und stutzte ihn, wenn er kurz vor dem Zusammenbruch stand. Doch schlie?lich hatte er es geschafft, und obwohl einige ungeschickte Stiche die Narbe noch ha?licher machen wurden, als er ursprunglich angenommen hatte, war die Wunde nun geschlossen und wurde heilen.

Baudelio wu?te sehr gut, da? der schwierigste Teil seines Auftrags noch vor ihm lag und da? er nun Ruhe brauchte; er nahm deshalb zweihundert Milligramm Seconal und legte sich schlafen.

3

Etwa gegen 11 Uhr 50 hatte Harry Partridge in der Wohnung in Port Credit den Fernseher auf einen Sender aus Buffalo, New York, eingeschaltet - einer Tochtergesellschaft von CBA. Da die Signale des Senders ungehindert uber die nur sechzig Meilen des Lake Ontario kamen, waren sie in der Gegend um Toronto gut zu empfangen.

Vivien war ausgegangen und wurde erst spater zuruckkehren.

Partridge hoffte, in den Mittagsnachrichten Neues uber die Flugzeugkatastrophe vom Tag zuvor zu erfahren. So sa? er bereits vor dem Gerat, als das gewohnte Programm um 11 Uhr 55 von der Sondermeldung unterbrochen wurde.

Er war entsetzt und schockiert wie jeder andere auch. Stimmte das wirklich, fragte er sich, oder hatte da nur jemand entsetzlichen Unsinn gemacht? Aber aus Erfahrung wu?te er, da? CBA News keine Sondermeldung bringen wurde, ohne vorher die Authentizitat der Geschichte gepruft zu haben.

Wahrend er Don Ketterings Gesicht auf dem Bildschirm sah und seinem Bericht zuhorte, regte sich in ihm vor allem eine tiefe Sorge um Jessica. Und dazu kam ein Gefuhl der kameradschaftlichen Verbundenheit und des Mitgefuhls mit Crawford Sloane.

Partridge wu?te auch, ohne lange daruber nachdenken zu mussen, da? sein Urlaub, der eben erst begonnen hatte, schon wieder vorbei war. Er war deshalb auch gar nicht uberrascht, als er eine Dreiviertelstunde spater angerufen und gebeten wurde, in die CBA News- Zentrale nach New York zu kommen. Uberraschend war nur, da? Crawford Sloane ihn hochstpersonlich darum bat.

Partridge horte sofort, da? Sloane seine Stimme kaum unter Kontrolle halten konnte. Gleich nach der Begru?ung sagte er: »Ich brauche dich dringend, Harry. Les und Chuck stellen gerade eine Spezialeinheit zusammen. Sie wird auf zwei Ebenen vorgehen: einmal die tagliche Berichterstattung besorgen und zum anderen intensivste Ermittlungen anstellen. Sie haben mich gefragt, wen ich als Leiter der Truppe wollte. Und ich kann mir eigentlich nur einen einzigen vorstellen - dich, Harry.«

Plotzlich erkannte Partridge, da? sie sich in all den Jahren, die sie sich nun schon kannten, nie nahergestanden hatten als in diesem Augenblick. »Halt die Ohren steif, Crawf«, erwiderte er. »Ich komme mit der nachsten Maschine.«

»Danke, Harry. Hast du besondere Wunsche, was deine Mitarbeiter angeht?«

»Ja. Treibt Rita Abrams auf, ich glaube, sie ist irgendwo in Minnesota. Und Minh Van Canh ebenfalls.«

»Falls sie nicht schon auf dich warten, wenn du ankommst, dann sind sie kurz nach dir da. Sonst noch jemand?«

Partridge uberlegte nur kurz und sagte dann: »Teddy Cooper aus London.«

»Cooper?« Sloane sagte der Name zunachst nichts, doch dann erinnerte er sich: »Ist das nicht der Ermittlungsspezialist aus unserer dortigen Redaktion?«

»Genau.«

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